Amazon & Netflix kämpfen mit ähnlichen Filmen um Oscars
Von Christoph PetersenDie niederschmetterndste Szene des Amazon-Originals „One Night In Miami…“ kommt gleich zu Beginn: Der schwarze Footballspieler Jim Brown (Aldis Hodge) kehrt Anfang der 1960er Jahre für einen Besuch in seine beschauliche Heimatstadt in Georgia zurück. Pflichtbewusst schaut er auch bei seinem weißen Nachbarn Mr. Carlton (Beau Bridges) vorbei. Der alte Mann schwärmt von den Erfolgen seines Gastes – und während seine Enkelin Emily (Emily Bridges) den Männern selbstgemachte Limonade auf der Veranda serviert, erzählt ihr Großvater, wie stolz er jedes Mal sei, wenn er Leuten davon erzählt, dass er aus demselben Ort wie der Rekorde sammelnde NFL-Superstar stamme.
Man merkt als Zuschauer in der Szene sofort, dass hier irgendetwas nicht stimmt – und als Emily ihren Opa bittet, beim Verrücken einiger Möbel zu helfen, glaubt man schon zu meinen, die Finte durchschaut zu haben: Hat der Nachbar den Footballstar also nur einbestellt, damit der starke schwarze Mann – wie früher – die körperlichen Arbeiten für ihn verrichten kann? Aber Pustekuchen! Denn als der Gast höflich seine Hilfe anbietet, erwidert der alte Mann, als sei es die größte Selbstverständlichkeit der Welt, dass Jim doch wisse, wie sie es in seiner Familie mit Schwarzen im Haus halten würden. Und natürlich nutzt er in der Szene, in der Jim der Zutritt zum Haus verwehrt bleibt, das N-Wort.
Erst viel später im Film kommentiert Jim Brown selbst die Szene: Ihm seien selbst offen rassistische Rednecks lieber als solche verlogenen Liberalen. Die Sechziger sind die Zeit, in der Schwarze wie er erstmals als gesamtgesellschaftliche Idole gefeiert werden – aber selbst dann noch das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie doch dankbar dafür sein sollten, nicht mehr jeden Tag wie ein Hund getreten zu werden. (Um zu erkennen, dass sich daran in den vergangenen 50 Jahren längst nicht so viel geändert hat, wie man meinen könnte, muss man sich nur den Umgang mit Colin Kaepernick ansehen.) Wie soll man sich also als Idol in so einer Situation verhalten: Sich über die Fortschritte freuen? Oder jetzt erst recht kämpfen?
Kemp Powers, der auch als einer der Autoren des aktuellen Pixar-Meisterwerks „Soul“ aufgeführt ist, hat sich dieses Themas schon 2013 in seinem Theaterstück „One Night In Miami…“ angenommen – und darin die Sixties-Superstars Jim Brown, Cassius Clay, Sam Cooke und Malcolm X in einem Hotelzimmer in Florida aufeinandertreffen lassen. Das Skript zur Verfilmung stammt nun ebenfalls von ihm – und so sind all die ambivalenten Nuancen der Vorlage auch in der Amazon-Version noch intakt. Aber während Regisseurin Regina King aus ihren Darstellern durch die Bank grandiose Leistungen herauskitzelt, schafft sie es ebenso wenig wie ihr Kollege George C. Wolfe bei der Netflix-Konkurrenz „Ma Rainey’s Black Bottom“, die Bühnenwurzeln des Stoffes abzustreifen.
Malcolm X schießt ein Foto seiner guten Freunde Jim Brown, Cassius Clay und Sam Cooke.
