Max Ballauf wird zum "Silvercop"
Von Lars-Christian DanielsAls Jungschauspieler Thomas Prenn („8 Tage“) das erste und bisher einzige Mal in einem „Tatort“ zu sehen war, brachte ihm seine herausragende Performance den Studio Hamburg Nachwuchspreis als bester Nachwuchsdarsteller ein: Im verschachtelt erzählten „Tatort: Damian“, der zu den stärksten Sonntagskrimis des Jahres 2018 zählte, brillierte der Jungschauspieler in der anspruchsvollen Titelrolle als schizophrener Student Damian und überzeugte die Jury mit einer „erstaunlichen Wandelbarkeit“, die „nie seicht oder aufgesetzt“ wirkte.
In Felix Herzogenraths „Tatort: Kein Mitleid, keine Gnade“ ist Prenn in einer ganz ähnlichen Rolle zu sehen: Erneut mimt er einen verschlossenen Einzelgänger, der mit sich selbst und seiner Umwelt nur schwer zurechtkommt und bei einem Mordfall ins Visier der Kommissare gerät. Im direkten Vergleich schneidet der Krimi aus Köln aber deutlich schwächer ab als sein hochklassiger Vorgänger aus dem Schwarzwald: Zwar überzeugt der Film mit einer soliden Spannungskurve und engagierten Darstellern – die Figuren geraten allerdings ziemlich platt und zu den Themen Homophobie und Cybermobbing fällt den Filmemachern auch nicht viel Neues ein.
Assistent Norbert Jütte (links) lässt es mal wieder ein wenig ruhiger angehen.
An einem See in Köln wird die nackte Leiche des 17-jährigen Jan Sattler (Finn Ullrich) gefunden. Der Schüler wurde brutal zusammengetreten und ist an inneren Verletzungen gestorben. Die Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär), die von ihrem Assistenten Norbert Jütte (Roland Riebeling) und Rechtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch) unterstützt werden, hören sich an der Schule des Opfers um: Jan wurde dort ebenso gemobbt wie sein Freund Paul (Thomas Prenn), dem man eine Beziehung zum Toten nachsagte. Drei Schüler erscheinen besonders verdächtig: Die gleichaltrigen Lennart (Moritz Jahn), Nadine (Emma Drogunova) und Robin (Justus Johanssen) hatten das schwule Paar auf dem Kieker. Als Schenk Nadine zur Rede stellt und dabei an der Schulter berührt, schreit diese plötzlich auf und behauptet, der Kommissar habe ihr an die Brust gefasst. Schon bald verbreitet sich ein Video und Schenk gerät in Erklärungsnöte…
Wer den einleitend erwähnten „Tatort: Damian“ gesehen hat, dürfte in den Anfangsminuten ein Déjà-Vu erleben: Ähnlich wie im Krimi aus dem Schwarzwald folgt die Kamera zunächst Thomas Prenn – diesmal allerdings nicht in seiner Rolle als verplanter Student Damian in den Hörsaal der Freiburger Uni, sondern in seiner Rolle als verschlossener Schüler zu seinem Platz im Klassenzimmer eines Kölner Gymnasiums. Beide Figuren wirken zunächst sehr ähnlich, was auch daran liegt, dass der Schauspieler schon in jungen Jahren seine Paraderolle als psychisch labiler Sonderling gefunden zu haben scheint. Sein Auftritt ist erneut sehr überzeugend, wenngleich Prenn in diesem „Tatort“ nicht ganz so viel Raum zur Entfaltung bekommt – er spielt nur einen vor vier Schülern, die alle gleichermaßen als Täter infrage kommen und entsprechend Zeit vor der Kamera erhalten.
Bei näherer Betrachtung ergibt sich dabei ein Figurenkonstrukt, wie es aus einer klassischen High-School-Komödie stammen könnte: Neben Einzelgänger Paul gibt es die gutaussehende und beliebte Sportskanone Robin, der sogar die Lehrerin zu Erfolgen auf dem Fußballplatz gratuliert das naive und verwöhnte „Rich Kid“ Lennart, das von seinen Eltern für ein Schulprojekt mal eben eine teure Spiegelreflexkamera geschenkt bekommt, und nicht zuletzt das durchtriebene Biest Nadine, das seine weiblichen Reize gezielt einsetzt und die Männer – Ballauf und Schenk eingeschlossen – stets nach seiner Pfeife tanzen lässt. Das Schablonenhafte vermögen Nadine, Lennart und Robin leider nur selten abzulegen – was zu einer gewissen Vorhersehbarkeit in der Täterfrage führt, denn außer den Jugendlichen kommt in diesem „Tatort“ nur eine weitere Person als Mörder infrage. Die segnet jedoch wenig überraschend als obligatorische zweite „Tatort“-Leiche das Zeitliche.
Drehbuchautor Johannes Rotter, der nach dem „Tatort: Scheinwelten“ von 2013 zum zweiten Mal das Skript zu einem soliden Kölner „Tatort“ beisteuert, hat damit einen sehr klassischen Whodunit entworfen, der sich an die ungeschriebenen Gesetze der Krimireihe hält und dabei die üblichen Standardsituationen in der Gerichtsmedizin und im Präsidium durchexerziert. Im Vergleich zu manch anderem Krimi aus Köln ergeben sich dadurch aber nur selten Spannungslöcher: Auf dem Revier sorgt Assistent Jütte mit seiner gewohnt herzlichen und gemütlichen Art für Heiterkeit, aber auch für ernste Zwischentöne, weil Ballauf und Schenk diesmal persönlicher in die Kernthemen Homophobie und Cybermobbing involviert sind als im „Tatort“ aus der Domstadt üblich. Während sich Ballauf mit dem Nutzernamen „Silvercop“ (!) in einer Dating-App für Schwule anmeldet, muss sich Schenk der Grapschervorwürfe erwehren, mit denen er zunächst in den sozialen Medien, schon bald aber auch im Kollegenkreis konfrontiert wird.
Sexy Silberfuchs: Klaus J. Behrendt als Max Ballauf
Hier birgt der von Regisseur Felix Herzogenrath routiniert in Szene gesetzte „Tatort“ dann große Schwächen: Was es wirklich für einen angehenden Abiturienten heißt, sein Outing zu erleben und Schultag für Schultag von seinen Mitschülern gemobbt zu werden, ergründen die Filmemacher ohne nennenswerten Tiefgang – dass man es mit einem streng gläubigen Muslim als Vater dabei wahrscheinlich ebenso schwer hat wie als Spieler einer unterklassigen Fußballmannschaft, erfordert wenig Phantasie. Die Vorwürfe gegen Schenk hingegen wirken dermaßen konstruiert und an den Haaren herbeigezogen, dass sich wohl nur wenige Zuschauer ernsthaft Sorgen um die Reputation des Kommissars machen dürften – da haben Freddy und Max in ihren mehr als 20 gemeinsamen Dienstjahren schließlich schon ganz andere Krisen durchgestanden.
Fazit: Solider und kurzweiliger „Tatort“ aus Köln, dessen ambitionierte Geschichte aber zu wenig aus ihren reizvollen Kernthemen herausholt.