Einfach prima
Von Michael MeynsWird Begeisterung in der heutigen Zeit meist mit Begriffen wie „nice“ oder „mega“ zum Ausdruck gebracht, hieß es früher „prima“, ein Begriff, der so wunderbar altmodisch ist, dass man ihn am liebsten wieder in den Sprachgebrauch einführen würde. Damit das gelingt, wäre das Lesen der Abenteuer des kleinen Nicks ein erster Schritt. Oder man besucht den Animationsfilm „Der kleine Nick erzählt vom Glück“, der sich als ebenso ungewöhnliche wie originelle Mischung aus Adaption und Biographie entpuppt. Denn das Lieblingswort des kleinen Nicks lautet: „Prima!“ In kurzen Episoden wird nicht nur die Entstehung der berühmten Figur des kleinen Nicks nacherzählt, sondern auch die Herkunft seiner ebenso berühmten Väter René Goscinny und Jean-Jacques Sempé. Das Ergebnis ist eine verspielte Hommage an einen Kinderbuch-Klassiker, der in Cannes seine Weltpremiere erlebte und auf dem Animationsfestival in Annency mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde.
Paris, 1955. Der Zeichner Jean-Jacques Sempé trifft seinen etwas älteren Freund, den Autor René Goscinny, und zeigt ihm einige Skizzen. Auf einer ist ein kleiner, pfiffiger Junge mit kurzer Hose zu sehen. Bald wird er auf den Namen „Der kleine Nick“ getauft und erlebt auf den Seiten von immer mehr Zeitungen und bald auch Büchern Abenteuer. Während die Geschichten um den kleinen Nick immer gut ausgehen, war das Leben von Sempé und Goscinny nicht immer so glücklich: Sempé wuchs bei Pflegeeltern auf, die ihn schlugen, Goscinnys jüdische Familie migrierte schon Ende der 1920er Jahre nach Argentinien und konnte wegen des zunehmenden Antisemitismus und der deutschen Besetzung lange nicht nach Frankreich zurückkehren. Trotzdem schuf das Duo gemeinsam unvergessliche Figuren, die auch heute, nach dem Tod beider Künstler, noch immer die Herzen von Jung und Alt erfreuen…
Der kleine Nick schaut seinen Schöpfern entspannt dabei zu, wie sie ein neues Abenteuer für ihn erfinden.
Rund 160 Geschichten mit dem kleinen Nick und seinen Freunden erschienen zwischen 1959 und 1964. Das ist eine eher kurze Zeitspanne, die Bilder und Inhalt der Geschichten deshalb auch viel mehr in einer bestimmten Ära verhaftet lassen als etwa die Abenteuer von „Asterix & Obelix“, die bis heute immer noch erscheinen und dabei auch auf moderne Entwicklungen eingehen. Der kleine Nick jedoch ist in der Zeit um 1960 zu Hause, einer Zeit also, die noch deutlich konservativer war als die Gegenwart, in der die Jugendkultur erst ihre Anfänge nahm, in der Kinder mit Spielzeugflugzeugen spielten, kleine Krawatten trugen und eben auch „Prima!“ sagten. Eine Zeit, in der die Ästhetik der Comics noch handgemacht war, gerne mit Aquarellfarben gemalt wurde, mit Feder und Pinsel. Genau diese Ästhetik übernehmen die Regisseur*innen Amandine Fredon und Benjamin Massoubre in ihrem Film, zwar mit Computertechnik aufgepeppt, aber stets darauf bedacht, den Charme des Vorbildes zu evozieren.
In kurzen Episoden bewegen sie sich dabei auf unterschiedlichen Erzählebenen: Direkte Adaptionen von Geschichten mit dem kleinen Nick sind zu sehen, vor allem aber biographische Episoden, in denen das Leben von Sempé und Goscinny in kurzen Vignetten dargestellt wird. Der Clou dabei: Ein besonders kleiner kleiner Nick hüpft quasi als imaginärer Freund seiner Väter durch die Bilder, setzt sich auf einen Buchstaben der Schreibmaschine Goscinnys oder schaut Sempé über die Schulter, während dieser eine neue Geschichte mit dem kleinen Nick malt. Immer wieder sieht man etwa die Hand Sempés beim Zeichnen einer Figur. Doch dann zoomt die Kamera vorwärts, das Bild, dessen Ränder man eben noch sah, füllt die ganze Leinwand aus und man befindet sich mitten in einer Geschichte.
Da der Film Adaption und Autoren-Biographie miteinander verknüpft, treten auch die Schöpfer des kleinen Nick René Goscinny und Jean-Jacques Sempé selbst auf.
Potenziert wird dieses Spiel mit den Ebenen noch auf eine andere, besonders originelle Weise, die den Gedanken der weißen Leinwand aufnimmt, die einem leeren, noch unbemalten Blatt entspricht, das für alle Möglichkeiten offen ist. Im Off denken da etwa Sempé und Goscinny über die Welt nach, die den kleinen Nick umgeben soll, während auf der frontal gezeigten Leinwand, wie mit Geisterhand gezeichnet, eine Wohnung entsteht. Doch der erste Gedanke einer bürgerlichen Umgebung erscheint den Autoren unpassend und schwuppdiwupp wird die Wohnung ausradiert und macht einer einfachen Arbeiterwohnung Platz. Als würde man der kreativen Genese unmittelbar beiwohnen wirken diese Szenen, als würde die kreative Energie von Sempé und Goscinny direkt auf die Leinwand fließen.
Das episodische Element von „Der kleine Nick erzählt vom Glück“ wiederum spiegelt die Kürze der Geschichten wider, die auch auf dem Papier nur wenige Seiten lang sind. Epische Größe wie lange, 36 oder mehr Seiten lange Comicalben erreichen die Abenteuer des kleinen Nicks dadurch zwar nie, aber als kurze Vignetten, die das Leben ihrer Entstehungszeit einfangen, funktionieren sie auch heute noch. Während Jean-Jacques Sempé die Premiere des Films beim Filmfestival in Cannes noch miterlebte, bevor er im August diesen Jahres kurz vor seinem 90 Geburtstag starb, erlag René Goscinny schon 1977 mit nur 51 Jahren einem Herzinfarkt. Den Film über einer seiner berühmtesten Schöpfungen hätte er aber gewiss auch prima gefunden.
Fazit: Auf so ungewöhnliche wie originelle Weise vermischen Amandine Fredon und Benjamin Massoubre in „Der kleine Nick erzählt vom Glück“ Adaption und Biographie und erzählen in verspielt-altmodischen Bildern vom Entstehen einer der berühmtesten Kinderbuchfiguren des 20. Jahrhunderts.