Die Stimme einer Generation – in einem Biopic aus der Retorte
Von Christoph PetersenSeit dem Welterfolg von „Bohemian Rhapsody“, der mit seinem globalen Einspielergebnis von mehr als 900 Millionen Dollar plötzlich in der absoluten Blockbuster-Liga mitspielte, ist im Genre der musikalischen Superstar-Biopics eine Goldgräberstimmung ausgebrochen. Allerdings sollten sich die Filmemacher*innen dabei im besten Fall etwas trauen: Denn wo die auch inszenatorisch überbordenden „Rocketman“ und „Elvis“ ebenfalls gutes Geld an den Kinokassen eingespielt haben, fiel es dem brav der Biopic-Formel folgenden „Respect“ zuletzt schon deutlich schwerer, ein größeres Publikum in die Säle zu locken.
„Whitney Houston: I Wanna Dance With Somebody“ von Kasi Lemmons („Harriet“) fällt nun eindeutig in die zweite Kategorie. Schon bevor sich der Vorhang öffnet, kann man sich ziemlich genau vorstellen, was da in den kommenden zwei Stunden und 24 Minuten zu sehen sein wird. Die einzige echte Überraschung ist der Umgang mit der möglichen lesbischen Beziehung zwischen Whitney Houston und ihrer langjährigen besten Freundin Robyn Crawford – sowie die Erkenntnis, wie verdammt gut Naomi Ackie („Mickey 17“) in der Rolle achtfachen Grammy-Gewinnerin doch ist…
Als sie 1991 die Hymne beim Super Bowl singt, weigert sich Whitney Houston (Naomi Ackie), im Kleid aufzutreten – und avanciert stattdessen im Jogginganzug zur absoluten Stilikone.
Von ihrer ebenfalls schon als Sängerin erfolgreichen Mutter Cissy Houston (Tamara Tunie) im Gospel-Gesang ausgebildet, wird Whitney Houston (Naomi Ackie) im Jahr 1983 von der Produzenten-Legende Clive Davis (Stanley Tucci) unter Vertrag genommen. Nur zwei Wochen später absolviert die 19-Jährige ihren ersten TV-Auftritt – und singt sich mit dem Song „Home“ auf Anhieb in die Herzen des Publikums. Ihr Album „Whitney Houston“ avanciert zum erfolgreichsten Solo-Debütalbum aller Zeiten. Zu Beginn ihrer kometenhaften Karriere, die 1992 mit dem Kino-Welterfolg „Bodyguard“, sieht sich die Sängerin mit dem Vorwurf konfrontiert, dass ihre Musik „nicht Schwarz genug“ sei.
Kurz darauf heiratet Whitney Houston den R&B-Sänger Bobbi Brown (Ashton Sanders), mit dem sie später eine Tochter bekommt. Während ihr Ehemann ständig fremdgeht und ihr eigener Vater John Houston (Clarke Peters) ihre Millionen für seine eigenen Liebschaften verprasst, wendet sich Whitney unter der Last der pausenlosen Tourneen zunehmend dem Alkohol und stärkeren Drogen zu. Außerdem wirkt sich ihr ungesunder Lebensstil auch auf ihre Stimme aus – und der Druck, noch immer so singen zu müssen wie zu Beginn ihrer Karriere, verschlimmert die Situation noch zusätzlich…
Wenn sich die obige Inhaltsangabe ein wenig wie der Ausschnitt eines Wikipedia-Artikels über die Sängerin liest, dann ist das sicher kein Zufall. Vielmehr fühlt sich „I Wanna Dance With Somebody“ insgesamt an wie ein durchgehecheltes Best-Of, in dem die zentralen Momente allzu pflichtbewusst abgehakt werden. Der inzwischen auf Biopics abonnierte Drehbuchautor Anthony McCarten, der neben „Bohemian Rhapsody“ u.a. auch schon Filme über Winston Churchill („Die dunkelste Stunde“) und Stephen Hawking („Die Entdeckung der Unendlichkeit“) geschrieben hat, interessiert sich spürbar mehr fürs Private als fürs Künstlerische. Das Problem dabei ist nur: Wenn jahrelange Streitereien mit Ehemann oder Vater im Film auf ein oder zwei Szenen verdichtet werden, wirken diese fast zwangsläufig wie ein hohles Klischee – das Mitfühlen fällt da eher schwer.
