Zu sehr in Richtung Oscars geschielt
Von Christoph PetersenAm 2. April 1863 wurde ein Mann namens Gordon in einem Militärcamp in der Nähe von Baton Rouge im Rahmen seiner Tauglichkeitsuntersuchung für das Unionsheer fotografiert. Drei Monate später ging das Bild seines vernarbten Rückens unter dem Titel „Gepeitschter Peter“ um die Welt und half dabei, die Stimmung endgültig zu Gunsten der Abolitionsbewegung zu drehen. Zuvor war dem versklavten Afroamerikaner, der jahrelanges Auspeitschen mit einem Lederriemen über sich ergehen lassen musste, eine etwa 120 Kilometer lange Flucht durch die Sümpfe Louisianas gelungen – immer mit Bluthunden an den Fersen, deren Geruchssinn er nur überlisten konnte, indem er sich immer wieder von oben bis unten mit Zwiebeln einrieb.
Regisseur Antoine Fuqua („The Equalizer“), Drehbuchautor Bill Collage („Assassin’s Creed“) und Superstar Will Smith („Bad Boys For Life“) haben sich dieser historischen Geschichte nun angenommen – und die Auswertungsrechte an „Emancipation“ nach einem Bieterwettstreit für kolportierte 130 Millionen Dollar an den Streaming-Service Apple TV+ verkauft. Das Ergebnis ist ein Film, der sich im Kern zwar als geradliniger Survival-Genrefilm gebiert, darüber hinaus aber seine eigenen (Awards-)Ambitionen mit aller Kraft in den Vordergrund rückt. Das ist nicht nur deshalb eine blöde Idee, weil sich das mit Will Smith und den Oscars nach seinem Ohrfeigen-Eklat ohnehin erst einmal erledigt haben dürfte, es schadet „Emancipation“ auch als Film. Die (über-)betont künstliche Inszenierung und das tatsächlich nominierungswürdige Spiel von Will Smith deuten nämlich eine Tiefe an, die „Emancipation“ nicht mal ansatzweise erreicht.
Peter (Will Smith) wagt die Flucht durch den Sumpf – zunächst noch mit zwei anderen Männern, aber schon bald ist er komplett auf sich allein gestellt.
Mit der am 1. Januar 1863 in Kraft tretenden Emanzipationsproklamation schafft die US-Regierung von Abraham Lincoln die Sklaverei offiziell ab. In den folgenden Monaten spricht sich diese Neuigkeit auch bei den versklavten Afroamerikaner*innen in den Unionsstaaten herum, wo das Gesetz aber noch keine rechtliche Bindung entfaltet. Trotzdem motiviert es den von seiner Familie getrennten und von seinem ehemaligen Sklavenhalter für den Eisenbahnbau abgestellten Peter (Will Smith), die Flucht zu wagen. Zwischen ihm und der Freiheit liegen allerdings noch mehr als 100 Kilometer Sumpf.
Neben all den Unwägbarkeiten und Gefahren, die dort eh schon lauern, heftet sich obendrein auch noch der sadistische Menschenjäger Jim Fassel (Ben Foster) mit seinen Bluthunden an seine Fersen. Peters Frau Dodienne (Charmaine Bingwa) hat auf einer Farm derweil mit ähnlich existenzialistischen Herausforderungen zu kämpfen: Die Aufpasser beginnen sich langsam für ihre Teenager-Tochter zu interessieren – und als sie selbst weiterverkauft wird, bleibt Dodienne nur noch ein Ausweg, um nach ihrem Mann nicht auch noch von ihren Kinder weggerissen zu werden…
„Emancipation“ ist kein Schwarz-Weiß-Film, selbst wenn es auf den ersten Blick so anmutet. Die Farben sind nur derart entsättigt, dass fast alles so aussieht, als sei es schwarz-weiß. Je nach Ausleuchtung gibt es dann trotzdem immer mal wieder leichte Farbtupfer – hier ein paar grünliche Grashalme, dort eine orangene Flamme. Aber wo die wenigen Farbmomente in Filmen wie „Schindlers Liste“ oder „Sin City“ noch ganz bewusst eingesetzt wurden, um bestimmte Dinge (wie eben den roten Mantel des jüdischen Mädchens im Krakauer Getto) ganz besonders herauszustellen, wirkt die Farbgebung in „Emancipation“ eher zufällig bis beliebig. Es ist richtiggehend ablenkend, wenn man nach jedem Schnitt erst einmal den Hintergrund sondiert, ob sich nicht doch irgendwo ein wenig Farbe hineinverirrt hat, bevor man sich wieder den eigentlichen Protagonist*innen der Szene zuwendet. Klar, das historische Foto ist auch schwarz-weiß – aber am Ende dürfte hier doch die Überlegung im Vordergrund gestanden haben, „Emancipation“ einen zusätzlichen Anspruchs-Anstrich zu verpassen.
