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    Raub ihren Atem
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Raub ihren Atem

    Quentin Tarantino auf Schwäbisch

    Von Lars-Christian Daniels

    Würde man ein Ranking der unbeliebtesten (und wohl auch unerotischsten) deutschen Dialekte aufstellen, stünden das Sächsische und das Schwäbische sicherlich auf den vordersten Plätzen. Ihren ersten Lacher hat die mit einer gehörigen Prise Erotik durchsetzte deutsche Actionthriller-Komödie „Raub ihren Atem“ deshalb schon, bevor der Film überhaupt richtig losgeht: Regisseur und Drehbuchautor Andreas Kröneck blendet ein mehrzeiliges Zitat von Friedrich Schiller ein und stellt ihm ein Zitat des nicht minder wortgewandten Gotthold Ephraim Lessing gegenüber – nur um dann schon vor dem ersten Bewegtbild darüber aufzuklären, dass es sich bei den berühmten deutschen Dichtern um einen gebürtigen Schwaben und um einen gebürtigen Sachsen handelt.

    Und überhaupt ist sein mit reichlich Mundart und Pulp-Elementen gespickter Debüt-Spielfilm vor allem eine Liebeserklärung an den schwäbischen und sächsischen Dialekt – im deutschen Kino wird schließlich meist Hochdeutsch gesprochen und Dialekt kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn Figuren wie etwa in den „Eberhofer“-Krimis humoristisch überzeichnet sind oder etwas Hinterwäldlerisches in den Film gebracht werden soll. Viele weitere Stärken hat „Raub ihren Atem“ allerdings nicht: Krönecks Erstling ist ein ambitionierter, unterm Strich aber wenig origineller und in seiner Tonalität pausenlos wechselnder Genremix, der phasenweise sogar in den Trash abdriftet.

    Zwischen der Diebin Laura (Luisa Binger) und der Polizistin Maxine (Christina Rieth) sprühen die Funken! Camino Filmverleih
    Zwischen der Diebin Laura (Luisa Binger) und der Polizistin Maxine (Christina Rieth) sprühen die Funken!

    Heilbronn, einen Tag vor Silvester: Im edlen Parkhotel soll ein heikler Datenträger unter Kriminellen den Besitzer wechseln. Auf ihm befinden sich die Klarnamen unzähliger V-Männer, die in den Händen der falschen Leute eklatanten Schaden anrichten könnten. Neben der Meisterdiebin Laura (Luisa Binger), die bei ihrer Mission aus der Ferne von ihrem Onkel Dirk (Raik Singer) unterstützt wird, hat es auch Serienmörder Laschla (Oliver Möller) auf die brisanten Daten abgesehen. Er schickt seinen Handlanger Vincent (Florian Wünsche) vor, der ihm das brisante Material besorgen soll. Die alleinerziehende Polizistin Maxine (Christina Rieth) und ihr einfältiger Kollege Joachim (Harald Hauber) bekommen allerdings Wind von dem Deal und observieren die Hotellobby…

    Beginnen wir direkt mit dem Positiven: Mit dem herrlich muffeligen, breites Schwäbisch sprechenden Joachim gibt es in diesem Film einen echten Sympathieträger. Während die mit allen Wassern gewaschene Laura akribisch den Diebstahl des Datenträgers plant, ist der Parka tragende Sidekick „Jockel“, dessen beiges Outfit nicht von ungefähr an die TV-Helden Horst Schimanski und Inspector Columbo erinnert, der eindeutige Szenendieb dieses Films. Auch anderswo finden sich gelungene, augenzwinkernde Anspielungen auf berühmte Vorbilder aus Film und Fernsehen: Bevor sich Laura als vermeintlich volltrunkene Runaway Bride ins Hotel schleicht, steigt sie aus einer Art Pussy Wagon und die Kamera fängt in Nahaufnahme ihre nackten Füße ein. Quentin Tarantino, selbst ja bekanntermaßen ein Fußfetischist, lässt grüßen.

