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    Mord mit kleinen Fehlern
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Mord mit kleinen Fehlern
    Von Björn Becher

    Es ist schwer, etwas über Joseph L. Mankiewicz’ (Alles über Eva) letzten Film „Sleuth - Mord mit kleinen Fehlern“ zu sagen, ohne zu viel über den Inhalt zu verraten. Denn bei diesem Film gilt ein Satz besonders: Je mehr man weiß, desto geringer das Filmvergnügen. Deswegen nur so viel zur Story: Der egozentrische Krimiautor Andrew Wyke (Laurence Olivier) lädt Milo Tindle (Michael Caine) auf sein Anwesen ein, wo er ihm nicht nur seine zahlreichen mechanischen Spielereien vorführen will, sondern eine Aussprache anstrebt. Tindle hat ein Verhältnis mit Wykes Frau Marguerite. Zu Tindles und des Zuschauers Überraschung sieht Wyke darin aber scheinbar kein großes Problem, denn er gibt seine Frau frei, macht diesem aber klar, dass der Unterhalt von Marguerite recht teuer sei und Tindle doch kein Geld habe. So bekommt Tindle von ihm noch ein Angebot, das er nicht ausschlagen kann: eine Menge Bargeld für einen kleinen Versicherungsbetrug. Tindle soll aus Wykes Haus Schmuck stehlen, passend zu Wykes besonderem Humor verkleidet als Clown mit übergroßen Schuhen. Tindle lässt sich darauf ein, doch wie der deutsche Titel schon verrät, hat Wyke bei der Sache ganz andere Hintergedanken...

    Auch wenn eingangs geschrieben wurde, dass man nicht zu viel über den Film erfahren sollte, so ist es doch wohl unmöglich eine Kritik zu diesem Film zu schreiben, ohne doch hin und wieder zu spoilern, so zahlreich sind die Wendungen in diesem Film. Der Leser sei deswegen jetzt schon einmal gewarnt, an der besonders „kritischen“ Stelle, findet sich aber noch einmal eine Spoilerwarnung.

    „Sleuth“ ist ein Krimi-Klassiker und doch leider etwas in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht. Denn was Joseph L. Mankiewicz hier, basierend auf einem Theaterstück von Anthony Shaffer (der selbst das Drehbuch schrieb), über eine Laufzeit von 138 Minuten präsentiert, ist hervorragende und amüsante Krimiunterhaltung, bei welcher der Zuschauer so gut wie nie auf der richtigen Spur ist. Denn nichts ist so wie es scheint. Dabei merkt man dem Film die Herkunft vom Theater durchaus an. Er ließe sich recht einfach in zwei Akte teilen, denn es gibt nach etwas mehr als einer Stunde einen kleinen Schnitt und ein neuer Aspekt beginnt, fast als wäre der Vorhang gefallen, eine kurze Pause hätte stattgefunden und nun geht es neu weiter mit dem wendungsreichen Plot, der jetzt eine Überraschung nach der anderen für den Zuschauer bereit hält (am Anfang und am Ende des Films öffnet sich bzw. fällt sogar ein Vorhang).

    Dem Regisseur und dem Drehbuchautor ist dabei ein ungewöhnlicher Spagat gelungen. Zum einen ist ihr Werk selbst eine gut ausgeklügelte und hochspannende Krimigeschichte, zum anderen ist der Film aber auch ein gutes Stück weit eine Persiflage auf diese Art von Geschichten. Protagonist Andrew Wyke ist der typische englische Krimiautor und steht in bester Tradition zu Agatha Christie. Er hat eine Buchfigur geschaffen, die der tölpelhaften Polizei immer einen Schritt voraus ist, und so die Verbrechen aufklärt. Ganz typisch für den englischen Krimi. Doch Wyke hat das so sehr verinnerlicht, dass er es auf die Realität überträgt und glaubt, nun seinerseits der Polizei ein Schnippchen schlagen zu können. Der Film spielt dabei richtiggehend mit den üblichen Genrezutaten und stellt sie immer wieder auf den Kopf.

