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    The Eyes Of Tammy Faye
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Eyes Of Tammy Faye

    Evangelikale Boogie Nights

    Von Jochen Werner

    Die Augen von Tammy Faye Bakker (Jessica Chastain) sind ziemlich schwer zu finden zwischen all den Schichten aus permanentem und aufgetragenem Make-up. Falsche Augenbrauen, falsche Wimpern – und der Lidstrich samt Schatten sind sogar dauerhaft eintätowiert. Niemals würde sie sich öffentlich zeigen ohne ihr Make-up, so gibt die gealterte Protagonistin im Flash-Forward am Anfang von Michael Showalters „The Eyes Of Tammy Faye“ zu Protokoll – und das folgende Biopic macht es sich dann zur Aufgabe, eine Authentizität unter diesen dick aufgetragenen Schichten von Fake und Künstlichkeit freizulegen. Ein hartes Vorhaben, das hier aber auf verblüffend berührende Art und Weise gelingt.

    Im Anschluss an diesen Prolog springt die Erzählung weit zurück in Tammy Fayes Kindheit, in der ihr als Scheidungskind die Teilnahme an den baptistischen Gottesdiensten der Gemeinde verboten ist – zumindest so lange, bis das Mädchen sein schauspielerisches Talent unter Beweis stellt und vor der wundergläubigen Gemeinde beginnt, in vermeintlichen Zungen zu reden. Tammy Fayes Religion ist von Anfang an auch Showbusiness – nur ist ihr Glauben deshalb, anders als bei vielen der frommen Gestalten, die ihren Lebensweg noch kreuzen werden, nicht unbedingt weniger innig.

    Der Stress von täglichen Live-Sendungen lässt Tammy Faye (Jessica Chastain) süchtig werden - nach Tabletten und Diet Coke.

    Die unglaubliche, aber wahre Karriere der Tammy Faye beginnt, als sie an der religiösen Universität von Minneapolis den jungen Prediger Jim Bakker (Andrew Garfield) kennenlernt. Ihr erstes Treffen inszeniert Michael Showalter („The Big Sick“) als ein Zusammenfinden zweier verwandter Seelen. Vor den grauen Herren der christlichen Fakultät, die mit jeder Faser eine karge, freudlose Bibeltreue verkörpern, steht da ein leicht verstrahlter junger Mann, der den Eminenzen seine Überzeugung zu erläutern versucht, dass sich Religiosität und der Genuss von materiellen Gütern durchaus nicht ausschließen – eine Überzeugung, die zunächst das Fundament einer ungeheuren Erfolgsgeschichte und dann auch eines vermutlich unabwendbaren tiefen Falles bildet.

    In dieser wunderbaren Szene jedoch trägt sie zunächst einmal dazu bei, das Herz der jungen Tammy Faye zu gewinnen, die – kichernd, fröhlich und etwas tollpatschig – ebenfalls wie ein Fremdkörper in der altehrwürdigen religiösen Institution wirkt. Bald schon heiraten die beiden Frischverliebten und die Geschichte ihres Aufstiegs beginnt damit, dass Tammy Faye aus einer leeren Shampooflasche die Handpuppe Susie Moppet bastelt, mit der sie fortan in Gottesdiensten das junge Publikum unterhält. Auf diese kindgerechte Form der Predigt wird der Fernsehprediger Pat Robertson (Gabriel Olds) aufmerksam, der die Bakkers erstmals auf den TV-Schirm holt.

    Ganz nach oben – bis zum eigenen Satelliten

    Dort erweist sich ihre eigenartige, mitunter grotesk wirkende Form der Bibellehre rasch als Quotenhit. Während Tammy Faye mit ihren Puppen die Kinder unterhält und mit zahllosen christlichen Songs – sie hat insgesamt 14 Alben mit religiöser Popmusik aufgenommen – zu einer Art evangelikalen Diva avanciert, gründet Jim trotz der Zweifel der Programmchefs mit „The 700 Club“ die erste christliche Late-Night-Talkshow und landet damit einen derart großen Erfolg, dass sein Chef sie schon bald lieber selbst moderiert. Dennoch führt der Weg der Bakkers, die schließlich mit dem Praise the Lord Network (PTL) ihr eigenes Medienimperium gründen, fortan nur immer weiter steil nach oben. Erneut werden sie zu Pionieren, indem sie nicht nur regional senden, sondern per Satellitenfernsehen ein globales Publikum addressieren.

