Vampir-Horror ohne Biss
Von Pascal ReisJe nachdem, von welcher Ausgabe man genau ausgeht, kommt der Roman „Salem’s Lot“ oder „Brennen muss Salem“, wie er in der deutschen Übersetzung heißt, auf einen stattlichen, für Stephen-King-Verhältnisse aber gar nicht unbedingt ungewöhnlichen Umfang von mehr als 600 Seiten. Da liegt die Vermutung nahe, dass sich ein derartig umfangreicher Wälzer nur schwer auf ein zweistündiges Spielfilm-Format eindampfen lässt.
Das haben auch „Texas Chainsaw Massacre“-Mastermind Tobe Hooper und Mikael Solomon so gesehen, als sie 1979 beziehungsweise 2004 jeweils eine Adaption des Buches als dreistündige TV-Miniserie ablieferten – und selbst dieser erweiterte Rahmen wurde der Vorlage nicht unbedingt gerecht. „Es“-Autor Gary Dauberman hat mit „Salem’s Lot – Brennen muss Salem“ nun aber trotzdem das Unmögliche versucht, nämlich den King-Klassiker als alleinstehenden Spielfilm umzusetzen. Das Ergebnis enttäuscht nahezu durchweg – und das nicht nur als Romanverfilmung.
Nach Jahren der Abwesenheit kehrt Ben Mears (Lewis Pullman) zurück in seine Heimatstadt Jerusalem's Lot. Der junge Mann verdient sein Geld inzwischen als Schriftsteller und möchte in dem verschlafenen Städtchen in Maine Inspiration für einen neuen Roman schöpfen. Dafür zieht er in das berühmt-berüchtigte Marsten-Haus, das auf einem Hügel über der Stadt thront.
Zu seiner Verwunderung muss Ben jedoch feststellen, dass ihm jemand zuvorgekommen ist: Richard Starker (Pilou Asbaek) und der mysteriöse, sich angeblich auf Geschäftsreise befindende Kurt Barlow (Alexander Ward) sind die neuen Besitzer der viktorianischen Villa. Es dauert nicht lange, bis sich im Ort die merkwürdigen Ereignisse häufen. Für Ben sprechen die Hinweise eine klare Sprache: Vampire treiben ihr Unwesen – und ihr Meister muss sich ausgerechnet im Marsten-Haus niedergelassen haben...
Auch wenn Stephen King via X (ehemals Twitter) erst im Februar dieses Jahres positive Worte über Gary Daubermans „Salem's Lot – Brennen muss Salem“ teilte und den Film als „kraftvoll und mitreißend“ bezeichnete, erwies sich bereits die Veröffentlichungsgeschichte des Films als besorgniserregend: Abgedreht wurde das Schauerstück nämlich schon im Jahr 2021. Ein US-Kinostart war bereits für September 2022 vorgesehen, doch dann folgte Verschiebung auf Verschiebung. Kürzlich ist „Salem's Lot“ in den Vereinigten Staaten stattdessen direkt im Streaming-Abo von Max gelandet.
Dort ist der Film wohl auch tatsächlich besser aufgehoben als auf der großen Leinwand, wo er hierzulande zu sehen ist. Um zu diesem Ergebnis zu kommen, muss man noch nicht mal den Vergleich zwischen Buch und Film ziehen – solche sind ja meist eh nur müßig und unfair. Stattdessen haben die Probleme im Fall von „Salem's Lot“ wohl vor allem damit zu tun, dass Dauberman dem eigentlich ziemlich komplexen Grusel-Stoff nicht den erzählerischen Raum zuspricht (oder zusprechen konnte?), den dieser benötigen würde, um seine Wirkung tatsächlich entfalten zu können.
„Salem's Lot“ gesellt sich damit in die Reihe jener Horrorfilme, die von Anfang an eine Sache vermissen lassen: Zeit. Schon in der Eröffnung wird klar, dass wir es hier mit einer Kreatur der Nacht zu tun bekommen, wenn das blutsaugende Böse in einem Sarg in den Keller des Marsten-Hauses transportiert wird. Wir sehen auch sofort sein schauriges Antlitz, wenn es sich aus der Dunkelheit erhebt. Eine Szene, die an sich nicht per se schlecht macht, aber symptomatisch ist für dessen gehetzte Überdeutlichkeit.
Und genau diese Tendenz setzt sich fort. Statt das soziale Klima in Jerusalem's Lot aufmerksam und detailliert zu beschreiben und so aufzuzeigen, dass die Probleme und Ängste schon lange vor der Ankunft von Richard Starker und Kurt Barlow hinter der kleinstädtischen Fassade gegenwärtig waren, bleibt Gary Dauberman an der glatten Oberfläche. Die Rückkehr von Ben Mears in seine Heimat wird einfach mit den Country-Klängen von Gordon Lightfoots „Sundown“ unterlegt – das muss reichen, um seine Heimatverbundenheit anzudeuten.