    Neben der hervorragenden Geschichte, die sich nur in den ersten Minuten und am Ende bisweilen etwas (aber leicht verschmerzbar) zieht, besticht der Film vor allem durch die beiden Hauptdarsteller. Laurence Olivier (Rebecca, Der Marathon Mann, Spartacus) als arroganter Autor, der über allem zu stehen scheint, ist eine Klasse für sich. Wie er in der ersten Szene seinen Gast in einem Irrgarten empfängt, symbolisiert schon diese Erhabenheit, die er ausstrahlt. Keiner scheint ihm gewachsen zu sein, doch dann findet er einen ebenbürtigen Gegner. Genauso wie der Schauspieler Laurence Olivier in Michael Caine (Gottes Werk und Teufels Beitrag, Get Carter, Der stille Amerikaner) einen ebenbürtigen Widerpart findet, so dass beide auch für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert wurden (sich aber dem in diesem Jahr übermächtigen „Paten“ Marlon Brando geschlagen geben mussten). Wie präsent die beiden auf der Leinwand sind, zeigt sich schon darin, dass über eine Stunde des Films wirklich nur Michael Caine und Laurence Olivier zu sehen sind.

    ACHTUNG SPOILER: Hier sollte man das Lesen beenden, wenn man den Film noch nicht kennt und ihn noch vollkommen genießen will!

    Aber selbst als dann mit dem neugierigen Inspector Doppler eine neue Person auftaucht, wird das Zwei-Personen-Stück nicht durchbrochen. Ein Blick auf die insgesamt nur aus sechs Namen bestehende Darstellerriege des Films zeigt dem Cineasten vier Namen, die er wahrscheinlich noch nie gehört hat. Der Grund dafür ist simpel: Es sind bis auf einen Fantasienamen. Bei Anthony Shaffers Theaterstück handelt es sich um ein Stück für zwei Personen und so tauchen auch im Film nur zwei Personen auf. So wurde z.B. der „Schauspieler“ Alec Cawthorne nur erfunden, um gegenüber dem Zuschauer zu verschleiern, dass der Schauspieler hinter der Maske des Inspector Doppler ebenfalls Michael Caine ist.

    Caine beweist dabei sein enorm vielseitiges Talent und wozu eine gute Maske fähig ist. Nach seinem scheinbaren Ableben betritt er, für den Zuschauer absolut nicht erkennbar, in einer völlig neuen Rolle die Bühne und dreht nun im zweiten Akt des Films den Spieß um. War Caines Charakter im ersten Akt noch der Spielball des Charakters von Olivier, zahlt er es diesem nun doppelt und dreifach heim.

    SPOILER-ENDE

    Es gibt nur einen großen Nachteil, der aktuell noch mit diesem Film einhergeht. Obwohl er zu den ganz großen Klassikern gehört und sogar in der imdb-Bestenliste platziert ist, kann man ihn als Deutscher kaum sehen. Im TV wird er selten gezeigt, eine deutsche DVD-Veröffentlichung ist aktuell absolute Fehlanzeige und die deutsche Video-Veröffentlichung von Arcade Video ist schon so lange out of print, dass das Video selbst bei eBay nur selten und dann meist sehr teuer zu erstehen ist. So muss man auf die englische VHS, die englische DVD oder die amerikanische DVD zurückgreifen, die man meist noch günstiger bekommt als die gebrauchte deutsche VHS. Eine Warnung aber gleich vorneweg: Um alles zu verstehen, was Laurence Olivier während des sehr dialoglastigen Films so von sich gibt, braucht es höchste Konzentration.

    Eine Hoffnung bleibt aber. Für 2008 ist ein Remake angekündigt. Regie wird Kenneth Branagh („Hamlet“, „Viel Lärm um Nichts“) führen. Das Drehbuch stammt von Literatur-Nobelpreisträger Harold Pinter. Als Schauspieler ist wieder Michael Caine dabei, der nun die Seiten wechselt und den Schriftsteller mimt. Seinen jugendlichen Widersacher wird Jude Law geben, der damit nach Alfie zum zweiten Mal eine Rolle in einem Remake bekleidet, die im Original von Caine gespielt wurde. Vielleicht haben dann die deutschen DVD-Verleiher auch ein Einsehen und veröffentlichen diesen spannenden und wendungsreichen Krimi-Klassiker endlich auf DVD. Noch früher wäre allerdings noch besser.

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