    Der Erfolg des PTL Network im religiösen Amerika ist gigantisch, die telefonisch eingetriebenen Spendensummen sind es auch – und mit ihnen beginnt, wie könnte es anders sein, auch der unaufhaltsame Abstieg. So finanziert Jim Bakker nicht nur das eigene Luxusleben mit den Spenden der Gläubigen, sondern übernimmt sich auch beim Verkauf von Anteilen für sein Traumprojekt Heritage U.S.A., eine Art christliches Disneyland. Außerdem zweigt er Geld ab, um eine außereheliche Affäre mit dem Model Jessica Hahn zu vertuschen. An die Öffentlichkeit geraten all diese Verfehlungen, neben einer ganzen Reihe womöglich unzutreffender Vorwürfe, durch den von Vincent D’Onofrio als eine Art christlicher Kingpin gespielten Jerry Falwell, seines Zeichens Begründer der Moral Majority, jener politisch-religiösen Vereinigung, die wegweisend an der Wahl von Ronald Reagan zum US-Präsidenten beteiligt war.

    Wenn sich Tammy Faye und Jim Bakker (Andrew Garfield) öffentlich gegen ihren Niedergang stellen, ist es in Wahrheit schon längst zu spät...

    Michael Showalter inszeniert die von Jessica Chastain famos gespielte Tammy Faye konsequent als Fremdkörper und als Revoluzzerin in einem korrupten, paternalistischen System. In einer der schönsten Szenen des Films nimmt sie sich bei einem Barbecue einfach einen Platz und das Wort an dem vom „gay cancer“ und den Gefahren des Feminismus schwadronierenden Männertisch. Mit größter Selbstverständlichkeit erklärt sie Falwell, Robertson und ihrem deutlich unbedarfteren Ehemann, dass es doch vielmehr Christenpflicht sei, Homosexuelle zu akzeptieren und zu lieben.

    Tatsächlich liegt wohl darin ihr eigentliches Vermächtnis: Tammy Faye Bakker war eine der wenigen nicht-homophoben Stimmen im amerikanischen evangelikalen Fernsehprogramm. Bereits Mitte der 1980er-Jahre lud sie einen schwulen, an Aids erkrankten Pastor in ihre Show ein und sprach dort mit ihm über sein Coming Out, seine Erkrankung und die Vereinbarkeit von Glauben und Homosexualität – in einer Zeit, als selbst das Gros der säkularen Medien noch einen weiten Bogen um das Thema Aids machte. Momente, die Tammy Faye Bakker letztlich zu einer ganz und gar nicht dezenten, aber doch irgendwie stillen Revoluzzerin machen – in einem Milieu, das von Konformitätsdruck und Dogmatismus stärker geprägt ist als wohl so ziemlich jedes andere.

    Die letzte Bastion gegen die Verlogenheit

    Die Geschichte der Bakkers ist somit auch eine Verlustgeschichte, die Michael Showalter sowohl in seiner Freude an der Inszenierung von mitunter grotesk anmutendem Glamour als auch in der Erbarmungslosigkeit des Niedergangs als eine Art evangelikale Variation auf Paul Thomas Andersons 70er-Porno-Oper „Boogie Nights“ erzählt. Während Tammy Faye als eine naive, aber auch resolute Überzeugungstäterin porträtiert wird, der man durchaus die Motivation abnimmt, vorrangig den eigenen Glauben unter das Volk bringen zu wollen, ist der mit Andrew Garfield ebenfalls perfekt besetzte Jim schon eine zwiespältigere, angepasstere, karriereorientiertere Figur. Mit dem Abtritt der Bakkers und der Machtübernahme der Jerry Falwells dieser Welt ist dann jedoch endgültig der Weg geebnet in das Bigotte, Fanatische, rücksichtslos Machtpolitische, das die US-amerikanische religiöse Rechte bis heute maßgeblich prägt.

    Michael Showalter ist nicht der erste, der die fast unglaubliche, glamouröse, berührende Geschichte von Tammy Faye Bakker für die Kinoleinwand adaptiert. Unter demselben Titel inszenierten bereits Fenton Bailey und Randy Barbato im Jahr 2000 einen ebenfalls sehr sehenswerten Dokumentarfilm, in dem die reale, bereits 2007 verstorbene Tammy Faye ausgiebig zu Wort kommt. Einige Szenen aus diesem Dokumentarfilm hat Showalter gar quasi 1:1 für seine fiktionalisierte Erzählung nachgestellt, was ein wenig an das jüngst als HBO-Miniserie adaptierte Retelling des Direct-Cinema-Klassikers „Grey Gardens“ erinnert. Aber lasst euch nicht beirren: „The Eyes Of Tammy Faye“ ist ein Kinofilm durch und durch – und man lehnt sich wohl nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man mutmaßt, dass er auch am Ende des noch jungen Jahres 2022 als eins der schönsten Hollywood-Biopics Bestand haben wird.

    Fazit: Ist Tammy Faye Bakker nun eine einigermaßen groteske Verkörperung des religiösen amerikanischen Trash-TVs? Oder nicht doch vielmehr stille Revolutionärin und schwule Ikone? Wahrscheinlich beides. Michael Showalter bringt diese beiden Seiten in seinem glamourösen und großartig besetzten Biopic auf erstaunlich berührende Weise unter einen Hut.

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