Mein Konto
    Home
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Home

    Ein Mörder kommt nach Hause

    Von Teresa Vena

    Die meisten Kinofans werden beim Namen Franka Potente vermutlich noch immer zuerst an ihre Hauptrolle in „Lola rennt“ denken. In Tom Tykwers experimentellem Thriller von 1998 rennt sie quer durch Berlin – und das buchstäblich um ihr Leben. Das Motiv ihrer roten Haarmähne ist unzertrennlich damit verbunden. Für Potente war es der internationale Durchbruch als Schauspielerin. Seitdem hat sie sich in den USA eine zweite Karriere aufgebaut, mit Haupt- und Nebenrollen, im Kino und im Fernsehen. Zu den größeren Projekten, an denen sie in den vergangene paar Jahren beteiligt war, gehören so verschiedene Filme wie „Conjuring 2“ von James Wan und „25km/h“ von Markus Goller.

    Nach einem ersten Kurzfilm, „Der die Tollkirsche ausgräbt“ von 2006, präsentiert Franka Potente nun mit „Home“ ihr Langfilmdebüt als Regisseurin. Als Kameramann hat sie Frank Griebe verpflichtet, mit dem sie als Schauspielerin seit „Lola rennt“ mehrfach zusammengearbeitet hat. Produziert mit deutschem und niederländischem Geld, hat sie ihre Geschichte, die eine spezifisch US-amerikanische Gesellschaftsschicht in den Mittepunkt stellt, in einem Vorort von Los Angeles angesiedelt. Trotzdem lassen sich aber auch eine Vielzahl von Parallelen, die allgemeingültige Fragen des menschlichen Zusammenlebens betreffen, zu unserer Gesellschaft in „Home“ entdecken.

    Wie Lola hat auch Marvin knallig rote Haare. Nur einn Zufall?

    Marvin (Jake McLaughlin) kehrt nach 17 Jahren im Gefängnis zurück in seine Heimatstadt. Vieles hat sich seitdem in Clovis verändert, anderes kommt ihm sofort vertraut vor. Auf ihn hat hier jedenfalls keiner gewartet. Als einzige Bezugsperson ist ihm seine Mutter Bernadette (Kathy Bates) geblieben. Diese hat Lungenkrebs im Endstadium und wird von einem gutmütigen Pfleger (Lil Rel Howery) betreut. Auf die Rückkehr ihres Sohnes reagiert sie verhalten, denn in der Zwischenzeit hatte man im Ort fast vergessen, dass sie die Mutter eines Mörders ist. Marvins Anwesenheit reißt vernarbt geglaubte Wunden wieder auf.

    Offene Feindseligkeit schlägt ihm von den Enkeln der Frau entgegen, die er damals in einem Gewaltrausch getötet hat. Delta (Aisling Franciosi) und ihr Bruder Russell (James Jordan) sind selbst zu gebrochenen Figuren geworden. Delta ist alleinerziehende Mutter, die im Gemeindehaus, wo sie putzt, Medikamente stiehlt, die sie dann an Süchtige weiterverkauft. Russell ist von ihr abhängig, weil er keine Arbeit hat und so meist vor dem Fernseher herumhängt. Die Konfrontation mit Marvin löst bei den Geschwistern unterschiedliche Gefühle aus. Delta ist von ihm fasziniert, Russell fühlt sich in seiner Männlichkeit herausgefordert…

    Ein Dorf im Hamsterrad

    Mit allen in Clovis scheint die Zeit nicht wirklich gnädig umgegangen zu sein. Zeit ist sowieso ein zentraler Faktor in der Geschichte. Die einen führen ein Leben, das von Stillstand geprägt zu sein scheint, den anderen rinnt die Zeit zwischen den Fingern davon, wenn sie versuchen, etwas Verpasstes nachzuholen. Dies spiegelt sich auch visuell in der Kulisse, die aus staubigen Straßen und normierten Häusern besteht, aber auch in den Figuren, deren Existenz von Monotonie und Trägheit geprägt sind. Ein wenig erinnern die Menschen an Hamster, die aus ihrem Rad nicht mehr hinausfinden.

