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    Eine Geschichte von drei Schwestern
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Eine Geschichte von drei Schwestern

    Purzelbäume gegen die Hoffnungslosigkeit

    Von Christoph Petersen

    Ein tragisches Märchen von drei Schwestern, von denen nur maximal eine ihr Glück finden kann. Denn die einzige Chance, vom abgelegenen väterlichen Hof hoch oben in den anatolischen Bergen wegzukommen, wäre eine Anstellung als Haushaltshilfe bei einem Arzt in der Stadt. Man merkt dem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Eine Geschichte von drei Schwestern“ durchaus an, dass der Regisseur und Drehbuchautor Emin Alper selbst an diesem Ort der großen Gipfel und kleinen Hoffnungen aufgewachsen ist. Schließlich war hier auch schon sein vielversprechendes Debüt „Tepenin Ardı - Beyond The Hill“ angesiedelt, in dem er die Geschichte einer Fehde zwischen einer Bauernfamilie und einem Nomadenclan vom Hügel nebenan vornehmlich durch seine starken Bilder erzählt. In „Eine Geschichte von drei Schwestern“ setzt Alper nun aber viel stärker auf langgezogene Dialoge, die in dieser Form wohl eher auf eine Theaterbühne gehört hätten und die den Film trotz atemberaubend schöner Einstellungen zu einer reichlich zähen Angelegenheit machen.

    Nachdem die 20-jährige Reyhan (Cemre Ebüzziya) bereits vor einiger Zeit aus dem Dienst von Necati (Kubilay Tunçer) und seiner Frau entlassen wurde, will der Arzt nun auch die zweitälteste Tochter des Bergbauern Şevket (Müfit Kayacan) wieder zu Hause abliefern: Die 16-jährige Nurhan (Ece Yüksel) soll seinen Sohn geschlagen haben, weil dieser nachts ins Bett gepinkelt hat. Während sich Necati, Şevket, der Dorfvorsteher (Hilmi Özçelik) und Reyhans leicht schwachsinniger Ehemann Veysel (Kayhan Açıkgöz) am Lagerfeuer mit Raki die Kante geben und darüber diskutieren, ob nun nicht die tüchtige jüngste Tochter Havva (Helin Kandemir) die Stelle antreten könnte, kriegen sich die gerade erst wiedervereinten Schwestern sofort in die Wolle. Jede von ihnen hofft darauf, dass vielleicht sie es ist, die der Hoffnungslosigkeit der Berge am Ende der Nacht entfliehen kann. Zugleich ist spürbar, welche tiefe Zuneigung zwischen den Schwestern noch immer besteht, selbst wenn das Glück der einen automatisch das Unglück der anderen beiden bedeutet...

    Es geht richtig stark los. Der Schafhirte Veysel ist nachts bei der Herde, als er hinter sich plötzlich die hervorstehenden Wurzeln eines alten Baumes „atmen“ hört. Vor lauter Angst pinkelt er auf ein Grab, das er im Dunkeln nicht gesehen hat. Ein Sturm brandet auf und es wirkt fast so, als wollten die Äste ihn augenblicklich als Strafe erschlagen. Das ist intensiver und gruseliger als so ziemlich jeder Horrorfilm – und es ist zugleich Anfang und Ende des visuellen Erzählens in „Eine Geschichte von drei Schwestern“. Zwar gibt es auch anschließend noch etliche ausgestellt schöne Einstellungen und Panoramen, die einem absoluten Respekt vor der Unwirtlichkeit der anatolischen Berge abverlangen, aber die Erzählung selbst wird in der Folge fast ausschließlich über Dialoge vorangetrieben. Das wird nicht etwa deshalb zunehmend zu einer Qual, weil die ganze Tragik der Situation den Zuschauer praktisch aus jeder einzelnen Zeile heraus regelrecht anspringt, sondern weil sich die Gespräche so elend-künstlich in die Länge ziehen.

    An einer Stelle lässt sich der wohlhabende Necati beim gemütlichen Raki-Trinken zu der unbedachten Bemerkung hinreißen, dass er den armen Veysel ja um sein Leben beneiden würde, allein schon wegen der grandiosen Aussicht und der frischen Luft. Sowas kann natürlich nur ein Städter sagen. Man erfreut sich einen Abend lang an den Annehmlichkeiten der Natur, übersieht dabei aber leichtfertig die harte Arbeit, die Entbehrungen und oft auch die Hoffnungslosigkeit, die hinter einem solch abgeschiedenen Leben stecken kann. Necati sieht seinen Fehler schon wenige Szenen später selbst ein und entschuldigt sich nachdrücklich. Trotzdem könnte man einen ganz ähnlichen Vorwurf auch dem Film selbst machen, wenn Alper die tragische Geschichte seiner Protagonistinnen konsequent in die denkbar hübschesten Bilder verpackt.

    Natürlich geht es in „Eine Geschichte von drei Schwestern“ ganz zentral um diesen Kontrast eines entbehrungsreichen, harten Lebens in einer atemberaubend schönen Umgebung. Doch Alper übertreibt es damit auch immer wieder, etwa in einer Szene, in der Reyhan und Nurhan in einem aufgehangenen Fass Ayran schütteln. Das ist derart perfekt ausgeleuchtet und komponiert, dass man sich plötzlich in einem speziell hergerichteten Museum und nicht mehr in einer tatsächlich bewohnten Hütte wähnt. Oder eben auf einer stilisierten Theaterbühne, wo die im konsequenten Schuss-Gegenschuss-Stil gefilmten Dialoge eh viel besser hinpassen würden. Berghütten-Kitsch und Marathon-Monologe nehmen der Tragik zunehmend die Luft zum Atmen, bis sogar die unausweichliche Katastrophe ohne den eigentlich angebrachten emotionalen Punch verpufft. Da sollte man es lieber mit der verrückten Nachbarin Hatice (Başak Kıvılcım Ertanoğlu) halten. Statt in den Kanon der Hoffnungslosigkeit einzustimmen, schlägt sie lieber Purzelbäume den Berghang hinunter.

    Fazit: Ein Märchen über die Hoffnungslosigkeit, das zwar nahezu ununterbrochen atemberaubend hübsche Bilder liefert, aber dabei auch immer wieder gefährlich nahe an der Grenze zum Kunstgewerbe wandelt und die Geduld des Zuschauers mit seinen endlosen Dialogen auf eine unnötig harte Probe stellt.

    Wir haben „Eine Geschichte von drei Schwestern“ im Rahmen der Berlinale 2019 gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.

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