Mehr Grindr wagen
Von Christoph PetersenJa, wir haben das Jahr 2022, und ja, „Bros“ ist die erste schwule Kino-RomCom eines großen Hollywoodstudios. Immerhin startet der Film damit noch zwei Monate, bevor der für sein sehr konservatives Familienbild berüchtigte Grußkarten-Fernsehsender Hallmark mit „The Holiday Sitter“ seinen ersten Weihnachtsfilm rund um ein schwules Paar ausstrahlt. Das muss man auch erst mal sacken lassen. Wenn man den ersten Schrecken über diese Feststellung dann überwunden hat, ist schnell festzustellen: Die von „Fast verheiratet“-Regisseur Nicholas Stoller und seinem Co-Autor/Hauptdarsteller Billy Eichner („Der König der Löwen“) entwickelte romantische Komödie ist ganz einfach ziemlich gut geworden.
Das liegt zum einen daran, dass Grindr-Gags noch lange nicht so ausgelutscht sind wie Tinder-Jokes. Anders als bei früheren LGBTQ+-Mainstream-Durchbrüchen wie der Sitcom „Will & Grace“ achten die Verantwortlichen dabei auch keinesfalls darauf, den Heteros im Zuschauersaal bloß nicht mit allzu expliziten Anspielungen vor den Kopf zu stoßen. Zum anderen ist „Bros“ eben doch nicht einfach nur eine klassische RomCom mit schwulen Protagonisten (selbst wenn wir uns schon darauf freuen, blöde schwule Mainstream-RomComs in Zukunft mit derselben Selbstverständlichkeit zu verreißen wie blöde heteronormative RomComs). Stattdessen verhandeln Stoller und Eichner den langen Weg zur Entstehung von „Bros“ auf der Leinwand gleich mit – und das durchaus mit der gebotenen Gravitas, ohne dabei auf ein zum Teil gehöriges Maß an bissiger Selbstironie zu verzichten.
Mit Bobby (Billy Eichner) und Aaron Shepard (Luke Macfarlane) verknallen sich ausgerechnet zwei der beziehungsunfähigsten New Yorker ineinander...
Der schwule LGBTQ+-Aktivist Bobby Leiber (Billy Eichner) hält sich selbst für hochgradig beziehungsunfähig. Ab und an mal ein funktional durchgezogenes Grindr-Sexdate und das muss dann auch reichen. Zumal der erfolgreiche Podcast-Moderator gerade schwer damit beschäftigt ist, in New York das erste Museum für queere Geschichte zu eröffnen – und da geht es zwischen den verschiedenen LGBTQ+-Fraktionen im Verwaltungsrat ganz schön hoch her. Vom Zusammenbekommen der für die Eröffnung noch nötigen Millionen an Fördergeldern reden wir erst gar nicht. Doch dann erblickt Bobby in einem Club den schwer durchtrainierten Aaron Shepard (Luke Macfarlane) und ist plötzlich irgendwie doch ganz durcheinander …
… und das wird sogar noch „schlimmer“, als Bobby feststellt, dass der Erbschaftsangelegenheits-Berater trotz seines Model-Looks absolut kein hirnloser Fitnessstudio-Dauergast ist. Dummerweise ist Aaron allerdings ein ebenso überzeugter Bloß-keine-Beziehung-Mensch wie Bobby – und so beginnt ein wiederholtes Hin und Her, das weniger mit den Gefühlen für den jeweils anderen, sondern mehr mit dem eigenen Selbstverständnis zu tun hat…
"Bros" macht angenehm wenige (nämlich keine) Zugeständnisse an mögliche Befindlichkeiten des Hetero-Anteils im Publikum!
