„Der Glanz des Hauses Amberson“ war nach Citizen Kane Orson Welles’ zweiter Spielfilm und basiert auf dem gleichnamigen Roman von Booth Tarkington. Wie schon in „Citizen Kane“ setzte Welles stilistische Elemente ein, die über das damalige Hollywood-Kino hinausreichten: extreme Tiefenschärfe, überlappende Dialoge, lange Einstellungen und eine expressionistische Beleuchtung. Man sollte sich jedoch vor Augen führen, dass es sich bei dem Film um eine gegen den Willen von Welles auf Betreiben des Filmstudios RKO geschnittene Fassung handelt.
Im Mittelpunkt des Dramas, das im Jahre 1873 in einer beschaulichen amerikanischen Kleinstadt einsetzt, stehen die Ambersons, eine reiche angesehene Familie. Es überrascht nicht, dass Isabel (Dolores Costello), die Tochter der Familie, von vielen jungen Männern umworben wird, so auch vom draufgängerischen Eugene Morgan (Joseph Cotten). Isabel, die zwar Sympathien für ihn hegt, fühlt sich durch ein Missgeschick Eugenes bei der Brautwerbung dermaßen brüskiert, dass sie ihn zurückweist und stattdessen den bodenständigen Wilbur Minafer (Don Dillaway) heiratet. Da sie ihren Ehemann aber nicht wirklich liebt, konzentriert sie ihre Liebe voll und ganz auf ihr einziges Kind, ihren Sohn George (Tim Holt), was diesen zu einem verzogenen, eingebildeten Bengel werden lässt, der meint, dass ihm die ganze Stadt gehört. Als Eugene, inzwischen als Automobilerfinder ein gemachter Mann, nach vielen Jahren in die Stadt zurückkehrt, lebt die Freundschaft mit Isabel wieder auf. Nach Wilburs Tod stünde einer Verbindung der beiden eigentlich nichts mehr im Wege, wäre da nicht George, der zum ersten Mal in seinem Leben die Liebe seiner Mutter teilen muss und dessen aristokratischer Auffassung Eugene, dessen Automobile und die Industrialisierung, für die diese stehen, aufs Äußerste widerstreben. Angestachelt von seiner eifersüchtigen Tante Fanny Minafer (Agnes Moorehead), die auch ein Auge auf Eugene geworfen hat, widersetzt er sich der Verbindung seiner Mutter mit Eugene und stürzt zugleich seine Familie ins Verderben.
Warum nun wurde dieser Film, der laut Welles besser als „Citizen Kane“ war, auf Betreiben RKOs neu geschnitten? Es lag an zwei öffentlichen Testvorführungen des ursprünglich 131 Minuten dauernden Werkes. Vor allem die Kommentare zur ersten Testvorführung, in der der Film in einer Samstagabendvorstellung zusammen mit einer Musical-Komödie (!) vor einem zum größten Teil aus Teenagern bestehenden Publikum lief, fielen negativ aus. Die Reaktion auf die nach kleineren Schnitten durchgeführte zweite Testvorführung war zwar überwiegend positiv, RKO hielt aber wegen des deprimierenden Charakters der Geschichte weitere Änderungen für notwendig, um mit dem Film ein breiteres Publikum anzusprechen, dem angesichts des Kriegseintrittes der USA der Sinn eher nach sorgloser Unterhaltung stand. Daher wurden rigorosere Schnitte vorgenommen, vier Szenen nachgedreht und Teile des düsteren Soundtracks von Bernard Herrmann durch eine süßliche Musikuntermalung ersetzt. Die gravierendste Änderung bestand in der Ersetzung des pessimistischen Endes durch ein Happy End. Was übrig blieb, waren 88 Minuten, die von der ursprünglichen Fassung beträchtlich abwichen. Die herausgeschnittenen Teile wurden später vernichtet und gelten als endgültig verloren. Jedoch sind das Skript der ursprünglichen Fassung und Standfotos aus den herausgeschnittenen Teilen des Films noch vorhanden.
„Der Glanz des Hauses Amberson“ besticht trotz der Verstümmelung durch großartige Szenen und Kameraeinstellungen. Der Film enthält sowohl leichte unbeschwerte Passagen, deren Betrachtung einfach Spaß bereitet, wie z. B. die Ballraum-Sequenz und die Autofahrt im Schnee, als auch große Szenen, bei denen einem sprichwörtlich Schauer über den Rücken laufen, wie Georges und Fannys zweite Treppenhaus-Szene und Georges letzter Gang nach Hause. Außerdem gibt es Szenen, die aufgrund ihres Spiels von Licht und Schatten faszinieren, und Kolorierungsversuche dieses Films geradezu als Todsünde erscheinen lassen, so die kurze Kutschfahrt-Szene nach Georges und Isabels Rückkehr von einer langen Weltreise: Onkel Jacks Silhouette im Vordergrund und das von vorbeiziehenden Schatten überstreifte Gesicht der erschöpften Isabel, die die Veränderungen in der Stadt bemerkt.