Am Abend des 25. Februar 1964 gewinnt der erst 22-jährige Cassius Clay (Eli Goree), der wenig später zum Islam übertreten und sich fortan Muhammad Ali nennen wird, in Florida überraschend den Titel als Schwergewichtsweltmeister gegen Sonny Liston. Im Anschluss feiert er seinen Sieg mit Footballer Jim Brown, Soulsänger Sam Cooke (Leslie Odom Jr.) und Aktivist Malcolm X (Kingsley Ben-Adir). Allerdings wird es keine ausgelassene Party, stattdessen haben alle vier Ikonen damit zu ringen, welche Rolle sie im tobenden Kampf für Bürgerrechte und Gleichberechtigung einnehmen sollen…
Die vier Männer waren auch im wahren Leben miteinander befreundet – die Nacht nach dem legendären Boxkampf haben sie in der Realität aber nicht miteinander verbracht. In „One Night In Miami…“ hadern sie nun alle mit der eigenen Rolle: Malcolm X steht kurz vor einer Abspaltung von der Nation Of Islam, während sich Cassis Clay nach seinem unerwarteten Sieg nicht mehr ganz sicher zu sein scheint, ob er wirklich zum Islam übertreten soll – zumindest feiert er in dieser Nacht auch mit dem einen oder anderen Bier. Sam Cooke wird hingegen ständig damit aufgezogen, dass er im berühmten Copacabana-Nachtclub weichgewaschene Soulstücke für ausschließlich weiße Gäste singt, statt seine unvergleichliche Stimme für die gerechte Sache einzusetzen.
Nun kann man sich sicher sein, dass der eine oder andere grandiose Moment dabei herausspringt, wenn man vier derart begnadigte Schauspieler in einem engen Hotelzimmer aufeinander loslässt – und tatsächlich liefern vor allem Eli Goree (Mad Dog aus „Riverdale“) als bis an den Haaransatz mit Selbstbewusstsein vollgepumpter Neu-Weltmeister sowie Kingsley Ben-Adir („Peaky Blinders“) als in die Ecke gedrängter Bürgerrechtsaktivist unvergessliche Performances ab, während „Hamilton“-Star Leslie Odom Jr. auch diesmal wieder mit zwei Songdarbietungen für Gänsehaut sorgt.
Wenn in einer Ecke des Zimmers die Spannung ansteigt, ebbt sie in einer anderen ab – eben genau so, wie man es von einem Theaterstück erwartet, das nacheinander brav die verschiedenen Dialogkonstellationen durchspielt. Aber an der Verfilmung fällt zum einen die Ein-Akt-Struktur der Vorlage unschön auf: Denn „One Night In Miami…“ plätschert so erst einmal vor sich hin, bis erst in der zweiten Hälfte langsam Zug in die Sache kommt. Zudem vermag es auch die Regie von Regina King (Oscar für „Moonlight“ als Beste Nebendarstellerin) nicht, diese dramaturgischen Ketten aufzusprengen.
Die vier Ikonen schauen sich aus der Ferne das Feuerwerk an - näher ran dürfen sie aufgrund ihrer Hautfarbe nicht...
Am Anfang und am Ende gibt es kurze Szenen von einem Boxkampf im Londoner Wembley-Stadium oder von Cassius Clays Beitritt zur Nation Of Islam - aber im Hotelzimmer selbst entwickelt „One Night In Miami…“ nur selten die nötige Virtuosität, um einen die örtlichen Limitierungen und die künstliche Reduktion vergessen zu lassen. Da hilft es auch nur bedingt, dass das ikonische Quartett zwischendrin einmal aufs Dach des Hotels steigt, um ganz aus der Ferne das Feuerwerk zu Ehren von Cassius Clay zu bewundern.
Näher ran dürfen sie nämlich auch gar nicht. Nach seinem Sieg musste der Boxweltmeister die Sportarena und die nähere Umgebung nämlich sofort wieder verlassen – aufgrund der damals geltenden Segregationsgesetze war es Schwarzen noch immer verboten, die Nacht in Miami Beach zu verbringen…
Fazit: Starke Schauspieler brillieren dank eines starken Skripts – aber inszenatorisch bleibt der Film zu sehr an den Theaterwurzeln des Stoffes verhaftet. Damit erntet Amazons Oscar-Favoriten quasi exakt dasselbe Fazit, das wir auch schon beim direkten Netflix-Konkurrenten „Ma Rainey’s Black Bottom“ gezogen haben.