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    Sharaf
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Sharaf

    Ein Gefängnis als Spiegel der (ägyptischen) Gesellschaft

    Von Michael S. Bendix

    Dies ist eine erfundene Geschichte, die in einer fiktiven Welt spielt“, versichert uns zu Anfang eine Texttafel. „Wir können glücklich sein, dass die Realität besser und schöner ist.“ Man muss kein einziges Bild gesehen haben, um sicher zu sein, dass damit natürlich das genaue Gegenteil gemeint ist. Und man muss dafür auch nicht wissen, dass es sich bei „Sharaf“ um die Adaption eines Romans von Sonallah Ibrahim handelt:

    Der 1937 in Kairo geborene Schriftsteller gilt als einer der schärfsten Kritiker des ägyptischen Regimes, gegen dessen Repressalien auch der sogenannte Arabische Frühling nichts ausrichten konnte und in dem Demokratie, Meinungs- und Bewegungsfreiheit seit dem Militärputsch 2013 zwar verfassungsmäßig gegeben sind, mit der Wirklichkeit aber nur wenig zu tun haben. Regisseur Samir Nasr macht sich diese Diskrepanz zwischen Behauptung und Realität in dem vorangestellten Satz zu eigen: Schon die erste Szene, die in einem kahlen Verhörzimmer spielt, stellt unmissverständlich klar, dass „Sharaf“ reale Zustände abbilden will – denn welchen Grund könnte es auch geben, eine solche grausame Wirklichkeit zu erfinden?

    „Sharaf“ heißt zwar „Ehre“, aber Ashraf (Ahmed Al Munirawi) will sich in der Gefängnishierarchie hocharbeiten, selbst wenn er dafür seine Ideale verkaufen muss.

    Im Jahr 1959 wurde Ibrahim aufgrund seiner politischen Tätigkeiten in Haft genommen und zu einer siebenjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, von der er letztlich fünf Jahre absitzen musste. Viel ist von dieser Erfahrung in den 1997 erschienenen Roman „Sharaf“ geflossen, der fast ausschließlich in einer Strafanstalt spielt. „Sharaf“ bedeutet so viel wie „Ehre“ – und nicht umsonst wird der Protagonist so genannt: Ashraf Abdel Aziz Suleiman (Ahmed Al Munirawi), wie er eigentlich heißt, ist eine sanfte Erscheinung, ein Mann, der offensichtlich mit guten Absichten durchs Leben geht – niemand jedenfalls, dem man einen kaltblütigen Mord zutrauen würde.

    Trotzdem wird ihm genau das vorgeworfen: Offenbar in Notwehr hat er einen Mann getötet (einen „Ausländer“, wie es im Gespräch nur heißt), bei dem er aus nicht eindeutig benannten Gründen zu Besuch war und der versucht hat, ihn zu vergewaltigen. Während des Verhörs bekommt Sharaf keine Chance, sich zu erklären oder zu verteidigen. In der Art mittelalterlicher Hexenprozesse erpressen die Polizisten schließlich ein Geständnis, indem sie ihn foltern und seiner Schwester Gewalt androhen. Sharaf muss ins Gefängnis – und weder er noch der Film werden es für die restliche Laufzeit noch einmal verlassen…

    Leben "wie ein König"

    Wie zahlreiche andere Filme dieses Genres legt „Sharaf“ das Gefängnis als Mikrokosmos an, der die realen gesellschaftlichen Zustände fortsetzt und spiegelt. Kaum in der Haftanstalt angekommen, wird Sharaf mit der Rangordnung vertraut gemacht: Die Gefangenen sind in „Staatliche“ und „Königliche“ unterteilt, wobei letztere in vergleichsweise sauberen, geräumigen Zellen leben, normale Kleidung tragen dürfen, passables Essen bekommen und Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung haben. Wer in den Genuss dieser Privilegien kommt, entscheidet sich vor allem nach zwei Kriterien: dem gesellschaftlichen Status – und der Bereitschaft, der Gefängnisleitung mit kleinen und größeren Gefälligkeiten entgegenzukommen.

    Zunächst kommt Sharaf zu den „Staatlichen“, die das Territorium der „Königlichen“ höchstens zum Putzen betreten dürfen. Hier leben er und mehrere Mithäftlinge in einer maroden, dunklen Zelle, die so eng ist, dass der Pinkeleimer direkt neben der provisorischen Schlafmöglichkeit steht. Auch die Duschzeit ist streng begrenzt: Einmal muss Sharaf noch nass, halbnackt und voller Seifenschaum in seine Zelle zurückkehren – als Zuschauer*in friert man schon vom reinen Zusehen mit. Hier gilt ebenfalls das Recht des Stärkeren: Zigaretten fungieren als Währung und die Macht hat als Zellwart nicht der Klügste oder Gerechteste, sondern Drogendealer Batsha, der im Gegenzug als Spitzel arbeitet. Jede noch so kleine Geste der Solidarität wiegt viel in dieser Welt.

