Wenn du meinen Kopf abschlägst, dann schlag ich deinen ab
Von Christoph PetersenEine baumartige Kreatur auf einem grünen Pferd schneit in der Neujahrsnacht unangemeldet in König Arthurs Thronsaal herein und fordert die feiernden Ritter zu einem „freundschaftlichen Weihnachtswettkampf“ heraus. Einer der Anwesenden darf ihm einen Hieb versetzen – allerdings unter der Voraussetzung, dass der Green Knight selbst dem Ausführenden ein Jahr und einen Tag später einen ebensolchen Schlag verpassen darf. Die Regeln dieses wenig „freundschaftlich“ anmutenden Spiels wirken aus heutiger Perspektive schon verdammt seltsam und kurios …
… aber im literarischen Genre der chivalric romance zählte das sogenannte Beheading Game („Enthauptungs-Spiel“) sogar zu den bekannteren Motiven. Es ist keine bahnbrechende Erkenntnis, aber die haben damals einfach anders getickt im 14. Jahrhundert, als ein anonymer Autor die Tafelrunden-Erzählung „Sir Gawain And The Green Knight“ aufgeschrieben hat – und „A Ghost Story“-Regisseur David Lowery macht sich in seiner einfach nur „The Green Knight“ betitelten Kinoadaption nicht die geringste Mühe, die allegorisch-mythische Heldenerzählung einem heutigen Publikum leichter zugänglich zu machen. Das Ergebnis ist gleichermaßen befremdlich wie faszinierend.
Ein Film voller Bilder, die man auch im Museum an die Wand hängen könnte...
Es ist der junge Gawain (Dev Patel), Sohn einer Hexe (Sarita Choudhury) und Neffe von König Arthur (Sean Harris), der die Herausforderung des ungebetenen Gastes (Ralph Ineson) annimmt. Er will, wie die anwesenden Ritter der Tafelrunde, endlich auch eine Heldengeschichte zu erzählen haben – und so schlägt er dem Green Knight mit einem einzigen Hieb den Kopf ab. Allerdings hebt dieser daraufhin sein herabgefallenes Haupt einfach in aller Seelenruhe wieder auf und reitet lachend auf seinem Pferd davon.
Ein Jahr später hadert Gawain, dessen Heldentat inzwischen der Stoff von Kasperletheateraufführungen in seiner Heimat ist, mit der Frage, ob er sein Versprechen nun tatsächlich einlösen will. Schließlich bricht er aber in Richtung der Grünen Kapelle auf, wo der Green Knight haust – und trifft auf seiner Reise unter anderem auf trickreiche Diebe, ein Geistermädchen und einen Lord (Joel Edgerton), der mit seiner Lady (Alicia Vikander) und einer alten Frau mit Augenbinde (Helena Browne) auf seinem Schloss lebt und Gawain ein seltsames Tauschgeschäft vorschlägt…
Nach der ersten Hamburger Pressevorführung von „The Green Knight“ war der Großteil der anwesenden Journalist*innen beeindruckt, aber nicht begeistert. Immer wieder hörte man in den kleinen Grüppchen nach der Vorstellung die Frage „Was war das denn gerade?“ heraus – und die war in diesem Fall gar nicht unbedingt negativ gemeint, sondern eher Ausdruck eines ehrlichen, aber durchaus inspirierenden Befremdens.
Warum spielt Oscargewinnerin Alicia Vikander („Tomb Raider“) eigentliche eine Doppelrolle als wohlhabende Lady und ärmliche Essel? Spiegeln sich die Figuren, eine mit langen und eine mit kurzgeschorenen Haaren, in irgendeiner Form? Gibt es eine Moral von der Geschicht‘ (die hier übrigens noch rätselhafter endet als in der Vorlage)? Und wie hängen die ganzen merkwürdigen übernatürlichen Begegnungen eigentlich zusammen? Wer an diese Fragen herangeht wie zum Beispiel an ein Grimm’sches Märchen, wird mit seinen Deutungsversuchen fast zwangsläufig scheitern.
Oscargewinnerin Alicia Vikander spielt zwar nur zwei kleine Rollen, hat aber trotzdem einige der eindringlichsten Szenen.
„The Green Knight“ ist trotz der wiedererkennbaren Story-Elemente am Ende viel mehr ein romantisierendes Gedicht als ein klassisches Märchen (oder gar Fantasy-Mainstream für das „Herr der Ringe“- und „Game Of Thrones“-Publikum). Am besten lässt man den Film also einfach über sich hinwegrauschen, sich von einzelnen Einstellungen, Metaphern oder Begegnungen inspirieren, statt ihn (zumindest beim ersten Sehen) gleich vollständig „verstehen“ zu wollen.
Schließlich gibt es hier auch so genug zu sehen und vor allem auch zu hören. Dass das Sounddesign grandios gelungen ist, wird schon bei den ersten Schritten des Green Knight deutlich, wenn sie nicht nur Arthurs Thronsaal, sondern auch den Kinosaal hallend erschüttern lassen. Das geht direkt durch bis ins Mark. Auch inszenatorisch geht David Lowery, der mit Disney-Filmen wie „Elliot, der Drache“ oder demnächst „Peter Pan & Wendy“ zwar immer mal wieder den Mainstream streift, aber dazwischen stets superpersönliche, eigenwillige Werke wie „A Ghost Story“ oder nun eben „The Green Knight“ abliefert, direkt in die Vollen.
Gleich die erste Einstellung, die beim Zurückzoomen zunächst einen Hühnerstall, dann eine Stadtmauer und schließlich ein brennendes Haus hinter der Mauer offenbart, bevor sich die Kamera rücklinks in einen Hauseingang zum ausnüchternd am Boden hockenden Protagonisten zurückzieht, zeugt von den visuellen Ambitionen von „The Green Knight“. Zu Beginn ist man sich noch nicht sicher, ob das nun bloße Angeberei oder wirklich nötig ist. Aber im weiteren Verlauf kreiert David Lowery doch wieder jede Menge Momente purer Schönheit – von dem Puppentheater mit seinem roten Wollgarn für den Blutschwall nach der Enthauptung bis hin zu den halb durchsichtigen, fast schon hologrammartigen Gebirgsriesen, die Gawain bittet, ihn freundlicherweise ein Stück weit in ihren Handflächen mitzunehmen.
Dafür, dass das alles so abstrakt bleibt, schaffen es die Schauspieler*innen (wie auch schon in „A Ghost Story“) übrigens erstaunlich oft, tief ins Herz des Publikums vorzustechen. Dev Patel hat den in Wahrheit ziemlich verlorenen Helden ja schon häufiger in seiner Karriere von „Slumdog Millionär“ bis „Hotel Mumbai“ gespielt – aber Gawain zählt nicht nur wegen seiner inzwischen perfekt durchtrainierten Muskeln zu seinen eindrucksvollsten Rollen. Die berührendsten Szenen sind jedoch die im Zusammenspiel mit Alicia Vikander, die zwar nur zwei vermeintlich unbedeutende Rollen verkörpert, aber trotzdem für die eindringlichsten Momente des Films verantwortlich ist.
Fazit: Ein allegorisches Fantasy-Gedicht, das sogar noch mal eine ganze Ecke schwerer zugänglich ist als David Lowerys tragische Gespenstermär „A Ghost Story“. Aber selbst wer in die betont abstrakte, poetisch überhöhte Erzählung nicht direkt hineinfindet (oder nach einer Weile wieder aus dieser aussteigt), kann sich immer noch an den beeindruckenden Bildern und einer atemberaubenden Atmosphäre berauschen.