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    Lucy ist jetzt Gangster
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Lucy ist jetzt Gangster

    Diese kurzweilige Familienkomödie macht Lust auf Eis

    Von Lars-Christian Daniels

    Ein enttäuschtes Raunen ging bei der Deutschlandpremiere von „Lucy ist jetzt Gangster“ auf dem 20. Hamburger Kinder- und Jugendfilmfest „Michel“ erst dann durch den ausverkauften Kinosaal, als der Abspann und der Applaus schon lange vorbei waren und die Filmcrew auf der Bühne (fast) alle Fragen der begeisterten Kinder und Jugendlichen beantwortet hatte. Denn eine wichtige Frage war bis ganz zum Schluss noch offen geblieben: Wie viele Kugeln Eis wurden eigentlich während der Dreharbeiten verdrückt? Die überraschende Antwort: Keine einzige!

    Stattdessen kam in der deutsch-niederländischen Co-Produktion, die zu großen Teilen in einer Eisdiele spielt, eingefärbter Frischkäse zum Einsatz – der schmilzt vor der Kamera schließlich nicht gleich weg. Der Authentizität des Geschehens und der tollen Optik tut dieser Kniff aber keinen Abbruch, ganz im Gegenteil: Till Endemanns Familienkomödie besticht mit nostalgischen, farbenfrohen Bildern und erzählt eine jederzeit kurzweilige Geschichte mit sympathischen Figuren und einem tollen (Nachwuchs-)Ensemble.

    Lucy will die Eisdiele ihrer Eltern retten.

    Die zehnjährige Grundschülerin Lucy Pagano (abwechselnd gespielt von Valerie Arnemann und Violetta Arnemann) ist der festen Überzeugung, dass das richtige Eis einfach jeden Menschen trösten kann. Im „Felicitá“, der Eisdiele ihrer Eltern Pietro (Kostja Ullmann) und Nadine (Franziska Wulf), packt sie nach Schulschluss mit an und weiß genau, welcher Kundschaft welche Sorte am besten schmeckt. Doch dann geschieht eine Katastrophe: Die teure Eismaschine erleidet durch eine Unachtsamkeit einen Defekt – und die Paganos sind gegen den irreparablen Schaden nicht versichert.

    Weil ihre Eltern sich keine neue Maschine leisten können, die örtliche Bank keinen Kredit gewährt und die Paganos zum Leidwesen des gesamten eisliebenden Dorfes vor dem Ruin stehen, schmiedet Lucy einen heiklen Plan: Der gefürchtete Klassenrowdy Tristan (Brooklyn Liebig), der nicht nur mit seinen Lehrer*innen auf Kriegsfuß steht, soll das brave Mädchen zum Gangster ausbilden und ihr dabei helfen, eine Bank zu überfallen. Ihrer besten Freundin Rima (Lisa Marie Trense) gefällt diese Idee überhaupt nicht – Lucys Onkel Carlo (Kailas Mahadevan) hingegen weiß sehr gut, dass das Leben nicht immer die ehrlichen und aufrichtigen Menschen belohnt…

    Moderne "Robin Hood"-Parabel

    Regisseur Till Endemann („Vater Morgana“), der gemeinsam mit Andreas Cordes auch das Drehbuch zum Film schrieb, entführt das Publikum in seiner kindgerechten, modernen „Robin Hood“-Parabel in eine bonbon- und pastellfarbene Märchenwelt: „Lucy ist jetzt Gangster“ spielt nicht nur im trubeligen kleinen Fachwerkdörfchen Werlach-Bimsheim (gedreht wurde im baden-württembergischen Bad Wimpfen), sondern auch in mehreren Jahrzehnten gleichzeitig. Da laufen die Polizist*innen noch in grünen Uniformen herum, die Schüler tragen Lederranzen und die Autos stammen aus den 70ern – gleichzeitig sprechen Tristans vielbeschäftigte Eltern beim Aktien-Trading aber in Bluetooth-Headsets und auf den Schreibtischen der Bank stehen Flatscreen-Monitore.

    Dieses Mixed-Setting funktioniert erstaunlich gut und bietet die Kulissen für eine heitere Komödie, bei der generationsübergreifend gelacht werden darf: Jung und Alt kommen bei Lucys hindernisreicher Ausbildung zur Bankräuberin gleichermaßen auf ihre Kosten. Das liegt auch daran, dass sich dünner Slapstick und alberne Wortwitze („Feige-Nuss!“) auf ein Minimum beschränken und Fäkalhumor gleich ganz außen vor bleibt. Und wenn etwa die herrlich überzeichnete Mafiosi-Karikatur Carlo dem Bankberater ein Angebot machen will, das der nicht ablehnen kann, richtet sich der Gag gezielt an Kenner von Francis Ford Coppolas Meisterwerk „Der Pate“ – und damit an die ältere Zielgruppe.

