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    Ennio Morricone - Der Maestro
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Ennio Morricone - Der Maestro

    Bach, Beethoven, Morricone

    Von Björn Becher

    Vor einigen Jahren war ich bei einem mehrstündigen Best-Of-Konzert mit der Musik von Ennio Morricone - und am Ende haben trotzdem noch etliche Stücke gefehlt, die man eigentlich unbedingt in einer solchen Zusammenstellung erwartet hätte. Das zeigt, wie viel herausragende Musik Morricone komponiert hat. Er hat schließlich nicht nur Scores für Filme und Serien gemacht, sondern auch für zahlreiche italienische und internationale Sänger*innen gearbeitet und sogar eigene Klassik-Alben herausgebracht. Für viele ist Morricone auch wegen dieser Schaffensbreite nicht nur der bedeutendste Filmmusiker aller Zeiten, sondern auf einer Stufe mit Mozart, Beethoven und Bach anzusiedeln.

    Mit seinem Dokumentarfilm „Ennio Morricone - Der Maestro“ liefert Giuseppe Tornatore, für dessen Spielfilme Morricone ebenfalls einige Scores beigesteuert hat, nun vor allem einen fesselnden Einblick in dessen ganz eigene Art, Musik zu schaffen. Dabei stellt sich der „Cinema Paradiso“-Regisseur immer wieder diese eine Frage: Steht Morricones Filmmusik tatsächlich auf einer Stufe mit den Arbeiten der ganz großen Komponisten der Klassik? Aber wie man für die diese Frage am Ende auch beantwortet, sind die zweieinhalb Stunden bis dorthin trotz der epischen, aber dem umfangreichen Schaffens des Musikers eben auch angemessener Laufzeit ein Geschenk für alle Fans des 2020 verstorbenen Maestros.

    Der Maestro: Ennio Morricone.

    Entstanden ist „Ennio Morricone - Der Maestro“ zu großen Teilen unter der engen Mitwirkung des Musikers. Rückgrat des Dokumentarfilms ist ein langes Interview mit Morricone, in dem dieser sein Leben nacherzählt und sich noch einmal an einige besonders prägende Arbeiten zurückerinnert. Gespräche mit Weggefährten von der Komponistenschule, Musiker*innen, die mit ihm arbeiteten oder von ihm inspiriert wurden, sowie Regisseur*innen runden das Porträt gemeinsam mit Film- und Konzertausschnitten ab.

    Gerade der biographische Einstieg dürfte Fans wenig Neues bieten. Wir erfahren einmal mehr, dass Morricone eigentlich gar nicht in die musikalischen Fußstapfen des Vaters treten wollte, dieser ihn aber zwang, Trompeter zu werden. In der Musikschule belegte er zusätzlich zum Trompetenkurs die Meisterklasse für Komposition von Goffredo Petrassi und fand in diesem seinen Mentor. Der nicht zu lange Abriss über die Jugend bereitet aber schon das eigentliche Hauptthema vor. Denn als Morricone nach Anstellungen bei einem Plattenlabel und als Ghostwriter für andere Filmmusiker selbst die ersten Western-Scores komponierte, nutzte er ein Pseudonym. Er schämte sich damals einfach zu sehr, etwas so wie minderwertiges wie Filmmusik zu machen.

    Scores sind keine minderwertige Musik

    Vor allem vor der Reaktion seines Mentors hatte er damals Angst. Wenn Morricone über Petrassi redet und ihm teilweise die Tränen in die Augen schießen, sind das die bewegendsten Passagen. Das Ringen um die Akzeptanz seines Förderers und seiner Kollegen ist ein wichtiger Teil des Dokumentarfilms. Aber auch Morricone selbst musste erst mal lernen, dass es eben keine „Prostitution“ ist, sich als Meister-Komponist, also als sogenannter Maestro, mit vollem Einsatz der Filmmusik zu verschreiben.

    Ein Meilenstein ist dabei natürlich die Arbeit an „Für eine Handvoll Dollar“, die Morricone schlagartig berühmt machte. In diesem Zusammenhang wird nicht nur die bekannte Anekdote eingestreut, dass Sergio Leone und Ennio Morricone beim „Kennenlernen“ feststellten, dass sie alte Klassenkameraden sind. Die Doku zeigt hier auch zum ersten Mal, wie kompromisslos er hinsichtlich seiner Musik sein kann. Für ihn haben Regisseur*innen die Aufsicht über alles – außer über die Musik. Da haben sie nichts zu melden, sagt Morricone dazu.

    Durchbruch mit Leone

    Bei „Für eine Handvoll Dollar“ kam es deswegen sogar mit Leone zum Zwist. Der legte über das große Finale die Musik von „Rio Bravo“ und wollte diese einfach wiederverwenden. Morricone machte damals klar, dass er raus ist, wenn er nicht alles komponieren darf. Hier zeigt sich dann eine der stärksten Ideen von Tornatores Dokumentation: Immer wenn es solche verschiedenen Vorstellungen zur finalen Musik gibt, zeigt er die entsprechende Filmszene in beiden Varianten – und natürlich ist immer die Morricone-Version die bessere.

