Die Kinder der Rechten
Von Thomas LassonczykTraditionell ist der Animationsfilm eher den Kindern, den Familien vorbehalten. Dabei wird zumeist komödiantisch-abenteuerliche, harmlos-leichte Unterhaltung geboten, die zudem auch noch möglichst generationenübergreifend funktionieren sollte. Es gab aber schon immer auch Ausnahmen, wie etwa Ralph Bakshis legendär-skandalösen Zeichentrick-Kultfilm „Fritz The Cat“ von 1972. Darin geht es um einen sexgeilen Kater, der stets auf der Suche nach dem nächsten heißen Kätzchen ist. Relativ neu ist jedoch der Trend, mit Hilfe von Animationskino auch politische Aussagen zu treffen. Das tat etwa Ari Folman 2008 mit seinem Golden-Globe-prämierten „Waltz With Bashir“. In dem animierten Mix aus Doku- und Spielfilmelementen geht es um die traumatischen Erlebnisse eines jungen israelischen Soldaten während des Libanonkriegs von 1982. Im April startet zudem „Another Day Of Life“.
Ähnlich gehen nun auch die Filmemacher Frank Geiger und Mohammad Farokhmanesh in „Kleine Germanen“ vor. Ihr Dokudrama besteht aus klassischen Interview-Sequenzen sowie animierten Abschnitten und behandelt zudem ein politisch hochbrisantes Thema: Es geht um Kinder, die in einem rechtsextremen Umfeld aufwachsen. Zwar merkt man dem Film gerade bei den computeranimierten Passagen sein überschaubares Budget an und nicht alle Aussagen der Gesprächspartner besitzen dasselbe Maß an Relevanz. Doch die beiden Regisseure legen hier den Finger in eine klaffende Wunde und machen so auf ein Problem aufmerksam, das bisher kaum oder nur am Rande in der Öffentlichkeit diskutiert wurde.
Elsa liebt ihren Opa...
„Kleine Germanen“ besteht aus zwei Teilen. Zum einen aus der Animationsgeschichte um das Mädchen Elsa, dem von seinem Opa, einem alten Nazi, schon in jungen Jahren rechtsradikales Gedankengut förmlich eingeimpft wird. Zum anderen aus Interviews mit Personen mit nationalistischem Hintergrund sowie Off-Kommentaren von Experten der rechten Szene, die zwischen der animierten Handlung zu Wort kommen. Die Figur der Elsa führt dabei wie ein roter Faden durch den Film. Man erfährt, wie sie auf Befehl des Großvaters Hitlers „Mein Kampf“ auswendig lernen muss, später den militanten, ausländerfeindlichen Schläger Thorsten kennenlernt, ihn heiratet, Kinder bekommt und diese wiederum entsprechend der Gesinnung der Eltern erzieht. Als Thorsten jedoch im Gefängnis landet und nach seiner Rückkehr auch innerhalb der Familie immer brutaler, immer unnachgiebiger wird, will Elsa aussteigen. Aber kann man der eigenen düsteren Vergangenheit wirklich entfliehen?
„Kleine Germanen“ hat seine Stärken eindeutig in der Animationsstory, die zwar auf einer wahren Begebenheit beruht, aber nicht nur deshalb mitreißt und in ihrer Ausweglosigkeit auf erschreckende Art und Weise tief deprimiert. Die technische Umsetzung ist allerdings etwas gewöhnungsbedürftig. Die wabernden, leicht zitternden Bilder machen die Sichtung für die Augen anstrengend, sie erinnern formal ein wenig an die ersten Gehversuche von Richard Linklater, der 2001 mit einer damals noch revolutionären Computersoftware bei „Waking Life“ herumexperimentierte.
... und spielt deshalb für ihn die tapfere kleine Germanin.
Beim zweiten zentralen Element, den Interviews, haben sich Geiger und Farokhmanesh, die gemeinsam mit Armin Hofmann auch für Drehbuch und Produktion verantwortlich zeichnen, an den großen Marcel Ophüls gehalten. Der befragte in seinem wegweisenden, mit dem Oscar ausgezeichneten Dokumentarfilm „Hotel Terminus – Leben und Zeit des Klaus Barbie“ (1988) so lange Nazis, bis diese die laufende Kamera irgendwann vergaßen und Selbstentlarvendes von sich gaben. Das gelingt in „Kleine Germanen“ allerdings nur bedingt. So kommt mit dem rechtsnationalen Verleger Götz Kubitschek und der rechtspopulistischen Journalistin Ellen Kositza etwa ein Paar zu Wort, das man in seiner bieder-bürgerlichen, freundlich-braven Art zunächst auch für klassische CSU-Wähler halten könnte. Zitat: „Wir sind beide an Veränderung per se nicht interessiert, wir sind beide Retro-Typen.“
Geiger und Farokhmanesh lassen die beiden reden, aber die Selbstentlarvung bleibt diesmal aus. Deshalb müssen die Filmemacher unter anderem Dokumentaraufnahmen von hasserfüllten Pegida-Auftritten einspielen, um ihrem Publikum überhaupt klar zu machen, mit wem man es hier tatsächlich zu tun hat. Auch die Zeitlupenszenen von spielenden Kindern, die immer dann gezeigt werden, wenn die Rechte-Szene-Experten aus dem Off ihre O-Töne abgeben, sind ästhetisch zumindest fragwürdig. Trotz dieser Einwände geht das Konzept als Ganzes auf: So berührt das Schicksal von Elsa nachhaltig und auch einige Aussagen der „deutschen“ Interviewpartner werden sicherlich für reichlich Diskussionsstoff sorgen. Zudem gebührt dem Mut der Regisseure, dieses heiße Eisen überhaupt angepackt und sich dafür auch in das nationalistische Umfeld gewagt zu haben, größter Respekt. Ein wichtiger Film zur richtigen Zeit. Denn neben der offensichtlichen Kritik an Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus geht es eben auch ganz zentral darum, unseren Blick zu schärfen für Kinder, die womöglich ganz in unsere Nähe gerade zu großen Germanen herangezogen werden.
Fazit: Formal ungewöhnlicher Dokudrama-Mix aus Animationssequenzen und Gesprächssituationen, der auf eine politisch hochaktuelle Problematik aufmerksam macht.