Das Gegenteil von trockenem Deutschunterricht
Von Björn BecherWie es Felix Krull später noch ergangen wäre, wissen wir nur aus den Notizen von Thomas Mann, der ein ganzes Leben mit etlichen Höhen und noch mehr Tiefen für seinen fiktiven Hochstapler ersann. In dem berühmten unvollendeten Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Der Memoiren erster Teil“ erfährt man hingegen nur etwas über seine Jugend, die erste Anstellung und den Auftakt einer Weltreise unter falscher Identität – und auch nur dieser Teil dient Regisseur Detlev Buck („Knallhart“) und Bestsellerautor Daniel Kehlmann („Tyll“) nun als Vorlage für eine neue Kinoadaption des Klassikers.
Sie gehen sogar noch weiter und konzentrieren sich in „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ vor allem auf das sogenannte „Dritte Buch“, das sie zudem noch einmal auf links drehen. Mit vielen Änderungen, darunter einem hinzugedichteten Liebesdreieck, aktualisieren sie den Klassiker und schaffen gerade keine trockene Literaturverfilmung, vor der alle, die Thomas Manns Schaffen im Deutschunterricht sezieren mussten, sowieso schreiend Reißaus nehmen würden. „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ ist ganz im Gegenteil ein unglaublich leichtfüßiger, sehr charmanter, toll ausgestatteter und wundervoll gespielter Kostümfilm übers Haben und Nicht-Haben von Liebe und Geld...
Felix Krull will reich werden ...
Paris, zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Der reiche Marquis Louis de Venosta (David Kross) ist über beide Ohren in die bürgerliche Zaza (Liv Lisa Fries) verliebt. Doch der Vater droht mit Enterbung und verlangt vom Sohn den Antritt einer Weltreise in wenigen Tagen. Die Angst vor der Armut bringt den Marquis in einem Nobelrestaurant ins Gespräch mit dem zu seiner Überraschung auch anwesenden Felix Krull (Jannis Niewöhner), der ihm bislang nur als höflicher, aber einfacher Hotelkellner Armand bekannt war.
Auch Krull hat Angst vor der Armut, er kennt sie nämlich nur zu gut. So erzählt er dem Grafen, wie sein Vater sich umbrachte, die einst wohlhabende Familie bankrottging, er in einem Pariser Hotel landete und sich trotz des erpresserischen, ihm einen Großteil seiner Einnahmen abknöpfenden Oberkellners Stanko (Nicholas Ofczarek) mit sexuellen Dienstleistungen ein wenig Geld ansparen konnte - und von seiner eigenen großen Liebe, die mittlerweile ebenfalls in Paris weilt. Allerdings verschweigt er, dass es sich dabei um Zaza handelt und er nicht zufällig im selben Lokal wie der Marquis den Abend verbringt. Denn Krull hat einen Plan, der ihn endgültig aus der Armut befreien könnte. Aber ist er wirklich bereit, dafür seine Liebe aufzugeben?
In Thomas Manns „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull: Der Memoiren erster Teil“ erzählt die Titelfigur ihre Geschichte. Detlev Buck und Daniel Kehlmann greifen dies auf, indem sie den Marquis zum Zuhörer für Krull machen, der so trotz aller Beteuerungen, bei der Wahrheit bleiben zu wollen, als möglicherweise nicht ganz vertrauenswürdiger Erzähler erhalten bleibt. Auf welchen Vorschlag diese Rahmenhandlung unweigerlich zusteuert, dürfte keine Überraschung sein (und wird sogar im Trailer verraten). Aber das macht wenig …
… denn der eigentliche „Twist“ entfaltet trotzdem seine Wirkung, weil weniger die Enthüllung selbst als die darin eingewobene Entscheidung zwischen Liebe und Geld im Vordergrund steht. Weil Buck und Kehlmann es im Gegensatz zur Vorlage vermeiden, klar zu bestimmen, wann ihr Film spielt, erreicht dieser Konflikt und mit ihm die gesamte Erzählung eine zeitlose Qualität. Das verleiht dem vor mehr als 100 Jahren erstmals von Mann in Angriff genommenen Roman eine erstaunliche Aktualität in einer Gegenwart, in der die Schere zwischen Arm und Reich wieder weiter auseinandergeht und die in Klassen aufgeteilte Gesellschaft nur vermeintlich überwunden ist.
... der Marquis ist es schon ...