Zum Ende hin wird’s sogar ein wenig ärgerlich, wenn das The Beverly Hilton Hotel mit einer Drohnenaufnahme eingeführt wird – bevor wir einen unheilvoll tropfenden Wasserhahn in Großaufnahme zu sehen bekommen. Natürlich weiß das Publikum, dass Whitney Houston in diesem Badezimmer in wenigen Stunden in der Wanne ertrinken wird – aber das ist dann doch eher Klatschpresse-Niveau. Ganz im Gegensatz übrigens zum Umgang mit einer möglichen lesbischen Beziehung, die Whitney Houston zu Beginn ihrer Karriere wahrscheinlich mit ihrer besten Freundin und späteren künstlerischen Leiterin Robyn Crawford (Nafessa Williams) gehabt hat, bevor sie an den Ansprüchen ihrer Karriere sowie den Geboten der Bibel zerbrochen ist. Diese erst in den vergangenen Jahren bekanntgewordene Facette ihres Lebens wird im Film weder verschwiegen noch ausgeschlachtet.
Ein aus drei ultraschwer zu singenden Songs bestehendes Medley bei den American Music Awards 1994 ist wahrscheinlich der gesanglich forderndste Moment in der Karriere von Whitney Houston – und nun auch der Höhepunkt in ihrem Biopic.
Wenn wir zu Beginn des Films kurz beim Dreh des bahnbrechend-flippigen Musikvideos zum titelgebenden Song „I Wanna Dance With Somebody“ vorbeischauen, fällt besonders auf, wie pflichtbewusst, aber uninspiriert der Film eigentlich inszeniert ist. Da stehen all diese neonfarben angesprühten Plastikfolien-Wände herum – aber Filmemacherin Kasi Lemmons und ihr Chef-Kameramann Barry Ackroyd („Flug 93“) holen da visuell kaum etwas heraus und vermitteln dem Publikum auch keinerlei Eindruck von der künstlerischen Vision hinter dem Videodreh. Eine sehr mutige Entscheidung hat die Regisseurin aber trotzdem getroffen: Schon die ersten Szenen deuten an, dass Whitney Houstons legendärer Auftritt bei den American Music Awards 1994 als dramaturgische Klammer fungieren und der Film ganz zum Schluss noch einmal zu diesem Höhepunkt-Moment ihrer Karriere zurückkehren wird.
Und dass das fast zehnminütige Medley, das die Sängerin selbst mit der Besteigung des Mount Everest ohne Sauerstoff verglichen hat, dann nach all dem Gehetze der vergangenen zwei Stunden plötzlich in nahezu voller Länge zu sehen ist, erweist sich als freudige Überraschung – denn da gibt es plötzlich all die Gänsehautmomente, die man zuvor vermisst hat. Sowieso ist „I Wanna Dance With Somebody“ immer dann am besten, wenn der Film mal zur Ruhe kommt, den Figuren Raum gibt und die Schauspieler*innen scheinen lässt.
Speziell eine Szene sticht dabei heraus: Clive Davis, der beim ersten Treffen noch gesagt hatte, dass er sich um ihre musikalischen, aber nicht um ihre privaten Probleme kümmern wird, tritt plötzlich als väterlicher Freund auf und legt seiner Mandantin voller Empathie, aber auch mit einer absoluten Bestimmtheit eine Entziehungskur nahe. Das ist ebenso niederschmetternd wie rührend.
Naomie Ackie und Stanley Tucci sind ganz einfach das Herz des Films – und damit neben der Musik von Whitney Houston zugleich der Grund, warum „I Wanna Dance With Somebody“ selbst als durch und durch generisches Superstar-Biopic immer noch sehenswert ist.
Fazit: Whitney Houston hatte eine Stimme, wie man sie nur einmal unter Millionen findet – aber solche Biopics wie „I Wanna Dance With Somebody“ gibt es wie Sand am Meer. Für die trotz des generischen Skripts und der zweckdienlichen Regie durchaus vorhandenen Gänsehautmomente sorgen so ausschließlich Naomi Ackie und Stanley Tucci mit ihren herausragenden Schauspielleistungen.
P.S.: Wer wie ich die ganze Zeit gebannt darauf wartet, welcher Schauspieler denn wohl Kevin Costner verkörpern wird, den oder die müssen wir leider „enttäuschen“. Der „Bodyguard“-Star ist nur in Filmausschnitten (als er selbst) zu sehen. Das war wahrscheinlich aber die richtige Entscheidung, denn egal wer ihn spielt, es hätte wohl auf jeden Fall eher absurd gewirkt.