Was es denn nun eigentlich mit dem Marsten-Haus auf sich hat? Warum sich Ben unbedingt in diesem einquartieren möchte? Und was – ganz grundsätzlich – für ein Schlag Menschen in Jerusalem's Lot lebt? All das bleibt im Verborgenen. In der Vorlage hingegen hat Stephen King einen in seiner Detailversessenheit zuweilen fast schon anstrengend-ausladenden Mikrokosmos voller Paranoia, Traumata und Fanatismus, aber auch Verbundenheit und Integrität entworfen.
Hier aber bleiben uns die Figuren weitestgehend fremd, sie definieren sich oft einzig über ihre Berufe oder Funktionen: Dr. Cody (Alfre Woodard) ist eben eine Ärztin, Donald Callahan (John Benjamin Hickey) ein Priester, Parkins Gillepsie (William Sadler) ein Polizist und Susan Norton (Makenzie Leigh) ist einfach Bens neue Flamme. Warum sie sich zueinander hingezogen fühlen, bleibt unklar – vielleicht aus Mangel an Alternativen? Schon lange vor der inhaltlichen Auflösung, warum die Stadt eigentlich so leergefegt ist, wirkt es bereits so, als würden hier fast nur die für die Story bedeutenden Charaktere hausen. Jerusalem's Lot wird so nie zu einem lebendigen, greifbaren Ort.
Überzeugen kann aus der Besetzungsliste vor allem Hauptdarsteller Lewis Pullman, der die verkniffene Entschiedenheit typischer Stephen-King-Protagonisten gekonnt verkörpert. Bill Camp bringt als Bens Mitstreiter Matthew Burke zunehmend jene einnehmende Aufrichtigkeit mit, die ihn aus Zuschauer*innen-Sicht nachvollziehbar zu einem entscheidenden Bindeglied der Schicksalsgemeinschaft im Kampf gegen das Böse macht. Zwar sind auch diese Figuren alles andere als vielschichtig, sie verfügen aber über das nötige Charisma, um mit ihnen mitzufiebern.
Wenn es um den Horror selbst geht, verschreibt sich „Salem's Lot“ modernen Trends. So wird jeder Ansatz klassischer Gruseldramaturgie zuverlässig mit einem lauten Jump Scare abgeschlossen. Das ist schade, denn es gibt einige wirklich stimmungsvolle Momente, die Dauberman einfach inszenatorisch hätte atmen lassen sollen: etwa der Schatten des Totengräbers Mike Ryerson (die im Vergleich zum Buch wohl mit am härtesten degradierte Figur), der langsam die Treppe hinunterschreitet, während erst einmal kein dazugehöriger Körper zu sehen ist.
Für zumindest einen Anflug von Gänsehaut ist auch der Auftritt von Danny Glick (Nicholas Crovetti) gut, der nach seiner Verwandlung vor dem Fenster seines Freundes Mark Petrie (Jordan Preston Carter) schwebt. Seine leuchtenden Augen gleichen dabei denen eines Raubtiers und zerschneiden die nebelverhangene Dunkelheit regelrecht. Eine starke Szene, die übrigens nicht nur in Stephen Kings Roman absolut legendär ist, sondern auch in Tobe Hoopers Verfilmung von 1979.
Und tatsächlich gibt es hier und da solche kleinen Augenblicke visueller Verspieltheit, wenn sich etwa eine Bibel plötzlich im Schnitt in ein aufgeklapptes Marmeladentoastbrot verwandelt. Das sind die zu wenigen Momente, in denen „Salem's Lot“ inmitten seines ansonsten doch sehr flachen Digitallooks sowas wie eine eigene Handschrift entwickelt. Am Ende liefert Gary Dauberman trotzdem nur eine weitere enttäuschende Stephen-King-Verfilmung ab, die die Grundbausteine der Vorlage nimmt, aber vergisst, dass für ein stabiles Mauerwerk eben doch etwas mehr nötig ist, als die wichtigsten Namen und Wendungen der Geschichte zusammenzuwürfeln.
Fazit: Selbst wenn man die Vorlage von Stephen King nicht kennt oder den Vergleich mit der Vorlage zumindest ausblendet, entpuppt sich „Salem's Lot – Brennen muss Salem“ als generischer, erzählerisch gehetzter Horrorfilm, der wenig Gespür für Figuren besitzt und sich zu sehr auf seine Jump Scares statt auf seine Atmosphäre verlässt.