Vielleicht etwas zu oft und plakativ mit dem Zeigefinger wedelnd, zeigt Buck die in den dunklen Ecken von Paris sitzenden Bettelnden, die zwar von den Reichen der Gesellschaft ignoriert werden, für die Krull aber immer eine Münze übrighat. Auch dass der vom verführerischen „Freund“ zum echten Fiesling umfunktionierte Stanko seine gerechte Strafe bekommt, wirkt unnötig moralistisch. Denn eigentlich ist „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ eben gerade keine moralische Lehrstunde. Man kann sich mit diesen Elementen auseinandersetzen, man muss aber nicht.
Denn Bucks Thomas-Mann-Adaption ist in erster Linie ein extrem leichtfüßiger, unglaublich charmanter Film. Liebesirrungen und -wirrungen finden hier vor opulenter Kulisse mit einer gehörigen Prise Humor zusammen. Neben den zahlreichen prominent (aber nicht immer hundertprozentig passend) besetzten Nebenfiguren erzählt Buck diesen Liebesreigen mit drei fast gleichberechtigten Protagonist*innen: So bekommt nicht nur der von David Kross ganz wunderbar dauerverträumt verkörperte Marquis etwa mehr Profil als in der Vorlage.
Vor allem die von Liv Lisa Fries stark und mit viel Präsenz verkörperte Zaza hat nur noch wenig mit dem literarischen Vorbild gemein. So ist sie nun nicht nur Teil von Krulls Vergangenheit, womit überhaupt das Liebesdreieck entsteht, sondern eine präsente Hauptfigur. Eine Anbiederung an den Zeitgeist? Im Gegenteil: Womöglich ist es eine Interpretation ganz im Geiste Thomas Manns. Der sah seine Geschichte ja selbst als zeitlos und immer-modern an. Er plante eben nicht nur weitere Teile, sondern aktualisierte selbst kurz vor seinem Tod den bereits veröffentlichten Teil noch einmal.
Zu dieser Modernisierung passt es, dass Felix Krull noch mehr Herr seines Schicksals ist. Dass die Anstellung im Hotel von ihm – mit Hilfe einer kleinen Erpressung – selbst eingefädelt wird, ist eine genauso zentrale Änderung wie der Ablauf seiner Ausmusterung. Einen vorher eingeprobten Epilepsie-Anfall vorzutäuschen, ist zwar auch hier der Plan, doch weil ein Kandidat direkt vor ihm damit auf die Schnauze fliegt, muss Krull schnell improvisieren. Vielleicht mag es mancher Mann-Fan für einen Frevel halten, dass Buck und Kehlmannn selbst vor einer solch legendären Szene nicht halt machen, doch sie füllen ihren Krull so schon früh mit Leben. Dieser selbstbewusste junge Mann will nicht andere für sich entscheiden lassen – und er ist dabei stets in der Lage, gewitzt auf sich ändernde Umstände zu reagieren.
... und Zaza ist die große Liebe beider Männer.
In den Hauptrollen setzt Buck auf ein glänzend miteinander harmonierendes Trio. Neben den schon gelobten Kross und Fries gibt Jannis Niewöhner den gutaussehenden Charmeur, dem fast alle verfallen. Zwar ist ihm die Rolle wie auf den Leib geschrieben, aber er hat nicht nur die nötige körperliche Präsenz: Mit hochgestochenen Worten und Satzkonstruktionen, bei denen teilweise am Ende bewusst nicht mehr klar ist, wie er eigentlich anfing, überspielt Krull jede Unwissenheit und wickelt seine Gegenüber um den Finger. Wie Niewöhner die teilweise aus der Vorlage übernommen, teilweise von Kehlmann neu erdachten, bewusst aus der Zeit gefallenen Dialoge vorträgt, ist ein Genuss. Er verpasst diesen auch mal trockenen Zeilen jene Leichtfüßigkeit, die diese Adaption so charmant-kurzweilig macht.
Dass gerade das Trio im Zentrum so wichtig ist, unterstreichen Buck und sein „Bibi & Tina“-Kameramann Marc Achenbach, indem sie Kross, Fries und Niewöhner auch immer wieder visuell den Bildausschnitt dominieren lassen. Oft füllen deren Gesichter fast die ganze Leinwand aus, während der Hintergrund unscharf wird. Das soll zwar sicher auch verschleiern, dass unter anderem in Regensburg und nicht in Paris gedreht wurde, hilft aber vor allem dabei, das expressive Spiel des Casts voll wirken zu lassen. Und sowieso: „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ sieht einfach gut aus, von der Kamera über die Ausstattung ist das immer wieder berauschend. Aber Buck hat mit „Die Vermessung der Welt“ schließlich auch schon einen der optisch schönsten 3D-Kinofilme überhaupt gedreht…
Fazit: Ganz sicher kein trockener Deutschunterricht. Die sehr freie Romanadaption „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ ist ein extrem leichtfüßiger, ungemein charmanter Kostümfilm.