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    Der Tod wird kommen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Der Tod wird kommen

    Nah an den Gefrierpunkt heruntergekühlt

    Von Jochen Werner

    In den ersten Minuten von „Der Tod wird kommen“ stehen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft direkt nebeneinander. Die Vergangenheit, das ist ein Gemälde des italienischen Barockmalers Giuseppe Maria Crespi – „Hekabe blendet Polymnestor“ –, in dessen Rahmen ganz gegenwärtig einige dicke Geldscheinbündel geschmuggelt werden. Diesmal geht diese Routineoperation allerdings schief, der Geldkurier wird an der luxemburgischen Grenze festgenommen, und nach einem harten Schnitt werfen wir gemeinsam mit dem Gangster Charles Mahr (Louis-Do de Lencquesaing) einen Blick in die Zukunft: Mit einer Virtual-Reality-Brille sitzt Mahr da und fingert an einer Sexpuppe herum – „die Zukunft ist da“, verspricht später einmal ein Schild auf der tristen Baustelle des geplanten VR-Bordells.

    Ob diese Zukunftsvision einer Sexarbeit ohne menschliche Kontakte nun vorrangig als erfolgsträchtiges (und legales!) Geschäftsmodell erscheint oder doch techno-dystopische Züge trägt, sei mal dahingestellt. Es wird ohnehin nicht Thema dieses Films sein, den der deutsche Regisseur Christoph Hochhäusler („Die Lügen der Sieger“) erstmals außerhalb Deutschlands (nämlich in Belgien) gedreht hat. Eher geht es hier um einen (Macht-)Menschen, der einen Umgang finden muss mit der Gewissheit, dass diese Zukunft – wie immer sie auch aussehen mag – nicht mehr die seine sein wird. Denn Charles Mahr ist todkrank. Und dem Bewusstsein zum Trotz, dass es für ihn nicht mehr viel Zukunft geben wird, ist Mahr wild entschlossen, keinen Millimeter preiszugeben von dem bisschen Gegenwart, das ihm noch bleibt.

    Der Auftrag der Profi-Killerin Tez (Sophie Verbeeck) ist nur scheinbar klar definiert. Heimatfilm
    Der Auftrag der Profi-Killerin Tez (Sophie Verbeeck) ist nur scheinbar klar definiert.

    Die Rolle der Todbringerin übernimmt die Auftragsmörderin Tez (Sophie Verbeeck), auch wenn anfangs vielleicht noch niemandem so richtig klar ist, als wessen Todesengel sie hier eigentlich in Erscheinung tritt. Von Mahr engagiert sie, um den Tod seines festgenommenen Fahrers aufzuklären, dessen Kaution zunächst von einem Unbekannten bezahlt und der kurz darauf in seinem Hotelzimmer erschossen wird. So gerät Tez rasch zwischen die Fronten in einem immer unübersichtlicheren Gespinst aus Eigeninteressen, Täuschungsmanövern und Doppelspielen. Und im Zentrum von allem stößt sie immer wieder auf Mahr selbst, der bis zuletzt alle Fäden in der Hand zu behalten versucht…

    „Wunderbar ist die Katz‘ mit Hundehaar“ lautet der einzige deutschsprachige Satz in diesem von Hochhäusler ansonsten komplett in französischer Sprache inszenierten Film – und der bringt wortspielerisch ein grundlegendes Erzählprinzip hinter dem Maskenspiel von „Der Tod wird kommen“ auf den Punkt: Niemand geht hier so ganz ausschließlich in der Rolle auf, die ihm das Plotkonstrukt um den sterbenden Gangsterboss und das offene wie das verborgene Gerangel um dessen Nachfolge zuweist. Die jeweiligen Interessenlagen fächern sich stattdessen immer komplexer und vermeintlich widersprüchlicher auf, und vielleicht ist der Tod in diesem Geflecht am Ende gar nicht nur der unausweichliche Fluchtpunkt aller letzten Dinge, sondern ein insgeheim ersehnter Moment der Gnade.

