Alles auf Anfang – und weit weg von Stephen King
Von Lutz GranertStephen Kings 1978 erschienener Sammelband „Nachtschicht“ ist legendär! Fast alle der 16 enthaltenen Kurzgeschichten wurden bereits verfilmt – darunter etwa „Manchmal kommen sie wieder“, „Der Rasenmäher-Mann“ oder „The Boogeyman“. Eine der Storys erfreut sich bei Filmproduzenten*innen jedoch einer ganz besonderen Beliebtheit: „Kinder des Mais“ (Originaltitel: „Children Of The Corn“). Die erste Verfilmung der Erzählung rund um die Schreckensherrschaft Halbwüchsiger und eine Mais-Gottheit erfolgte im Jahr 1984 als „Kinder des Zorns“. Der Genre-Hit zog acht (!) vor allem für den Videomarkt produzierte und inhaltlich zunehmend generische Fortsetzungen nach sich, die irgendwann auch nur noch vage Bezüge zur literarischen Vorlage erkennen ließen.
2009 gab es zudem ein TV-Remake des Originalfilms, das allerdings kaum größere Beachtung fand. Kein Wunder also, dass Co-Produzent Lucas Foster beim aktuellsten Eintrag in die Reihe besonders betont, dass sich der neue „Kinder des Zorns“ eben NICHT auf die Erstverfilmung beziehen, sondern ausgehend von Kings Kurzgeschichte inhaltlich gänzlich eigene Wege einschlagen würde. Der unter hohen Gesundheitsschutzauflagen während des Corona-Lockdowns in Australien gedrehte Horror-Thriller verpasst es aber trotzdem, der ausgebluteten Reihe eine dringend notwendige Frischzellenkur zu verpassen. Auch einige stilbewusste Bilder und saftige Gore-Einlagen können die spannungsfreie Inszenierung von Regisseur Kurt Wimmer („Equilibrium“) nicht retten.
Die Lebensgrundlage der Menschen im Kaff Rylstone im US-Bundesstaat Nebraska ist seit jeher der Mais. Aber gerade der ist nun in Gefahr: Nach dem Einsatz von Herbiziden für einen größtmöglichen Ertrag hat ein Pilz viele der Nutzpflanzen befallen, der Boden ist ausgedorrt. Der Farmer Robert Williams (Callan Mulvey) und die allermeisten Bewohner*innen von Rylstone sehen keinen anderen Ausweg, als eine Subvention der Regierung für die Verschüttung der absterbenden Pflanzen in Anspruch zu nehmen.
Die Kinder des Ortes sind dagegen – darunter auch Roberts eigene Tochter Boleyn (Elena Kampouris). Die angehende Mikrobiologie-Studentin fasst einen Plan: Sie will die Investigativ-Journalistin Sheila Boyce (Anna Samson) dazu bringen, über die mutlosen Farmer ihres Heimatortes zu berichten. Doch die biestige Eden (Kate Moyer), die wie die anderen Kinder des Ortes einer mysteriösen Mais-Gottheit huldigt, hat mit den Erwachsenen ganz andere (und sehr viel blutigere) Pläne…
Kurt Wimmer („Equilibrium“) fackelt in seiner ersten Regiearbeit seit seinem bei Kritik wie Publikum durchgefallenen Action-Flop „Ultraviolet“ (2006) nicht lange. Nach einigen sonnendurchtränkten Aufnahmen der sich im Wind wiegenden Maispflanzen versuchen die Behörden in der Anfangsviertelstunde, einen Geiselnehmer im örtlichen Waisenhaus mit dem Einleiten des Narkosemittels Halothan unschädlich zu machen. Blöd nur, dass die Dosierung zu hoch ist – und neben dem bewaffneten Täter auch alle 15 Waisenkinder sterben. Mit dem eigentlichen Plot (oder gar der Vorlage von Stephen King) hat das allerdings nichts zu tun. Zumal es den Prolog auch rein dramaturgisch gar nicht gebraucht hätte:
Schließlich sind alle Kinder des Ortes auch schon so entweder mit Alkoholismus und Ehebruch, häuslicher Gewalt, Mobbing, Pädophilie oder allgemeiner Perspektivlosigkeit konfrontiert. In der arg dick aufgetragenen Bandbreite an Klischee-Problemen ist für alle bedröppelt dreinblickenden Halbwüchsigen, welche die Wurzeln ihrer Maispflanzen liebevoll mit Blut versorgen, etwas Passendes dabei. Da ist es nicht verwunderlich, wenn Netflix-Serienstar Elena Kampouris („Jupiter’s Legacy“) mit ungläubig-sorgenvollem Einheitsgesichtsausdruck als Identifikationsfigur so austauschbar bleibt wie ihre halbherzig-gesellschaftskritischen Dialogzeilen zu nachhaltiger Landwirtschaft. Kate Moyer (aus der Disney-Serie „Holly Hobbie“) agiert als Eden mit zynisch vorgetragenen Gewaltfantasien ungleich spielfreudiger – wirkt aber beim vehementen Predigen von einem Pult oder mit ihrem übertriebenen Faible für die Rote Königin aus „Alice im Wunderland“ allzu cartoonesk überzeichnet.
Subtilität ist für Kurt Wimmer beim Umgang mit den Charakteren ein Fremdwort. Bis zum pflichtbewussten, herbeikonstruierten finalen Cliffhanger bietet der Horrorthriller immerhin eine Handvoll deftiger Gewaltspitzen, in denen – bei generell hoher Farbsättigung – das Blut besonders prägnant zur Geltung kommt. Spannung kommt dabei allerdings nicht auf, dafür fehlt es „Kinder des Zorns“ trotz einiger hübscher Kamerafahrten über die Maisfelder an jener stimmungsvollen Gruselatmosphäre, die im Original noch durch das subtile Zusammenspiel vieler kleiner Merkwürdigkeiten herausbeschworen wurde.
Fazit: „Kinder des Zorns“ versteht sich als Vorgeschichte und freie Neuinterpretation von Stephen Kings Kurzgeschichte. Ohne jegliche Spannung und garniert mit halbgaren Öko-Botschaften ist der Neustart aber gründlich misslungen.