Der Rekordfilm bei den spanischen Oscars!
Von Ulf LepelmeierIm Jahr 2002 feierte Regisseur Fernando León De Aranoa mit seiner Tragikomödie „Montags in der Sonne“ über fünf arbeitslose Freunde im Nordwesten Spaniens einen riesigen Erfolg. „Der perfekte Chef“ bezeichnet er nun selbst als Gegenentwurf zu seinem Frühwerk, schließlich zeichnet die Satire diesmal kein versöhnliches, sondern ein zynisches Bild vom Unternehmensalltag mit einem machtbesessenen Chef, unfairen Abhängigkeitsverhältnissen und jeder Menge zwischenmenschlichen Konflikte am Arbeitsplatz. Im Zentrum des Geschehens steht dabei der von Javier Bardem kongenial verkörperte Inhaber eines Unternehmens für Industriewaagen, der sich während einer schicksalhaften Arbeitswoche nicht nur in die privaten Angelegenheiten seiner Mitarbeiter einmischt, sondern dabei auch immer weiter vom rechten Pfad abkommt.
Die überaus unterhaltsame Satire konnte mit 20 Goya-Nominierungen (die spanischen Oscars) einen neuen Allzeitrekord aufstellen. Am Ende gab es dann auch fünf der Preise, nämlich als Bester Film, für die Beste Regie, den Besten Hauptdarsteller, das Beste Originaldrehbuch, den Besten Schnitt und die Beste Musik. Auch der Titel als spanischer Oscar-Beitrag 2021 ging damit an „Der perfekte Chef“ – womit Bardem seiner eigenen Ehefrau Penélope Cruz den Platz wegschnappte, denn deren Pedro-Almodóvar-Drama „Parallele Mütter“ war eigentlich als Topfavorit gehandelt worden.
Julio Blanco (Javier Bardem) will für alle eigentlich nur das Beste – und merkt gar nicht, welche roten Linien er dabei alle überschreitet…
Julio Blanco (Javier Bardem) ist ein kompetenter Chef, der sich für seine Mitarbeiter persönlich verantwortlich fühlt und sich nur zu gern als Vaterfigur inszeniert. Als wohlhabender Inhaber eines Familienunternehmens ist er ein respektierter und einflussreicher Mann, dessen nächstes Ziel der Gewinn einer Auszeichnung für exzellente Unternehmensführung ist. Weil in den nächsten Tagen ein unangekündigter Besuch des Entscheidungskomitees ansteht, schwört Julio seine Belegschaft mit einer motivierenden Rede darauf ein, sich von ihrer besten Seite zu präsentieren.
Doch die mühevoll zum Glänzen gebrachte Firmenfassade beginnt ausgerechnet jetzt zu bröckeln: Der Ex-Mitarbeiter José (Óscar De La Fuente) schlägt ein Protestcamp vor den Unternehmenstoren auf und wettert mit Megafon und Bannern gegen seine Entlassung. Dem deprimierten Produktionsleiter Miralles (Manolo Solo) unterlaufen schwerwiegende Fehler und Julio kann einfach nicht die Augen von der neuen Praktikantin Liliana (Almudena Amor) lassen. In einem Wettlauf gegen die Zeit versucht der (scheinbar) perfekte Chef, die Probleme seiner Angestellten sowie seine eigenen zu lösen und greift dabei auf immer zweifelhaftere Methoden zurück…
„Harte Arbeit, Balance, Loyalität“ lautet das Credo der alteingesessenen Firma Báscula Blanco, die Julio mit sicherer Hand führt. Das hinter den Fabrikmauern nicht alles nur gerecht und perfekt abläuft und sich auch nicht jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin als Teil der beschworenen Unternehmensfamilie fühlt, deutet bereits die aus dem Gleichgewicht geratene Waagen-Skulptur am Zufahrttor an. Aber diese Kleinigkeit ist nur der Anfang all der Dinge, die am Nervenkostüm des ewig freundlichen Firmeninhabers nagen werden. León De Aranoa hatte Javier Bardem (Oscar für „No Country For Old Men“), mit dem er bereits bei „Montags in der Sonne“ und „Loving Pablo“ zusammengearbeitete hat, bereits in einer frühen Drehbuchphase als titelgebenden perfekten Chef für seine satirische Firmenkomödie vor Augen …
… und tatsächlich spielt Bardem in der Rolle sein komödiantisches Talent voll aus. Er verleiht seinem alles kontrollierenden Patriarchen eine verschmitzte, leise Komik. Er gibt den charismatischen Firmeninhaber als in sich ruhenden, jedem einen guten Rat und ein Lächeln mitgebenden Perfektionisten, der immer alle Fäden selbst in der Hand behalten muss. Dass er sich zu weit in die Privatsphäre seiner Mitarbeiter*innen einmischt, wenn er zum Beispiel die Frau seines von Eifersucht zerfressenen Produktionsleiter für ihren Ehemann zurückzugewinnen versucht oder den Sohn eines anderen Mitarbeiters kurzerhand aus der Haft herausholt, wird ihm selbst nie bewusst. Schuldgefühle und Selbstzweifel scheinen ihm schlicht fremd zu sein. Dafür verfügt er über eine große Portion Charisma und Ego, was der in seiner Villa bereits vorbereitete Stellplatz für den anvisierten Award unterstreicht.
Für die Rolle wurde Javier Bardem völlig zu Recht mit dem Goya für den Besten Hauptdarsteller ausgezeichnet.
„Der perfekte Chef“ bietet rundum gelungenes, gut getaktetes Unterhaltungskino mit sozialkritischem Anstrich, ohne dabei allerdings brutal bissig oder schmerzvoll sozialrealistisch zu werden. León De Aranoa versteht es, etwas über Unternehmensführung, die Unmöglichkeit der strikten Trennung von Berufs- und Privatleben sowie die Doppelbödigkeit von Unternehmensimages zu erzählen und dabei trotzdem eine große Leichtigkeit beizubehalten. Mit den zunehmenden Einmischungsaktionen und zweifelhaften Taten des Patriarchen wird der Film dann aber zwangsläufig doch immer düsterer und es wird auch ein schwärzerer Humor angeschlagen.
Fazit: „Der perfekte Chef“ macht einfach Spaß. Dabei skizziert die immer schwärzer werdende Satire die Unmöglichkeit, alles richtig machen und im selben Moment um jeden Preis erfolgreich sein zu wollen. Dem zeitlosen Sprichwort wo gehobelt wird, da fallen auch Späne hat Regisseur Fernando León De Aranoa mit seinem großartig aufspielenden Hauptdarsteller Javier Bardem als gerissenem Firmenchef so jedenfalls ein unterhaltsames filmisches Denkmal gesetzt.
Wir haben „Der perfekte Chef“ im Rahmen des Filmfest München 2022 gesehen.