    Schlafwandelnde Figuren stolpern durchs Ungewisse

    „Der Tod wird kommen“ ist ein aus schweren Substanzen gewobener Film, der erst ganz zum Ende hin für eine einzelne, dafür aber umso beeindruckender inszenierte Sequenz auf Mittel des klassischen Spannungskinos setzt. Über weite Strecken geht es vielmehr um Figuren, die einander umschleichen, während sie Verschiedenes übereinander wissen, ahnen, nicht wissen – um ein stetiges, auch ein wenig somnambules Herumirren in einer Welt mit wenigen Gewissheiten. Das ist ein Stoff, der gut zu den künstlerischen Sensibilitäten von Hochhäusler und seinem Co-Autoren Ulrich Peltzer passt. Denn auch das Duo hier in die Traditionen des Polar, des französischen Kriminalfilms, eintreten und somit ganz neues Genreterrain betreten, gibt es in ihrer neuen gemeinsamen Arbeit durchaus auch Anklänge an den ebenfalls von Peltzer geschriebenen „Unter dir die Stadt“ – Hochhäuslers bis heute besten und eigenwilligsten Film.

    Doch wo „Unter dir die Stadt“ gerade dadurch faszinierte, dass er in vieler Hinsicht so konsequent und mutig im Vagen und in der Abstraktion verblieb, geht „Der Tod wird kommen“ auch in seinem Genre auf. Das hier ist keineswegs eine abstrakte Formübung über das Genrekino, sondern ein so kühl wie elegant inszenierter Gangsterfilm: vom brillanten Kameramann Reinhold Vorschneider in ungemein verführerische Bilder gegossen und mit einer klirrend-kristallinen Filmmusik der in Kinshasa geborenen Film- und Theaterkomponistin Nigji Sanges weiter gen Gefrierpunkt heruntergekühlt.

    Wie in „Verbrannte Erde“ liefert Reinhold Vorschneider auch hier wieder grandios-runtergekühlte Noir-Bilder. Heimatfilm
    Wie in „Verbrannte Erde“ liefert Reinhold Vorschneider auch hier wieder grandios-runtergekühlte Noir-Bilder.

    Gar nicht zuletzt ist „Der Tod wird kommen“ schließlich – und auch darin ähnelt er „Unter dir die Stadt“ – ein großartiger Stadtfilm, der vieles ganz unmittelbar über die Architekturen erzählt, in denen Hochhäusler die Reiz- und Reaktionsschemata der Genreerzählung verortet. Dabei erzählt er sowohl die modernistischen Glas- und Metallarchitekturen der europäischen Metropole Brüssel als auch die schäbigen Seitenstraßen, die Abrissbrachen, die Nichtorte. Natürlich lässt das mitunter auch ein wenig an Thomas Arslans „Verbrannte Erde“ denken, jenen anderen, ebenfalls von Reinhold Vorschneider fotografierten Vorschlag eines Noir-Kriminalfilms aus deutscher Autorenfilmhandschrift. Aber „Der Tod wird kommen“ ist doch bewusst und konsequent in einer anderen kinematografischen Traditionslinie verankert.

    Fazit: Der Schritt hinaus aus den (rein) deutschen Filmproduktionszusammenhängen tut Christoph Hochhäusler gut, und sein erster in französischer Sprache inszenierter Film ist der bislang stimmigste Beitrag zu seiner fortlaufenden Arbeit an einem kontemporären europäischen Genrekino. „Der Tod wird kommen“ überzeugt als kühl-elegantes und stets auch ein wenig distanziertes Vexierspiel um die ganz großen menschlichen Themen in Form eines im schönsten Sinne klassizistischen Genrestücks.

    Wir haben „Der Tod wird kommen“ im Rahmen des Locarno Filmfestival 2024 gesehen.

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