Ein kunterbuntes Fantasy-Schaulaufen – mit starken Abzügen in der B-Note
Von Sidney ScheringEs ist schwer zu sagen, wie viele eigentlich mal einen hatten. Schließlich vergisst man sie beim Erwachsenwerden – oder es ist einem vielleicht sogar peinlich, über sie zu sprechen. Die Rede ist von Imaginären Freund*innen. Solche oft von Kindern aus Jux herbeifabulierten, zum Erproben der eigenen Kreativität erdachten oder aus einem emotionalen Bedürfnis heraus erschaffenen Wesen bleiben deshalb zumeist biografische Randnotizen. Trotzdem haben sie es schon ein paar Mal nach Hollywood geschafft, etwa als potenzielle Bedrohung im Horrorfilm „Imaginary“ oder als Ausdruck kindlicher Unschuld in Pixars „Alles steht Kopf“.
Und im Tragikomödien-Klassiker „Mein Freund Harvey“ wird die ganze Zeit über gerätselt, ob James Stewart nun mentalgesundheitliche Probleme hat – oder ob sein unsichtbarer Hasenkumpel nicht viel eher für eine beneidenswerte Lebensfreude steht. Nun widmet sich auch „A Quiet Place“-Regisseur John Krasinski dem Thema. In „IF: Imaginäre Freude“ hangelt er sich allerdings so halbherzig von Idee zu Idee, dass die Erinnerung an die Familien-Fantasy-Komödie schneller verblassen dürfte als an die meisten herbeifantasierten Spielgefährt*innen.
Die junge Bea (Cailey Fleming) muss eine emotional zehrende Lebensphase durchstehen, weshalb sie nicht müde wird, gegenüber ihrem gesundheitlich angeschlagenen Vater (John Krasinski) und ihrer Oma (Fiona Shaw) zu behaupten, sie wäre kein Kind mehr. Doch dann stolpert sie in ein Abenteuer, das sie dazu bringt, ihr Selbstbild zu überdenken: Sie kann urplötzlich Wesen sehen, die sich andere Kinder ausgedacht haben, um weniger allein zu sein. Und so begegnet sie unter anderem dem hibbeligen, lilafarbenen Plüschriesen Blue (Stimme im Original: Steve Carell / deutsche Stimme: Rick Kavanian), der fürsorglichen Schmetterlingsdame Blossom (Phoebe Waller-Bridge / Christiane Paul) sowie dem tanzbegeisterten Einhorn Eini (Emily Blunt / Lina Larissa Strahl).
Auch Beas Nachbar (Ryan Reynolds) besitzt die Gabe, imaginäre Freund*innen zu sehen, auch wenn er gefrustet behauptet, es handle sich dabei eher um einen Fluch. Denn viele von ihnen klammern sich regelrecht an ihn, wenn „ihre“ Kinder sie vergessen, woraufhin er versucht, sie an neue Kinder weiterzuvermitteln. Eine mühselige Mission, der sich Bea trotz aller anfänglichen Zweifel schließlich hochmotiviert anschließt – immerhin lenkt das Matchmaking zwischen verzweifelten Fantasy-Wesen und einsamen Kindern sie von der anstehenden Operation ihres Vaters ab...
„IF: Imaginäre Freunde“ beginnt mit einer aus dem Familienkino hinlänglich bekannten Ausgangslage: Bea hält sich nach einem schweren Verlust für viel reifer, als sie ist – und missversteht das Erwachsensein als Verzicht auf jeglichen Spieltrieb. Ihr Vater hingegen agiert in ihrem Beisein als völliger Kindskopf, um den verloren gegangenen Spaß seiner Tochter auszugleichen. Eine filmisch bewährte Dynamik, mit der Regisseur, Drehbuchautor und Nebendarsteller John Krasinski („Jack Ryan“) eine durchaus vielversprechende Grundlage schafft. Schließlich braucht es nur wenige Augenblicke, um zu verstehen, weshalb sich Bea so genervt abmüht, das genaue Gegenteil ihres Vaters darzustellen: Sie ist alt genug, um die aufgesetzte Fröhlichkeit ihres Vaters als unnatürlich zu durchschauen und deshalb ins andere Extrem gegensteuert. Hinzu kommt der empfundene Druck, schnellstmöglich reifen zu müssen, um nach dem Krebstod der Mutter womöglich auch noch den Verlust des Vaters verkraften zu können.
