Ist ausgerechnet Disney+ das neue Zuhause für abgefuckte Horror-Kost?
Von Christoph PetersenSollte man vorab verraten, worum es in „Fresh“ wirklich geht? Besser nicht, denn der ebenso jähe wie fiese Tonwechsel nach der ersten halben Stunde hat es wirklich sich! Auch der Trailer ist geschickt um den wahren Plot herumgeschnitten – und so sollte man nur aufpassen, sich nicht versehentlich das „Fresh“-Poster des US-Streaming-Dienstes HULU anzusehen, denn das dort verwendete Werbemotiv ist ein harter Spoiler. Womit das Plakat hingegen goldrichtig liegt, ist die aufgedruckte Warnung „It’s Not For Everyone“ (also „Nicht für jeden geeignet“) …
… zumal der schon nach seiner Weltpremiere auf dem Sundance Filmfestival hart abgefeierte Ekel-Schocker hierzulande eben exklusiv bei Disney+ erscheint und man sich wohl erst noch daran gewöhnen muss, dass nun ausgerechnet ein Disney-Service den womöglich abgefucktesten Genre-Streifen der Saison raushaut. Wobei „Fresh“ übrigens extra viel Spaß macht, wenn man sich vorher die Marvel-Serie „Falcon And The Winter Soldier“ reingezogen hat – dann weiß man nämlich erst richtig zu schätzen, was für eine grandiose Psychopathen-Performance der MCU-Superheld Sebastian Stan hier abliefert.
Ausgerechnet in der Gemüseabteilung trifft die Dating-Geschädigte Noa (Daisy Edgar-Jones) doch noch auf ihren Traummann …
Noa (Daisy Edgar-Jones) hat gerade eines der schlimmsten Tinder-Dates aller Zeiten hinter sich, als sie ausgerechnet in der Gemüseabteilung des Supermarkts nach ihrer Nummer gefragt wird – so richtig analog, ganz ohne App-Unterstützung: Der Anmachspruch von Schönheitschirurg Steve (Sebastian Stan) ist zwar eher flach, aber das merkt er selbst sofort – und sowieso ist er so gutaussehend und charmant, dass die etwa überrumpelte, aber von dem Fremden auch ziemlich begeisterte Noa natürlich ihre Handynummer rausrückt.
Auch das erste Date läuft super, Noa und Steve sind voll auf einer Wellenlänge – zumal sie beide Dating eigentlich superdoof finden. Und so kommt es für Noa gar nicht so überraschend, dass Steve schon bald ein ganzes Wochenende mit ihr verbringen will. Allerdings verläuft das schon am ersten Abend ganz anders als geplant – und gerade als Steve ankündigt, ihr jetzt die ganze Wahrheit verraten zu wollen, beginnt der Vorspann des Films…
„Fresh“ beginnt mit einem Tinder-Date aus der Hipster-Hölle, bei dem sich der Typ (Brett Dier) dermaßen zielsicher in jedes Fettnäpfchen setzt, dass man es genau so auch bei einer Sketch-Show wie „Saturday Night Live“ zeigen könnte. Noas weitere Partnersuche fördert zudem ein Chat-Bild mit erigiertem Penis sowie das Verfluchen einer Zeichentrick-Ikone („Fuck Arielle!“) zutage – zwei weitere Gründe, warum man sich über die Heimat auf Disney+ wundert. Und nach dem ersten Date zwischen Noa und Steve würden sich zumindest Romantik-Fans nicht darüber beschweren, wenn es nun einfach noch eineinhalb Stunden so weitergehen würde – als modernes RomCom-Pärchen haben Daisy Edgar-Jones („Krieg der Welten“) und Sebastian Stan („The 355“) einfach eine unwiderstehliche Chemie.
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Aber dann kommt mit halbstündiger „Verspätung“ doch noch der Vorspann, der an psychedelische Grindhouse-Filme aus den Sechzigern und Siebzigern erinnert – ein Versprechen, das „Fresh“ im weiteren Verlauf definitiv einlöst. Steves „Geheimnis“ ist ebenso schmerzhaft wie perfide – und Regisseurin Mimi Cave zelebriert die diabolischen Seiten ihrer Dating-Warnung mit einem diebischen Spaß am Abgründigen und Abstoßenden. Dabei helfen die spitzen Dialoge von Autorin Lauryn Kahn („Ibiza“) ebenso wie die unglaublich spielfreudige Performance von Sebastian Stan, der als Voll-Psycho genauso charmant bleibt wie bei der wundervollen ersten Verabredung, was die Rolle aber nur noch verstörender macht. Spaß am Abgefuckten wird hier groß geschrieben – bis hin zur kleinen fiesen finalen Schlusspointe, die sogar noch mal den Bogen zurück zum Horror-Date vom Auftakt schlägt.
… nur dass sich der ach so charmante Steve (Sebastian Stan) dann – natürlich (!) – doch noch als hundertprozentiger Psychopath erweist!
Mimi Cave und Lauryn Kahn liefern in ihrem stylish inszenierten, keine Derbheit aussparenden Thriller alles, was man sich von einem klassischen Grindhouse-Horror-Fest erwartet. Zugleich würzen sie den Film aber auch mit frischen, zeitgemäßen Zutaten – und zwar ohne ihrem Publikum im selben Moment eine aufgesetzte Woke-Haltung zentimeterdick aufs Brot zu schmieren. In dieser Hinsicht erinnert „Fresh“ zum Beispiel positiv an den Genre-Primus „Promising Young Woman“ von Emerald Fennell.
So gibt es etwa eine vermeintlich genretypische Szene in einer Umkleidekabine, wo im Hintergrund haufenweise Halbnackte herumrennen – nur sind das hier keine katalogtauglichen Cheerleaderinnen, sondern Frauen mit realistischen Körpern. Und wenn der freundliche Barkeeper Paul (Dayo Okeniyi), dem wir den halben Film hindurch immer wieder dabei zuschauen, wie er versucht herauszufinden, was wohl mit Noa und ihrer besten Freundin Mollie (Jojo T. Gibbs) passiert ist, schließlich doch noch fündig wird, endet die Nummer doch ganz anders, als man es eigentlich vom strahlenden (männlichen) Helden so einer Geschichte erwarten würde…
Fazit: Ein gnadenlos abgefuckter und auf verdammt kranke Weise unterhaltsamer Horror-Spaß mit beachtlichem Ekelfaktor, der auch ein ganz hervorragendes Double Feature mit „Promising Young Woman“ abgeben würde.
Wir haben „Fresh“ im Rahmen der Fantasy Filmfest Nights 2022 gesehen, wo er als Abschlussfilm gezeigt wird.
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