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    Effigie - Das Gift und die Stadt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Effigie - Das Gift und die Stadt

    Deutschlands erste verbürgte Serienmörderin

    Von Karin Jirsak

    Regisseur Udo Flohr bezeichnet Gesche Gottfried, die historisch reale Hauptfigur seines Spielfilmdebüts „Effigie - Das Gift und die Stadt“, als „eine Art weibliche Version von Hannibal Lecter“. Bevor sie für ihre Verbrechen überführt wurde, nannte man die erste verbürgte Serienmörderin Deutschlands noch den Engel von Bremen – eine gutbürgerliche Fassade, unter deren Deckmantel die scheinbar so hilfsbereite Witwe von 1813 bis 1827 insgesamt 15 Menschen tötete, darunter ihre Eltern, ihren Zwillingsbruder, ihre Ehemänner und sogar ihre eigenen Kinder.

    Es sind grausame Taten, die Gottfried inzwischen sogar in den Stand einer morbiden Kultfigur versetzt haben: Neben dem Theaterstück „Bremer Freiheit“ (1971) von Rainer Werner Fassbinder, das dieser ein Jahr später auch selbst verfilmte, wurden dem Fall Gottfried bisher unter anderem ein Hörspiel, eine Graphic Novel und sogar eine Oper gewidmet. Das Neuartige an Udo Flohrs Kino-Interpretation: Eine fiktive Gegenspielerin soll der Bremer Giftmörderin ein Geständnis abringen.

    Gesche Gottfried (Suzan Anbeh) wird von alen für ihre guten Taten bewundert - ist aber eine heimtückische Giftmörderin.

    Die junge Cato Böhmer (Elisa Thiemann) kommt im Jahr 1828 aus Göttingen nach Bremen, um den Untersuchungsrichter Droste (Christoph Gottschalch) bei Verhören als Protokollantin zu unterstützen. Der Senator ist zunächst alles andere als begeistert, hatte er doch angenommen, ihm werde ein männlicher Helfer gesendet. Doch als die Witwe Gesche Gottfried (Suzan Anbeh) in Verdacht gerät, mehreren Personen eine tödliche Dosis Arsen verabreicht zu haben, bekommt Cato die Chance, sich zu beweisen: Wird es ihr gelingen, der Verdächtigen das dringend benötigte Geständnis zu entlocken?

    Die Kontrolle über Leben und Tod

    Andere schaudern vor dem Tod, mich hat er stärker gemacht“, erklärt Gesche Gottfried in einem Verhör. Ein Satz, der nahelegt, dass es ihr bei den Morden wohl um mehr ging als nur um materielle Bereicherung. Wie schon Rainer Werner Fassbinder in „Bremer Freiheit“ erkennt nun auch Udo Flohr hinter den Giftmorden einen Drang, Kontrolle auszuüben in einer Zeit, in der Frauen ansonsten allgemein wenig Kontrolle selbst über ihr eigenes Leben zuteilwurde. Diesen Konflikt verkörpert in der von Flohr gewählten Aufstellung neben Gottfried auch ihre Gegenspielerin Cato Böhmer. Tatsächlich hat es diese Schlüsselfigur des Films nie gegeben – in Wahrheit führte damals ein 49-jähriger promovierter Jurist das Protokoll.

    Mir gefiel der Gedanke, dass eine Frau eine Frau jagt“, erklärt der Regisseur seine Entscheidung. „Und dass eine Frau eine andere unter Umständen besser versteht als ein Mann.“ Eine grundsätzlich stimmige Idee, die aber in der Umsetzung nicht ganz aufgeht. Dafür fehlt es Cato Böhmer zu sehr an aktiver Raffinesse und an der psychologischen Tiefenschärfe, die etwa Clarence Starling in „Das Schweigen der Lämmer“ zum gleichwertigen Gegenüber für Hannibal Lecter macht. Über Leben und Hintergrund der Protokollantin erfahren wir kaum mehr, als dass ihr Vater ein Professor in Göttingen ist – über ihre persönlichen Motive, sich in der Männerwelt der Juristerei behaupten zu wollen, erfahren wir hingegen sogar gar nichts. Gerade hier hätte Flohr seine Sympathieträgerin aber, wenn er schon eine fiktionale Figur in den historischen Fall einbringt, besser mit klareren Konturen ausstatten sollen.

    Cato Böhmer (Elisa Thiemann) soll der Serienmörderin unbedingt ein Geständnis entlocken - denn es ist kaum möglich, einen Giftmord nachzuweisen.

    Auf der anderen Seite ist Suzan Anbeh („Der Weihnachtskrieg“) als Gesche Gottfried zwar vor allem physisch sehr präsent – das Verführerische und Manipulative ihrer Darstellung überlagert aber ein wenig das subtil Unheimliche und Verstörende, das das reales Vorbild bis heute umweht. Nichtsdestotrotz ist Udo Flohr mit seinem Debüt ein sehenswerter Kriminal-Historienfilm gelungen, der vor allem für Einsteiger*innen in den Fall interessant ist. Dabei entfaltet „Effigie – Das Gift und die Stadt“ seine Kraft vor allem in der Darstellung der giftigen Details: Weiße Körnchen auf dem Speck, „Mäusebutter“ (eine Mischung aus Schmalz und Arsen) im Tee – es sind solche kleinen, hübsch fies in Szene gesetzten Dinge, die schaudern lassen.

    Dazu kommt noch das Wissen, wie einfach es zu Gottfrieds Zeiten noch gewesen ist, mit einem Giftmord unentdeckt zu bleiben: Bevor der britische Chemiker James Marsh im Jahr 1836 die sogenannte Marshsche Probe entwickelte, war es kaum möglich, selbst ein so leicht zu beschaffendes Gift wie Arsen nachzuweisen. Welche psychische Disposition nun Gesche Gottfried dazu trieb, zu diesem Mittel zu greifen, um damit fast alle der ihr nahestehenden Menschen auszulöschen, wird wohl für immer ein Rätsel der Kriminalgeschichte bleiben. Daran wird auch „Effigie – Das Gift und die Stadt“ nichts ändern.

    Fazit: Längst nicht so furchterregend wie Hannibal Lecter in „Das Schweigen der Lämmer“ und als Psychogramm mit feministischen Untertönen außerdem ein wenig vage – und trotzdem ist „Effigie - Das Gift und die Stadt“ doch noch ein recht spannender Historienkrimi über den Fall der berühmten Giftmörderin Gesche Gottfried geworden.

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