    Sharafs Geliebte Hoda (Jala Hesham) ist zwar nicht im Gefängnis – fühlt sich aber dennoch wie eine Gefangene.

    In einem solchen Unrechtssystem gibt es nur drei Möglichkeiten: aufbegehren, sich stumm unterwerfen – oder mit den Regeln spielen und sich dadurch eigene Vorteile verschaffen. Sharaf will in der Hackordnung aufsteigen, ein „Königlicher“ werden, und nach einem versuchten sexuellen Übergriff durch Batsha gelingt ihm das auch. Doch auch diese Entscheidung fällt Gefängnisleiter Pasha nicht aus Altruismus: Sharaf soll ihm Informationen über den Arzt und Systemgegner Dr. Ramzy Yacoub (Fadi Abi Samra) beschaffen, der ebenfalls unschuldig hinter Gittern sitzt und seine Gedanken in einem Tagebuch festhält. Währenddessen wartet Sharaf vergeblich auf einen Anwalt – und ahnt immer mehr, dass auch seine Hoffnungen auf ein friedliches Leben mit seiner Partnerin Hoda (Jala Hesham) vergebens sind.

    Wenn Hoda ihm in einer Szene gesteht, dass sie auf Druck ihrer Familie einen anderen Mann heiraten wird, trennt das Paar eine vergitterte Tür. Die Kamera zeigt beide in Nahaufnahme und verwischt damit die Grenzen zwischen Drinnen und Draußen. Spätestens hier ist klar: das Gefängnis reicht weiter als das große Tor bis hinaus in die Gesellschaft hinein. Laut Regisseur Samir Nasr ist sein Film ein Versuch, jenen eine Stimme zu geben, „die sonst keine Stimme haben“, und er richtet ihn explizit an ein europäisches Publikum, dem er die Umstände nahebringen will, die so viele arabischstämmige Männer und Frauen zur Flucht bewegen. Auch Sharaf äußert an einer Stelle seine Pläne, nach Europa auszuwandern, sobald seine Haftstrafe verbüßt ist. Insofern ist „Sharaf“ ein relevanter Film, der ein gewichtiges Anliegen hat und Einblicke liefert, die uns sonst verborgen bleiben. Doch macht ihn das zwingend zu einem guten Film?

    Puppentheater gegen die Repression

    „Sharaf“ konzentriert sich zu sehr auf das Exemplarische, um tatsächlich zu packen. Der titelgebende Protagonist ist der Fixpunkt, um den herum sich eine Reihe von Figuren anordnet, die alle eine beispielhafte Funktion haben und damit zu Repräsentanten ihrer Herkunft, politischen Gesinnung und sozialen Situation zusammenschrumpfen. Die Kapitelaufteilung unterstützt diesen Eindruck, indem sie den Fokus für uns lenkt, den Film in Segmente zerstückelt und den Erzählfluss blockiert. Stilistisch wächst „Sharaf“ mit trüben Farben und generischer Streichermusik selten über standardisiertes Arthouse-Festival-Kino hinaus. Am besten ist der Film deshalb immer dann, wenn er sich in ambivalentere Gefilde vorwagt:

    Nachdem etwa der Arzt zur sogenannten Siegesfeier ein patriotisches Theaterstück aufführen soll, stattdessen aber insgeheim ein subversives Puppentheater vorbereitet, ziehen sich seine Komplizen – darunter Sharaf – opportunistisch aus der Affäre, sodass nur Dr. Ramzy Yacoub in Einzelhaft kommt. Dort schreit er tagelang seine Überzeugungen durch die Mauern und versucht ergebnislos, seine Mitgefangenen zum Hungerstreik aufzufordern.

    Das Wort „Schuld“ bringt beim Scrabble-Spielen lediglich sechs Punkte.

    Im letzten Drittel taucht mit Salem (Ibrahim Salah) dennoch noch eine wirklich interessante Figur auf: Nach eigenen Angaben hat er zwölf Menschen mit einem Schal erwürgt, und schon bei seiner Ankunft wird Sharaf gewarnt, auf seinen Hals aufzupassen. Sein seit zehn Jahren ungestilltes Bedürfnis nach menschlicher Nähe macht den offenbar heimlich homosexuellen Salem aber bald zum Beschützer, obwohl er in seiner Mischung aus unterschwelliger Bedrohlichkeit und fragiler Wärme durchweg schwer zu greifen bleibt. Diese Episode hätte für sich genommen einen ganzen Film gerechtfertigt.

    Fazit: Thematische Relevanz allein macht noch keinen gelungenen Film: „Sharaf“ verdichtet die gesellschaftspolitischen Verhältnisse Ägyptens auf einen Gefängnis-Mikrokosmos, wagt trotz gelungener Einzelmomente ästhetisch aber zu wenig und steht sich mit seiner episodischen Struktur selbst im Weg.

     

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