Eine Besonderheit des Films ist die Amberson-Villa, bei der es sich (wie bei den anderen Sets im Film) nicht um einen Originaldrehort, sondern um ein Studio-Set handelt. Der überaus detailverliebt und elegant ausgestattete Innenraum der Villa wurde so konzipiert, dass der Dreh der Ballraum-Sequenz mit seinen langen rückwärtsgerichteten Kamerafahrten durch mehrere Räume an einem Stück möglich war. Leider wurden auch beträchtliche Teile dieser Sequenz herausgeschnitten.
Eine weitere bemerkenswerte Szene ist die Autofahrt im Schnee. Sie wurde in einem Kühlhaus gedreht, was sie aufgrund des sichtbaren Atems der Akteure ziemlich realistisch erscheinen lässt. Ihren Abschluss bildet eine Iris-Ausblende, eine Reminiszenz an die Stummfilmzeit. Die Verwendung dieser typischen Stummfilm-Ausblende in einem Tonfilm kann als Versinnbildlichung der Bedeutung der Szene interpretiert werden: Sie markiert das Ende der alten unbeschwerten „heilen Welt“ der Ambersons und enthält mit dem Automobil bereits dasjenige Element, das entscheidend zum Ende dieser Welt beigetragen hat.
Alle Passagen, die von Welles’ sanfter eindringlicher Erzählstimme begleitet werden, sind beeindruckend. So führt der Beginn (bis zum „letzten der großen Tanzfeste“ in der Amberson-Villa) den Zuschauer auf ziemlich effektive und elegante Weise in die Geschichte ein und beschwört zugleich mittels eines ironisch-nostalgischen Erzähltones die Erinnerung an eine verlorene „heile Welt“ herauf. Der nostalgische Eindruck wird noch verstärkt durch die Bilder, die zum Rand hin (ähnlich wie alte Photographien) verblichen sind. Auf dem Hintergrund dieser nostalgischen Stimmung zeichnet sich der spätere Niedergang der Ambersons umso deutlicher ab. Eine weitere Passage, die von Welles' Erzählstimme begleitet wird, Georges letzter Gang nach Hause, hat auf den Zuschauer eine dem Ende von „Citizen Kane“ vergleichbare Wirkung, da sich ihm auch hier etwas enthüllt, von dem niemand sonst Notiz nimmt. Darüber hinaus stellt die Szene einen eindrucksvollen Abgesang auf die untergegangene „heile Welt“ dar, indem sie aus Georges Fußgängerperspektive in Überblenden die „neue Stadt“ zeigt, die unter ihrem Asphalt und ihren stinkenden Industrieanlagen die alte Zeit begraben hat.
Wie schon in Citizen Kane trägt auch hier der Soundtrack von Bernard Herrmann in vielen Szenen entscheidend zur Atmosphäre bei. So wird der Eindruck der guten alten Zeit im ersten Teil durch einen nostalgisch-sentimentalen und der spätere Niedergang der Ambersons durch
einen düsteren Score unterstrichen. In diesem Zusammenhang empfiehlt es sich, den Film im englischsprachigen Original zu hören, da an manchen Stellen in der deutschen Synchronfassung der Soundtrack komplett fehlt.
Auch das glänzend agierende und interagierende Schauspielerensemble ist bemerkenswert. Da wären zunächst Mitglieder von Orson Welles’ Mercury Theatre, die bereits in „Citizen Kane“ dabei waren: Joseph Cotten als „Gentleman-Erfinder“ Eugene, der für den Fortschritt stehen sollte, dessen Tragik aber darin besteht, noch den „alten Zeiten“ verhaftet zu sein, obwohl diese doch, seinen eigenen Worten nach, tot sind; Agnes Moorehead als unzufriedene, vom Leben enttäuschte Tante Fanny (für diese Rolle für einen Oscar nominiert); Ray Collins als Onkel Jack und Erskine Sanford als Roger Bronson, der vom jungen George Minafer beleidigt wird, diesem später aber aus der Bredouille hilft. Dann wären noch die neu dazugekommenen Schauspieler zu nennen: Tim Holt, der bis dahin vor allem als Darsteller in B-Movie-Western zu sehen war, und der als egoistischer herrschsüchtiger George Minafer wohl die Rolle seines Lebens spielt; die einstige „Göttin der Stummfilmleinwand“ Dolores Costello als Isabel; Anne Baxter als Lucy Morgan und Richard Bennett, der als Major Amberson am flackernden Kaminfeuer über Leben und Tod nachdenkend in einer großen Szene brilliert, die leider auch zum Teil der Schnittwut des Studios zum Opfer fiel.
„Der Glanz des Hauses Amberson“ ist ein großer Film, der den Zuschauer mit einem doppelten Gefühl des Verlustes zurücklässt: Einerseits des Verlustes einer vermeintlich besseren Welt, einer „guten alten Zeit“, und andererseits des Verlustes eines ganz großen Meisterwerkes, das es ohne weiteres mit „Citizen Kane“ hätte aufnehmen können.