Damals wie heute
Von Michael MeynsErich Kästners 1931 erschienener Roman „Fabian – Die Geschichte eines Moralisten“ sollte ursprünglich eigentlich „Der Gang vor die Hunde“ heißen, aber der Titel wurde vom Verleger abgelehnt. Stattdessen ist das nun der Untertitel von Dominik Grafs epischer 3-Stunden-Verfilmung des Klassikers, in dem tatsächlich ein Moralist vor die Hunde geht, und zwar in den letzten Jahren der Weimarer Republik, also kurz vor den zwölf unmoralischsten Jahren der deutschen Geschichte. Trotz des historischen Settings gelingt Graf mit flirrenden Bildern sowie dem umwerfenden Duo Tom Schilling und Albrecht Schuch aber dennoch ein Film wie aus der Gegenwart – und genau das ist der Punkt von „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“.
Jakob Fabian (Tom Schilling) ist 32 Jahre alt und lebt in Berlin. Ein verhinderter Autor, der seine Brötchen als Werbetexter verdient. Das Jahr ist 1931, der Wirtschaft geht es nicht gut, zunehmend macht sich der Rechtsruck bemerkbar. Braunhemden mit stramm rasierten Haaren machen auch die Nachtlokale unsicher, in denen Fabian und sein bester Freund Labude (Albrecht Schuch) gerne ihre Zeit verbringen. Labude trinkt, um eine unglückliche Liebe zu vergessen; Fabian trinkt, um die Liebe überhaupt erstmal zu finden. Die tritt schließlich in Gestalt der hinreißenden Cornelia Battenberg (Saskia Rosendahl) auf. Aber die Angebetete will Karriere machen, ausgerechnet beim Film. Und Liebe in Zeiten leerer Portemonnaies ist ja ohnehin eine ganze besondere Herausforderung…
Tom Schilling spielt zwar wieder seine Paraderolle als Slacker mit Kippe - aber das wird auch einfach nie langweilig.
„Fabian“ beginnt auf einem Berliner U-Bahn-Hof. Einer der typischen gelben Züge fährt ein, doch irgendwas stimmt hier nicht: Schaut man nicht eigentlich einen Film, der in den 1930ern spielt? Warum laufen dann alle Passanten in moderner Kleidung herum? Die Kamera fährt den Bahnsteig entlang, eine Treppe hoch, an der Wand ist ein Plakat mit Hakenkreuz zu erkennen, draußen steht Tom Schilling im Anzug, zeitlos, und nun ist man doch im vergangenen Berlin des Jahres 1931.
Drei Stunden später wird eine Bücherverbrennung den Film beenden, so wie auch Erich Kästners Werke nach der Machtergreifung der Nazis 1933 als „entartet“ diffamiert, verboten und verbrannt wurden. Erst zwei Jahre vorher war sein Roman „Fabian“ erschienen, wurde schnell zum Erfolg, kein Wunder, gelang es Kästner doch, die Stimmung der letzten Jahre der Weimarer Republik präzise einzufangen und zugleich das, was kommen würde, geradezu hellsichtig vorwegzunehmen.
Inzwischen zählt „Fabian“ zu den bedeutendsten Romanen des 1974 verstorbenen Autors, von dem nicht nur Kinderbücher wie „Emil und die Detektive“ oder „Das doppelte Lottchen“ wiederholt verfilmt wurden. „Fabian“ ist aber erstaunlicherweise bislang nur einmal filmisch adaptiert worden, 1980 von Wolf Gremm. Nun also noch einmal von Dominik Graf („Der Felsen“) – und man wüsste nicht, welcher deutsche Regisseur noch besser zu diesem Stoff passen würde.
Um die Liebe geht es und um Moral, zwei Aspekte, die im Denken und Leben Fabians untrennbar miteinander verbunden sind. „Hat die Welt überhaupt Talent zur Anständigkeit?“, fragt Fabian seinen Freund Labude ganz am Anfang, als sie durch Berliner Nachtclubs ziehen, trinkend und rauchend den sprich-wörtlichen Tanz auf dem Vulkan mitfeiern, der in den letzten Jahren vor dem Untergang der ersten deutschen Demokratie tobt. Auch Labude glaubt an Moral, schreibt seine Habilitation sogar über Lessing, den großen Humanisten der Aufklärung, jedoch nicht so konsequent wie Fabian, der in Cornelia endlich die Frau gefunden zu haben glaubt, für die es sich lohnt, treu zu sein.
Bei Cornelia (Saskia Rosendahl) könnte sich sogar Fabian vorstellen, zur Abwechslung mal treu zu sein.
Der nachdenkliche Flaneur, die Künstlernatur, ein nicht mehr ganz junger Mann, auf der Suche nach sich selbst: Für diese Figur Tom Schilling zu besetzen, ist gewiss nicht originell, schon in „Oh Boy“ oder „Werk ohne Autor“ spielte Schilling ähnliche Typen, dort in der Nachkriegszeit bzw. der Gegenwart. Stets wirkt Schilling in dieser Rolle perfekt in die jeweilige Zeit passend und zugleich doch irgendwie losgelöst, zeitlos eben.
Und auch hier vergisst man oft, dass man sich in den 30er Jahren befindet, auch wenn die Ausstattung oft wie ein Jugendstil-Museum wirkt, die Dialoge einen wunderbar altmodischen Ton haben, meistens direkt aus Kästners Roman übernommen sind. Was „Fabian“ eine zeitlose Note verleiht, ist Dominik Grafs filmischer Stil, vor allem die extrem mobile Kamera von Hanno Lentz im fast quadratischen 4:3-Format; der schnelle Schnitt, der sich nicht um Kontinuität kümmert; Gestik und Mimik der Schauspieler, die modern aber nicht gestelzt wirken.
Gerade das „Fabian“ seine Bezüge zur Gegenwart nicht ausstellt, dass nicht explizit betont wird, dass wir uns auch heute in Zeiten befinden, in denen rechte Strömungen Zulauf haben, in denen besonders die Moral immer weniger von Bedeutung scheint, macht den speziellen Reiz der Adaption aus. Man kann sich ganz fallenlassen in die Welt der frühen 30er, einer großen Liebesgeschichte folgen, glauben, dass man einen historischen Film sieht, verstärkt durch regelmäßig eingestreute Dokumentaraufnahmen der Zeit.
Oder man kann „Fabian“ als zeitlose, ja, moralische Fabel verstehen, die zwar im Jahr 1931 verortet sein mag, die aber genauso gut auch 2021 spielen könnte. So oder so: Sieben Jahre, nachdem er mit „Die geliebten Schwestern“ zuletzt im Wettbewerb der Berlinale zu Gast war, hat Dominik Graf endlich wieder einen Kinofilm gedreht – und was für einen!
Fazit: Mit seiner Kästner-Verfilmung „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ gelingt Dominik Graf ein ganz großer Wurf – ein Film über die letzten Jahre der Weimarer Republik, über die Liebe und die Moral, der damals spielt und doch ganz von heute ist.
Wir haben „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ auf der Berlinale 2021 gesehen, wo er in den offiziellen Wettbewerb eingeladen wurde.