Aber sobald Bea ihre ungewöhnliche Gabe bemerkt, gerät Krasinskis Skript gehörig ins Stottern und verschenkt ein Großteil des erzählerischen und humoristischen Potenzials seines Szenarios: Direkt aufeinanderfolgende Szenen skizzieren etwa völlig gegensätzliche Persönlichkeitsprofile Beas, sodass es „The Walking Dead“-Darstellerin Cailey Fleming enorm erschwert wird, eine stimmige, nachvollziehbare Darbietung zu geben. Mal wird Beas Zögern gegenüber den sogenannten IFs damit erklärt, dass sie zu vernünftig ist, um die sonderbaren Ereignisse um sie herum einfach hinzunehmen. Mal damit, dass sie durch die Fantasiewucht eingeschüchtert wird. Dann wird suggeriert, dass Bea zu verbittert und betrübt sei, um sich dem inspirierenden Chaos anzuschließen. Es sei denn, die Dialoge implizieren gerade, dass Bea sich am liebsten direkt in den Trubel schmeißen würde, aber ein schlechtes Gewissen hat, sich zu vergnügen, während ihr Vater im Krankenhaus liegt.
Einem ausgeklügelten Skript wäre es womöglich gelungen, dies zu einem kohärenten, facettenreichen Charakterprofil zu vereinen. Krasinskis von überdehnter Situationskomik, Plattitüden und hölzernen Dialogen durchzogenes Drehbuch wirkt hingegen, als sei es aus verschiedenen Entwürfen zusammengesetzt worden. Dieser Eindruck erhärtet sich noch, wenn sich Bea der Mission ihres kindsköpfigen Nachbarn anschließt: Zunächst wird „IF: Imaginäre Freunde“ zu einer Art Fantasie-Partnervermittlungs-Komödie, die sich darum dreht, Kindern ohne IF ein kinderloses Fantasiewesen zuzuordnen. Die unfeine thematische Implikation, dass einem einsamen Kind nichts Besseres passieren kann, als die abgelegten Hirngespinste eines fremden Kinds 1:1 zu übernehmen, überspielt „IF: Imaginäre Freunde“ dabei mit einigem Charme. Auch weil der sich im Krankenhausbett langweilende Benjamin, mit dem sich Bea anfreundet und dem sie ein IF vermitteln will, von „Minari“-Darsteller Alan Kim mit derart natürlichem Witz verkörpert wird, dass seine Szenen kurzweilig und erfrischend ausfallen.
Und das, obwohl sie bei kritischer Betrachtung eine niederschmetternde Auffassung von individueller Kreativität und kindlichen Fantastereien vermitteln. Allzu viel Zeit, diese Sequenzen zu zerdenken (oder sich von ihnen verzaubern zu lassen), lässt Krasinski dem Publikum aber ohnehin nicht. Es dauert nämlich nicht lange, bis „IF: Imaginäre Freunde“ seine Prämisse ändert: Bea und ihr Nachbar beschließen plötzlich, lieber Erwachsenen die Erinnerung an ihre früheren IFs zurückzubringen. Diesen Sequenzen wohnt eine leichter vertretbare Botschaft inne: Man ist nie zu alt, um sich selbst gut zuzureden und den eigenen Interessen aus Kindestagen nachzugehen. Allerdings kranken sie an einer völlig verkitschten Umsetzung – inklusive brachial-zuckrigem Score des „Zoomania“-Komponisten Michael Giacchino, Dialogen auf Motivationsposter-Niveau sowie einer aufdringlichen Inszenierung, die die Emotionalität des Gezeigten erdrückt.
Im letzten Akt wechselt Krasinski noch einmal den thematischen Schwerpunkt, bloß um dessen Aussage während des Epilogs zu widersprechen. Mitfiebern lässt sich so kaum, und für einen Film über Fantasie hat „IF: Imaginäre Freunde“ erstaunlich wenige Ideen, wie man die IFs glänzen lassen könnte: Abseits von Blue und Blossom bleiben sie weitestgehend Stichwortgeber*innen. Und Blue ist so ein tollpatschiger, quengeliger und lauter Jammerlappen, dass er ungewollt zur Anti-Werbung für kindliches Vorstellungsvermögen verkommt.
Überbordende, kindliche Kreativität kommt in „IF: Imaginäre Freunde“ trotzdem zuweilen zum Ausdruck. Etwa im bunten, vielfältigen Design der zahlreichen, durchweg hübsch animierten IFs, oder in einer energetischen, fabulös-desorientierenden Musiksequenz, in der eine auftauende Bea ihrem Nachbarn mit Nachdruck beweist, wie viel Vorstellungskraft noch in ihr steckt. Solche Augenblicke sowie die ungezwungene Dynamik zwischen Fleming und einem sich überraschend zurücknehmenden, warmherzigen Reynolds beweisen, dass in „IF: Imaginäre Freunde“ durchaus ein magischer Funke steckt. Schade, dass er nur so selten zu lodern beginnt.
Fazit: Als Tribut an kindliches Vorstellungsvermögen ist „IF: Imaginäre Freunde“ stellenweise doch arg dröge geraten. Eine gewisse Orientierungslosigkeit sowie eine zu schwache Gag-Trefferquote bremsen die Fantasy-Komödie trotz ihres kreativ-kunterbunten Figuren-Schaulaufens zusätzlich aus.