Zu Beginn von „Bros“ sehen wir Bobby in einem Hollywood-Meeting – aber das Angebot, das Drehbuch für eine schwule romantische Komödie zu schreiben, lehnt er geradeheraus ab. Das breite Publikum wolle doch Schwule auf der Leinwand eh nur sehen, solange es sich dabei um leidende Cowboys handelt, die von Hetero-Schauspielern verkörpert werden. Statt an einem Film arbeitet er deswegen an einem Museum. So geht es in „Bros“, einem Meilenstein queerer Sichtbarkeit, um die Aufbereitung der LGBTQ+-Historie und damit ebenfalls um einen Meilenstein queerer Sichtbarkeit. Ein nicht gerade subtil platziertes Meta-Element, das eine romantische Komödie auch wie ein Stein um den Hals hätte nach unten ziehen können. Aber die Autoren, denen das aktivistische Moment von „Bros“ spürbar am Herzen liegt, verhandeln es zugleich auch mit einer solchen unerhörten Selbstironie, dass der RomCom-Schwung des Films nie drunter leidet.
Besonders gelungen sind etwa die Sitzungen des Verwaltungsrats. Das klingt im ersten Moment vielleicht nach trockener Bürokratie, aber wenn sich die verschiedenen Buchstaben und Zeichen aus LGBTQ+ erst mal über queere Historie in die Haare bekommen, dann bleibt da kein Stein auf dem anderen (und beim Publikum kein Auge trocken). So sind im Saal mit den Held*innen der LGBTQ+-Geschichte irgendwann Amy Schumer als Eleanor Roosevelt und „Saturday Night Live“-Absolvent Kenan Thompson zu sehen, mal ganz zu schweigen von Ben Stiller, der die Gäste in seiner „Nachts im Museum“-Rolle auf dem Klo begrüßt. Und trotzdem bleibt der absolute Höhepunkt der gar nicht mehr zu stoppende Rant von Debra Messing, die absolut keinen Bock mehr darauf hat, seit ihrer ikonischen Rolle in „Will & Grace“ die beste Freundin jedes schwulen Mannes in Amerika sein zu müssen.
Im Verwaltungsrat des LGBTQ+-Geschichtsmuseums geht's immer hoch her!
„Bros“ feiert die LGBTQ+-Szene in all ihrer Widersprüchlichkeit – und das ist neben allem, was man so unter der Gürtellinie findet, der zuverlässigste Pointen-Lieferant. In anderer Hinsicht bleibt die Revolution – und zwar wohl in voller Absicht – aus: „Bros“ folgt im Kern dem klassischen RomCom-Konzept vom Widerspenstigen, der erst noch in Richtung Beziehungstauglichkeit gezähmt werden muss (inklusive einem Abstecher in eine Art Hallmark-Channel-Weihnachtsdorf, über das sich jede andere Komödie in der Geschichte der Menschheit lustig gemacht hätte, das hier aber ehrlich als Glühwein-Kuschelort abgefeiert wird). Die Chemie zwischen Billy Eichner und Luke Macfarlane („Single All The Way“) stimmt ebenso wie das komödiantische Timing und das klassische RomCom-Setting im winterlichen Manhattan.
Die Kino-RomCom schien einige Jahre lang tatsächlich ausgestorben zu sein. Aber wer nach dem (überraschenden) Erfolg von Julia Roberts und George Clooney mit „Ticket ins Paradies“ wieder auf den (Genre-)Geschmack gekommen ist, der kann guten Gewissens bei „Bros“ gleich weitergucken, selbst wenn der Humor hier zwar ähnlich süß, aber dann doch auch ein paar Nummern weniger jugendfrei ausfällt…
Fazit: Man spürt, dass sich Billy Eichner und Nicholas Stoller beim Schreiben des Skripts stets bewusst waren, was für ein wichtiger Schritt ihr Film für die LGBTQ+-Präsentation auf der großen Leinwand ist – und so ist der mit etlichen bissigen Popkultur-Referenzen („wir hatten AIDS, die heutige Generation hat ‚Glee‘“) gewürzte „Bros“ eben doch nicht nur eine klassische RomCom mit schwulen Protagonisten, sondern zugleich immer auch ein Meta-Kommentar zu seiner eigenen Entstehung. Aber das ändert nichts daran, dass „Bros“ ebenso unterhaltsam wie romantisch geraten ist – und wenn es unter die Gürtellinie geht, dann so richtig und erfreulicherweise ohne jede Rücksicht auf eventuelle Befindlichkeiten des Hetero-Anteils im Publikum!