    Grüne Polizeiuniformen in modernem Setting: Eine bonbonbunte Parallelwelt

    Die Bühne in diesem Film gehört meist der titelgebenden „Lucy“ als Identifikationsfigur für das jüngere Publikum – und damit den Hauptdarstellerinnen Valerie und Violetta Arnemann, die sich in mehreren Castingrunden für die anspruchsvolle Rolle durchgesetzt haben. Die beiden machen ihre Sache sehr gut, zeigen sich bei ihrem Debüt bereits erstaunlich facettenreich und vermitteln mit ihrer aufgeweckten und gewinnenden Art fast nie den Eindruck, nur eine Rolle zu spielen. Die ungewöhnliche Doppelbesetzung wirkt dabei stets wie aus einem Guss: Dass hier zwei eineiige Zwillingsschwestern abwechselnd dieselbe Figur verkörpern, dürfte dem unwissenden Teil des Publikums nicht einmal auffallen. Selbst ein verräterisches Muttermal, das im realen Leben beim Unterscheiden der Schwestern hilft, wurde für den Film retuschiert.

    Eisdealerin und Gangster-Azubine Lucy zeichnet auch für die nachdenklichen Momente verantwortlich, die der Geschichte die nötige Tiefe geben: Ihr innerer Konflikt, das brave Mädchen hinter sich lassen zu müssen, um den Laden ihrer Eltern zu retten, wird durch mahnende Worte ihrer Freundin Rima und humorvolle Engelchen-Teufelchen-Dialoge vor dem Spiegel auch für junge Zuschauer*innen jederzeit greifbar. Die meisten Lacher gehören aber dem kriminellen Tristan, der sich schnell zum Publikumsliebling mausert und auf seinem Skateboard viele Szenen stiehlt. Besonders mit Blick auf Tristan bleibt die Dramaturgie aber stets ausrechenbar: Während Lucys vorübergehende Wandlung mit Blick auf die „Moral von der Geschicht“ natürlich nicht von Dauer ist, erkennt Tristan irgendwann, dass man vielleicht auch ehrlich im Leben vorankommen kann.

    Manchmal formelhaft, immer vergnüglich

    Dem Vergnügen tut das Formelhafte kaum Abbruch, denn Jungdarsteller Brooklyn Liebig gibt dem Affen ordentlich Zucker und stößt die verdutzte Lucy mit seinem schroffem Straßenslang ein ums andere Mal vor den Kopf. Hier prallen nicht nur im Geiste, sondern auch zeitlich zwei Welten aufeinander: Während Tristan meist das Vokabular der heutigen Jugend spricht, sich wie ein Ami-Rapper kleidet und aus seinen High-Tech-Kopfhörern Hip-Hop-Beats scheppern, wirkt Lucy in ihrer Schuluniform wie eine 70er-Jahre-Unschuld vom Lande. Ein köstlicher, wenn auch sehr klassischer Kontrast, aus dem sich zahlreiche Reibungspunkte und Pointen ergeben.

    Mit Kinostars wie Kostja Ullmann („Groupies bleiben nicht zum Frühstück“) und Esther Schweins („Mara und der Feuerbringer“), die die sensationslüsterne Fernsehreporterin Katja Krone spielt, überzeugt der Film auch in den mit grobem Pinsel gezeichneten Nebenrollen – dass da Klischees bedient und durch den Kakao gezogen werden, versteht sich mit Blick auf die knappe Spielzeit fast von selbst. All diese Figuren, zu denen auch die knuffigen Streifenpolizisten Stramm (Tom Keune) und Klose (Maximilian Löwenstein) zählen, eint die Liebe zum Qualitätseis, die ungemein ansteckend ist: Wer sich nicht schon eines mit in den Kinosaal genommen hat, dürfte spätestens nach dem Abspann direkt die Eisdiele seines Vertrauens ansteuern.

    Fazit: Grundsympathische, ansprechend besetzte und toll fotografierte Familienkomödie nach klassischer Bauart, bei der das junge und ältere Publikum gleichermaßen auf seine Kosten kommt.

    Wir haben „Lucy ist jetzt Gangster“ beim Filmfest Hamburg 2022 gesehen.

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