    Gerade die Anfangssequenz von „Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“ oder die komplette Musik von „Mission“ werden auf diese Weise präsentiert – und so auch besonders ausführlich dargestellt. Hier werden dann nicht nur verschiedene Varianten nebeneinander gestellt, es überlagern sich irgendwann auch die eigentliche Filmszene und bombastische Interpretationen des Stückes bei Morricones Konzerttouren, was die volle Pracht der Musik noch einmal besonders intensiv zur Geltung bringt.

    "Mission" ohne Musik

    Als Morricone das Angebot von Roland Joffé für „Mission“ bekam, wollte er gerade seine Karriere als Filmkomponist beenden. Joffé und Morricone erzählen dann parallel, wie der Regisseur dem Musiker den noch musiklosen Film zeigte und Morricone mit Tränen in den Augen erneut ablehnte: Der Film sei perfekt, er könne ihn mit seinem Score nur ruinieren. Doch irgendwas nagte an Morricone, denn später rief er Joffé an und spielte ihm die außergewöhnliche Komposition vor, die nun zu seinen besten gehört.

    Die Passage über „Mission“ zeigt aber auch ein weiteres Mal, wie Morricone nach Anerkennung strebt. Mit sichtbarer Bitterkeit spricht er auch Jahrzehnte später noch über die Oscarverleihung 1987, wo völlig überraschend nicht er, sondern Herbie Hancock für „Um Mitternacht“ gewann. Der Maestro lässt es sich nicht nehmen, noch einmal zu erklären, warum Hancock nicht hätte gewinnen dürften und gibt freimütig zu, dass er in diesem Moment die Veranstaltung verließ.

    Im Arbeitszimmer von Ennio Morricone.

    Aber es ist nicht immer nur der Bombast der Konzerttouren. Morricone trägt im Interview auch immer wieder einige seiner Stücke selbst vor. Da formt er mit dem Mund Oboenklänge oder jault in einer lustigen Sequenz den „Coyote Call“ nach. Hier bekommen wir auch einen großartigen Einblick in den speziellen Arbeitsprozess des Musikers. Während seine Wohnung ansonsten elegant eingerichtet ist, gibt es im Arbeitszimmer keine Stelle, an der nicht Papier liegt.

    Musikinstrument sucht man hier hingegen vergebens, wie später auch Regisseur Barry Levinson in einem Interviewschnipsel als überraschende Erkenntnis betont. Morricone sitzt mit Bleistift und Papier am Schreibtisch und kritzelt seine Kompositionen unglaublich zügig nieder. Er hört die Musik im Kopf, was Tornatore auch noch zusätzlich illustriert, in dem er den Maestro in die Mitte seines Arbeitszimmers stellt und ein imaginäres Orchester dirigieren lässt.

    Interviews nicht nur mit dem Meister

    Weil bei Morricone so viel im Kopf abläuft, ist es natürlich unglaublich schwer, das in einem Film zu illustrieren. Es ist daher ein Glücksfall, dass Tornatore „Ennio Morricone - Der Maestro“ noch zu Lebzeiten der Legende beginnen konnte, denn ohne das Interview wäre der Film sicherlich um einiges oberflächlicher ausgefallen. Ansonsten sind gar nicht unbedingt die berühmtesten Gesprächspartner wie Quentin TarantinoDario Argento, Bruce Springsteen oder Hans Zimmer auch die interessantesten. Stattdessen können vor allem seine frühen Wegbegleiter am meisten darüber erzählen, wie Morricone doch immer wieder mit seiner Karriere gehadert hat, weil er sich nicht akzeptiert fühlte.

    Auch er selbst spricht darüber, wie er mehrfach mit der Filmmusik aufhören wollte. Inzwischen schätze er sich allerdings glücklich, dass seine Filmmusik nun wie andere klassische Musik akzeptiert wird und wohl niemand mehr auf die Idee käme, sie geringzuschätzen. Ans Aufhören denke er deshalb nicht mehr. Nur kurze Zeit später starb Ennio Morricone im stolzen Alter von 91 Jahren.

    Fazit: Wie nach jedem Morricone-Konzertabend werden sich auch nach „Ennio Morricone - Der Maestro“ wieder viele Fans wünschen, dass vielleicht noch die eine oder andere Komposition mehr enthalten gewesen wäre. Aber das ist natürlich viel mehr ein Lob als ein Schwäche.

    Wir haben „Ennio Morricone - Der Maestro“ auf dem Filmfestival in Venedig gesehen, wo er außer Konkurrenz im offiziellen Programm gezeigt wurde.

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