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    Promising Young Woman
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Promising Young Woman

    Nicht nur gnadenlos, sondern auch gnadenlos unterhaltsam

    Von Christoph Petersen

    Wenn Cassandra (Carrey Mulligan) von Bauarbeitern hinterhergepfiffen wird, dann starrt sie solange zu den Männern auf der anderen Straßenseite hinüber, bis die sich selbst in der Gruppe derart unwohl und überfordert fühlen, dass sie sich unter protestierenden Beleidigungen von ihr abwenden. Aber das ist auch die einzige Szene in Emerald Fennells bitterbösem Spielfilmdebüt „Promising Young Woman“, in der mit solchen Möchtegern-Macho-Klischees gespielt wird. Ansonsten zielt die dunkelschwarze Thriller-Comedy nämlich auf einen ganz anderen Typ „Mann“ ab: den „netten gebildeten Kerl“, der sich vermutlich selbst als „männlicher Feminist“ bezeichnen würde.

    Jedes Wochenende spielt Cassandra in den Clubs der Stadt die Sturzbesoffene – bis eben genau so ein „netter Kerl“ vorbeikommt, sie ins Taxi schleppt und nach Hause bringt. Wobei den Typen auf der Fahrt zuverlässig einfällt, dass man doch noch einen letzten Absacker bei ihnen trinken könnte. Schon das Casting ist perfekt: „O.C., California“-Schnuckelchen Adam Brody & „Superbad“-Sidekick Christopher Mintz-Plasse – zwei Fanlieblinge mit Dackelblick, wie man sie sich sympathischer und harmloser kaum vorstellen könnte. Unbezahlbar: Der pure Horror in ihren Augen, wenn die gerade noch bewusstlos daliegende Cassandra zu erkennen gibt, dass sie in Wahrheit nicht einen einzigen Schluck Alkohol getrunken hat.

    Cassandra (Carrey Mulligan) tut nur so, als sei sie hoffnungslos betrunken ...

    Wenig später sieht man, wie Cassandra vor dem Schlafengehen noch einen Strich in ihr Notizbuch hinzufügt. Es sind bereits eine Menge Striche. Was zwischen diesen beiden Momenten mit den Männern geschieht und warum es Cassandra überhaupt auf sie abgesehen hat, erfährt das Publikum erst später – aber es ist nicht das, was ihr jetzt vielleicht im ersten Moment glaubt. Emerald Fennell, die aktuell als Camilla Parker Bowles im Netflix-Hit „The Crown“ zu sehen ist und die zweite Staffel des Serien-Phänomens „Killing Eve“ als Showrunnerin verantwortet hat, wollte mit ihrem Debüt als Spielfilm-Regisseurin und -Autorin eine Rape-&-Revenge-Geschichte erzählen, in der sich die Frau bei ihrem Rachefeldzug zur Abwechslung mal nicht wie ein Mann verhält …

    … und das ist ihr auch gelungen. Wobei die „weibliche“ Rache im Fall von „Promising Young Woman“ zwar ebenso gnadenlos, aber eben auch eleganter, cleverer und zudem auch noch gnadenlos unterhaltsam daherkommt! Als kongeniale Partnerin kann sich Emerald Fennell, die auch selbst einen Cameo-Auftritt als YouTube-Instrukteurin mit Schminktipps für Blowjob-Lippen absolviert, dabei auf ihre Hauptdarstellerin verlassen: Carey Mulligan („Der große Gatsby“) liefert nicht nur eine vielschichtige Performance, wie man sie von solchen diebisch-bösen Genre-Streifen absolut nicht gewöhnt ist – selbst ihre zweite Oscarnominierung nach „An Education“ scheint in greifbarer Nähe. Sie gesteht der desillusionierten Protagonistin, die sogar ihren eigenen 30. Geburtstag vergisst, auch ein erstaunliches Maß an Ambivalenz zu.

    Ein doppelbödiges Vergnügen

    Es macht zwar konstant Laune, sich mit Cassandra auf ihren Rachefeldzug zu begeben – aber das heißt nicht, dass man ihr auch in jeder Szene zu 100 Prozent die Daumen drückt. Wenn sie ihrer ehemaligen Dekanin (Connie Britton) gegenüber andeutet, dass sie deren minderjährige Tochter im Zimmer einiger wenig vertrauenserweckender College-Studenten abgeliefert hat, muss man schon auch ganz schön schlucken.

    Sowieso sind es vor allem die Szenen, in denen sich die Rache gegen Frauen richtet, die auch das Publikum besonders herausfordern – etwa bei einer Essensverabredung mit ihrer ehemaligen Mitstudentin Madison (Alison Brie), die sich in Zukunft drei Mal überlegen wird, ob Frauen wirklich selbst an allem schuld sind, wenn sie zuvor zu viel getrunken haben.

    ... um die "netten" Typen, die sie einfach nur "sicher nach Hause bringen" wollen, später ganz schön in die Bredouille zu bringen.

    Wenn „Promising Young Woman“ auf die Zielgerade einbiegt, sorgt ein plötzlich auftauchendes Handyvideo zwar dafür, dass sich die zuvor angedeutete Ambivalenz ein Stück weit in Luft auflöst. Aber das ist deshalb gar nicht weiter schlimm, weil Emerald Fennell die vermeintliche Sicherheit des Publikums, das sich zu diesem Zeitpunkt in einer sicherlich nicht typischen, aber doch irgendwie handhabbaren schwarzen Thriller-Komödie wähnt, erbarmungslos ausnutzt, um es mit einem unglaublich intensiven Finale umzuhauen.

    Über die finalen Wendungen von „Promising Young Woman“ wird – wie über den Film an als Ganzes – sicherlich noch viel gesprochen und diskutiert werden. Aber egal wie man den finalen Twist-Tiefschlag nun hinnimmt, ob man ihn in seiner Konsequenz einfach akzeptiert oder ob man sich doch noch eine Weile gegen ihn sträubt – zumindest die letzten Sekunden des Films haben so oder so etwas unheimlich Befriedigendes und Kathartisches an sich…

    Fazit: Ein richtig schön böser Rachefilm, der seinem Publikum zwar wiederholt kräftige Schläge in die Magengrube verpasst, zugleich aber auch ein ebenso cleveres wie perfides Vergnügen bereitet.

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