    Handwerkliche Mängel

    Haben sich schließlich alle Figuren im Hotel versammelt, hat „Raub ihren Atem“ durch das begrenzte Innenraum-Setting bisweilen den Charakter eines Kammerspiels, kann seine Low-Budget-Atmosphäre dabei nie wirklich abstreifen. Am schwersten fällt ins Gewicht, dass der Film offenbar komplett nachsynchronisiert wurde: Dialoge klingen stets so, als würden sie aus dem Off eingesprochen, statt sie in natürlicher akustischer Umgebung einzufangen. Das geht bisweilen so weit, dass in der vollbesetzten Hotelbar nichts anderes als die Stimmen zweier miteinander sprechenden Frauen zu hören ist. Was als stilistische Fingerübung oder erzählerischer Akzent gedacht sein mag, klingt so, als hätte man diese Tonspur versehentlich zu laut abgemischt.

    Zu den handwerklichen Mängeln und den kratergroßen Logiklöchern im Drehbuch (Stichwort: Zimmerservice) addiert sich eine Sequenz, die den bis dato kurzweiligen, wenn auch stellenweise sehr albernen Genremix im Mittelteil komplett aus den Angeln hebt. Das mit „Die Suite“ betitelte dritte Kapitel der recht beliebig in vier Teile und einen Epilog gegliederten Geschichte (wohl einfach ein weiterer Tarantino-Einfluss) entpuppt sich nämlich als waschechte Softporno-Episode: Laura und Maxine haben eine gefühlte Ewigkeit leidenschaftlichen Oralsex, bei dem die Kamera minutenlang in Aufnahmen ihrer ekstatisch bebenden Körper, ihrer verzerrten Gesichter oder ihrer makellos eingefangen Körper schwelgt. Das hat vor allem einen voyeuristischen Charakter, zumal das ausufernde Schäferstündchen der beiden für die Geschichte nur einen geringen Mehrwert hat. Ähnliches gilt für die Tatsache, dass der Silvesterabend ansteht, denn der Film könnte genauso gut in einer Hochsommernacht spielen.

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    Auch die mit wenig originellen Heist-Motiven gespickte Diebstahlstory ist schwach auf der Brust: Laura spaziert unbehelligt durch das Hotel, weil ihr von der Mafia drangsalierter Onkel am Laptop im fernen Italien einfach jedes Hindernis digital aus dem Weg räumt. Hier machen es sich die Filmemacher sehr einfach. Ähnlich faul ist die Zeichnung der Figuren: Da ist von der frustrierten Single-Mama über den seine Angestellten tadelnden Hotelmanager bis hin zum sadistischen Frauenmörder, dem auf Rache für den Tod seiner Eltern sinnenden Waisenkind und der tumben Leibwache, die sich mit simpelsten Tricks ablenken lässt, praktisch alles dabei. Wenngleich hier und da humorvoll mit den Klischees gespielt wird, werden sie allzu oft auch simpel bedient.

    Dass sich „Raub ihren Atem“ als selbstironischer Ritt durch das Action-, Thriller- und Erotikdrama-Genre am Ende so unrund anfühlt, liegt aber vor allem an der pausenlos wechselnden Tonalität. Werden ernste Momente oder coole Gangster-Sprüche durch den schwäbischen und sächsischen Dialekt im einen Augenblick noch konterkariert, sollen wir sie im nächsten plötzlich für bare Münze nehmen oder für bedrohlich halten. Auf mit abgegriffenen Pointen gespickte Wortgefechte folgen mit tragisch-theatralischem Klangteppich untermalte Worte zweier Liebender, ehe wieder eine raue Actioneinlage folgt – das kann ja kaum funktionieren. So bleibt trotz des sympathischen Dialektfeuerwerks, in dem einzig das schwäbische Wort „ebbes“ seltsam inflationär gebraucht wird, am Ende vieles Stückwerk.

    Fazit: Andreas Krönecks „Raub ihren Atem“ ist ein selbstironischer und mit reichlich Mundart durchsetzter Ritt durch die Genres – unterm Strich als wilde Kreuzung aus Actionfilm, Heist-Movie und Erotikdrama aber ziemlich missglückt.

    Wir haben „Raub ihren Atem“ bei den 46. Biberacher Filmfestspielen gesehen, wo er in der Sektion „Spielfilmdebüt“ seine Weltpremiere feierte.

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