    Franka Potente hat ein Sammelsurium von Charakteren geschaffen, die alle auf die eine oder andere Weise verloren sind. Jeder von ihnen sehnt sich nach Zuneigung, Anschluss und Verständnis, doch der emotionale Zugang zueinander ist versperrt. So verhält es sich in der Beziehung zwischen Mutter und Sohn, die sich nur zögerlich annähern. Das Haus, vollgestopft mit Erinnerungsfotos an eine noch unschuldige Zeit, wirkt zu klein für die beiden. Irgendwie stehen sie sich, im wörtlichen wie übertragenen Sinn, gegenseitig im Weg, die Bewegungen wirken befangen. Marvin drückt sich regelrecht an die Wand, um möglichst wenig Platz einzunehmen.

    In "Home" besonders großartig: Die immer starke Kathy Bates!

    Getragen wird die sensibel, aber stellenweise auch etwas zu sentimental erzählte Geschichte von einem herausragenden Cast. Mit Jake McLaughin in der Rolle des Protagonisten Marvin ist es der Regisseurin geglückt, einen Darsteller zu verpflichten, der eine zugleich männlich-rohe und kindlich-fragile Präsenz ausstrahlt. Mit großen Augen bewegt er sich erwartungsfreudig und gleichzeitig unsicher durch den Ort. Sein tätowierter, bulliger Körper steht im harschen Kontrast zum leicht schlurfenden Gang und den gebeugten Schultern. Zudem ist Marvin konstant bemüht, leise und höflich zu sein. Ganz anders als seine Mutter oder die anderen Einwohner der Stadt.

    Oscargewinnerin Kathy Bates („Misery“) tritt als rauchende, trinkende und fluchende Alte in absoluter Höchstform an. Ebenfalls bemerkenswert ist der Auftritt von Derek Richardson, dem Ehemann von Franka Potente, als Marvins Jugendfreund Wade. Er spielt den drogensüchtigen, verängstigten und von einem schlechten Gewissen geplagten Mann mit gebrochenem Charisma. Gemeinsam mit Marvin sorgt er dann auch für den einen befreienden und zugleich berührendsten Moment des Films, wenn die beiden Freunde nach der Musik aus alten Tagen ausgelassen tanzen.

    Erkennungsmerkmal: Rote Haare!

    Der Film ist dicht inszeniert, so wirkt er spannend und abwechslungsreich. Durch einige geschickte dramaturgische Einfälle bricht Franka Potente zudem die Ernsthaftigkeit des Themas auf, etwa wenn sie Marvin mit den riesigen Hunden seiner Mutter konfrontiert, die er als einziger stoisch versorgt. Auf einen moralisierenden Tonfall zu verzichten, gelingt der Filmemacherin hingegen nicht gänzlich, doch liegt die Stärke des Stoffes sowieso in der empathischen Betrachtung des porträtierten sozialen Umfelds. Ihre Figuren, die man vielleicht soziale Verlierer nennen könnte, berühren durch ihre Unmittelbarkeit.

    Formal fällt die so präzise wie souveräne Bildführung auf, die immer wieder gezielt Akzente setzt. Dazu gehört sicherlich auch Marvins rotes Haar, das vielleicht eine kleine Reminiszenz an Potentes „Lola“ bildet, aber vor allem einen visuellen Kontrastpunkt zum insgesamt monochromatischen Gesamtbild liefert. Inmitten der sonst so verhärmten Existenzen erstrahlt Marvin knalliger Schopf als kleiner Hoffnungsschimmer.

    Fazit: Franka Potente formt in ihrem Langfilm-Regiedebüt aus den Themen Heimat, Schuld, Sühne und soziale Verwahrlosung einen differenzierten, berührenden, aber nie ausbeuterischen Film. Die Kraft des Stoffes hätte sich womöglich noch besser entfalten können, wenn sie auf ein paar belehrende Züge in der Erzählung verzichtet hätte. Insgesamt aber überzeugt „Home“ als bemerkenswerter Autorenfilm mit herausragenden Darstellern.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top