Dabei ist die Story von „Emancipation“ im Kern ganz simpel – und erinnert vor allem an jene klassischen Western, in denen böse Männer einem Flüchtigen mit der Hilfe von (oft auch indigenen) Fährtenlesern hinterherjagen. Nur gibt es hier eben nicht die weite Prärie des Wilden Westens, sondern die mit Louisiana-Moos verhangenen Südstaaten-Sümpfe, die schon in den ersten überfliegenden Drohnen-Aufnahmen des Films visuell echt was hermachen. Ebenfalls von Beginn an klar ist, dass Antoine Fuqua keine Gefangenen macht – da sieht man nicht nur die aufgespießten Köpfe von Jim Fassels Opfern, auch der Einsatz seiner Hunde ist schmerzhaft grafisch in Szene gesetzt. Bei der strapaziösen Flucht kommt einem gar Alejandro González Iñárritus ähnlich kompromissloser Survival-Rache-Thriller „The Revenant – Der Rückkehrer“ in den Sinn, gerade da sich Will Smith – wie einst Bären-Besieger Leonardo DiCaprio – einen gnadenlosen Auf-Leben-und-Tod-Zweikampf mit einer vermeintlich übermächtigen Kreatur liefert.
Jim Fassel (Ben Foster) gibt sich nie geschlagen – sondern bleibt den Flüchtigen so lange auf den Fersen, bis er sie wieder eingefangen (oder umgebracht) hat.
Anders als Steve McQueen in „12 Years A Slave“ findet Antoine Fuqua in „Emancipation“ allerdings kaum neue Wege, um sich mit der Misshandlung der versklavten Afroamerikaner*innen auseinanderzusetzen – es sind dieselben unmenschlichen Sklavenhalter-Sadisten (darunter auch Steven Ogg, der Darsteller von Trevor aus „GTA V“), die dieselben unmenschlichen Dinge tun wie in so vielen anderen Filmen zuvor. So bleibt vor allem eine Szene im Gedächtnis, in der ausnahmsweise mal kein Blut fließt und auch keine Peitsche geschwungen wird: Als Peter auf der Flucht an einem Plantagenhaus vorbeikommt, sitzt dort gerade eine Familie beim Essen – und es ist nicht etwa der Patriarch, sondern die kleine Tochter mit blonden Locken und hübschem Kleid, das aufspringt, die Glocke läutet und dem Flüchtenden ganz selbstverständlich die Menschenjäger-Meute auf den Hals hetzt.
Will Smith spielt das alles mit einer würdevollen Körperlichkeit, als würde die ganze Last der Welt auf seinen Schultern lasten, er im selben Moment aber auch den unzerstörbaren Willen besitzen, sie überallhin tragen zu können. Dazu kommt ein breiter kreolischer Akzent, mit dem er selbst seinem unnachahmlichen, mit dem Oscar als Bester Hauptdarsteller prämierten Sprachgestus als Richard Williams in „King Richard“ Konkurrenz macht. Es ist eine Performance, die viel tiefer geht als die Figur, über die wir im Film ansonsten so gut wie nichts erfahren – selbst über Ben Fosters Jim wissen wir mehr, wenn er in einem längeren Monolog von seiner Origin Story als rassistisches Monster berichtet. Sowieso muss man sich die Frage stellen, ob es dem historischen Gordon eigentlich gerecht wird, ihm eine so glatte Heldengeschichte anzudichten. Denn seine realen Taten sollten eigentlich vollkommen ausreichen, um ihm einen Platz in den Geschichtsbüchern zu sichern. Da hätte es einer solchen Hollywood-Heroisierung samt Unterwasser-Alligator-Fight eigentlich gar nicht bedurft.
Fazit: „Emancipation“ hätte das Zeug zum mitreißenden Survival-Thriller gehabt – bremst sich durch seine übertrieben-ausgestellten Awards Ambitionen aber immer wieder selbst aus.