Wenn zu oft einfach nichts passiert
Von Antje WesselsWenn man bei der Internet Movie Database „Weightless“ eingibt, dann spuckt einem die Suche als ersten Treffer den Film „Song To Song“ aus. Das liegt daran, dass der Director’s Cut von Terrence Malicks Drama ebenfalls den Titel „Weightless“ trägt. Aber warum beginnen wir jetzt unsere Kritik zum 2017er-„Weightless“, der bei der IMDb dann übrigens an zweiter Stelle folgt, mit dieser zufälligen Beobachtung? Weil ein Vergleich dieser scheinbar nur durch den Titel miteinander verbundenen Filme gar nicht mal so weit hergeholt ist, schließlich bestehen beide Werke vornehmlich aus assoziativen Bilderfolgen. Zwar folgt der kanadische Werbefilmer Jaron Albertin im Gegensatz zum inzwischen völlig freischwingenden Malick noch einer zeitlichen Chronologie, zugleich unterfüttert er sein Spielfilmdebüt aber auch zuhauf mit zur Interpretation einladenden Motiven. Er rauscht trotz des sehr behäbigen Erzähltempos regelrecht durch die Szenerie, aus der er sich nach Lust und Laune vereinzelte Beobachtungen herauspickt, die erst ganz zum Schluss ein halbwegs nachvollziehbares Ganzes ergeben. Das erfordert viel Muße und Geduld, doch vereinzelt eröffnen sich einem in „Weightless“ dann eben doch Gedankengänge und Momente, die von wahrhaft atemberaubender Schönheit sind. Womit sich dann auch endgültig der Kreis zu Malick schließt.
Der schweigsame Joel (Alessandro Nivola) staunt nicht schlecht, als eines Tages sein Sohn Will (Eli Haley) vor ihm steht. Zwar wusste er von dessen Existenz, aber mehr auch nicht. Das soll sich jetzt ändern, denn die Kindsmutter und Joels Exfrau ist verschwunden. Nun liegt es an dem zurückhaltenden Eigenbrötler, das Beste aus der Situation zu machen. Will ist allerdings nicht weniger schweigsam. Seit einem Trauma hat der 250 Pfund schwere Junge kein Wort mehr gesprochen. Darüber hinaus wird Will von den Nachbarsjungen wegen seines Gewichts gehänselt, was ihn erst recht in die Isolation treibt. Zumindest ie extrovertierte Carla (Phoebe Young), die keinerlei Berührungsängste kennt, schafft es dennoch, sich mit Will anzufreunden. Auch Joel beginnt langsam, sich an die schwierige Situation zu gewöhnen, doch ein dunkles Geheimnis sorgt dafür, dass der Arzt Dr. Mcleod (K. Todd Freeman) den Jungen von seinem Vater wegholen und in eine Pflegefamilie geben möchte...
Wenn man es genau nimmt, hat diese unkonventionelle Vater-Sohn-Geschichte weder einen klassischen Anfang noch ein klassisches Ende. Lange bevor etwas Nennenswertes wie etwa die Konfrontation von Joel und seinem Sohn geschieht, folgt Jaron Albertin seinem Protagonisten einfach durch seinen Alltag als Flaschensammler auf einer Müllhalde und verliert sich dabei in Eintönigkeit und Wiederholungen. Auch wenn hier eine Person im Auto einfach nur von A nach B fährt, wendet Albertin viel Zeit für Szenen auf, die anderswo nur Füllmaterial wären. So entsteht das Gefühl, das Dazwischen sei ihm wichtiger als jene Szenen, die den eigentlichen Plot vorantreiben. Und zumindest in einer Hinsicht geht dieser Ansatz auf: Man bekommt ein gutes Gespür für diese von Außenseitern bevölkerte Welt, in der Joel und später auch Will leben und die Kameramann Darren Lew („Jamie Marks Is Dead“) in entsprechend entsättigten Farben einfängt.
Egal ob nun das Kennenlernen zwischen Vater und Sohn, die Gespräche zwischen Joel und seinem Arzt oder die behutsame Annäherung zwischen dem stillen Will und der aufgeschlossenen Carla: All diese Szenen, in denen erzählerisch etwas passiert, machen nur einen winzigen Bruchteil von „Weightless“ aus. So kann man sich wunderbar darin verlieren, für sich zu ergründen, wie Menschen mit den Folgen eines Ereignisses leben müssen. Deshalb macht es konzeptuell eben auch Sinn, dass das Ereignis an sich in „Weightless“ weitaus weniger Raum einnimmt als die oft stillen Nachwirkungen. Andererseits werden die von Albertin gewählten Motive irgendwann redundant und hinterlassen teilweise auch nur Fragezeichen, wie etwa ein mehrmals sehr prominent ins Bild gerückter Greifvogel, aus dessen Perspektive wir zwischenzeitig das Geschehen unter ihm verfolgen.
„Weightless“ wird im Laufe seiner Spielzeit nicht wie üblich immer klarer, sondern im Gegenteil sogar immer fragmentarischer: Teilweise stehen Szenen sogar vollständig für sich, was den Eindruck entstehen lässt, es hier nicht bloß mit einer, sondern gleich mehreren Erzählebenen zu tun zu haben. Immerhin den emotionalen Bogen der Geschichte weiß Albertin schlussendlich plausibel aufzulösen. Dazu tragen auch die wortkarg aufspielenden Alessandro Nivola („A Beautiful Day“) und Eli Haley bei. Während Nivola voll und ganz in der Rolle des zunächst nur verschlossenen und mit der Zeit immer unberechenbarer werdenden Vaters wider Willen aufblüht, begeistert Haley mit unerschrockener Melancholie. Seine Wut und Trauer über die Ausgrenzung durch die Nachbar-Bullys manifestieren sich in seiner Figur des von allen verlassenen Jungen. Wobei er sein Gewicht nicht einfach nur aus Klischeegründen mit sich herumträgt, sondern weil es aus dem hier geschilderten Kontext total Sinn ergibt, dass ein von niemandem gewollter Junge seine Bedürfnisse eben auf andere Art stillt.
Fazit: Zwischen massig Leerlauf und assoziativen Bildabfolgen verstecken sich durchaus Momente der Wahrhaftigkeit. Doch um die zu entdecken, bedarf es einer Menge Muße, sich durch die 93 Minuten dieses unnötig sperrigen Dramas zu kämpfen.