Die ultimative Opfererfahrung
Von Lutz GranertIn sogenannten Extreme Haunted Houses kann jeder, der ein Faible für Masochismus hat, seine eigene Belastbarkeit auf die Probe stellen. Mehrere dieser Horrorhäuser existieren in den USA und versprechen den Teilnehmern zwischen körperlicher Gewalt und blanker Folter eine ultimative Opfererfahrung an der Grenze des Erträglichen. Dank zahlreicher Medienberichte erfreut sich besonders das von einem Ex-Marine betriebene Anwesen McKamey Manor in Südkalifornien inzwischen großer Bekannt- und Beliebtheit: Satte 24-000 Interessenten stehen auf der Warteliste für das „Survival Horror Boot Camp“, bei dem die Teilnehmer schon mal in winzige Truhen gesteckt ihnen lebendige Spinnen aufs Gesicht gesetzt werden. Ein Safeword gibt es dabei nicht, die Tortur wird vom Peiniger nach eigenem Ermessen abgebrochen, bevor das Leben des Teilnehmers ernsthaft in Gefahr gerät. Der Nachweis von körperlicher und geistiger Fitness, ein negativer Drogentest sowie die Unterschrift unter eine 40 (!) Seiten lange Verzichtserklärung sind dabei laut Veranstalter Pflichtvoraussetzungen.
Als der genreerfahrene Regisseur Anthony DiBlasi („The Last Shift“) von seinem späteren Produzenten und Co-Autoren David Bond den ersten Drehbuchentwurf zu „Extremity – Geh an deine Grenzen“ zugesandt bekam, trug das Skript noch den Titel „The Manor“ und orientierte sich stark an den rein körperlichen Torturen, die die Teilnehmer in dem höchst realen Vorbild durchleiden mussten. Wer nach dem verstörenden Trailer nun einen grafischen Folterporno erwartet, wird jedoch enttäuscht. Der Horrorthriller überzeugt vor allem durch starkes Gruselhandwerk, unerwartete Wendungen – und bemüht sich, wenn auch zum Teil vergeblich, um eine unerwartete psychologische Tiefe.
Allison (Dana Christina) ist seit ihrer Kindheit stark traumatisiert und hat wegen eines Suizidversuchs einen Aufenthalt in der Psychiatrie hinter sich. Als sie durch Internetvideos auf die Extreme-Haunted-House-Erfahrung „Die Hölle“ aufmerksam wird, bei der in einer Art brutalem Live-Theater die körperliche und psychische Belastungsgrenze der Teilnehmer ausgetestet wird, sieht sie darin eine Möglichkeit, ihre Ängste zu überwinden. Obwohl ihre Psychologin (Chantal Perron) davon abrät, begibt sich die psychisch labile Frau mit dem neugierigen Zachary (Dylan Sloane) bereitwillig in die Fänge von „Die Hölle“-Schöpfer Red Skull (Chad Rook) und seinen Mitarbeitern. Nachdem Allison mit einem Sack über den Kopf in ein abgelegenes Haus gebracht und die ersten Torturen gemeistert hat, erhöht Red Skull immer weiter den Terrorlevel – und aus dem gefakten Horror-Spiel wird schon bald blutiger Ernst…
Warten auf den Folterknecht.
Regisseur Anthony DiBlasi, der sich beim Dreh im winterlichen Kanada eine Frostbeule zuzog, verzichtet weitestgehend auf simple Jump Scares und verlässt sich stattdessen lieber ganz auf das atmosphärische Setdesign mit viel Liebe zum gruseligen Detail. Wenn Allison etwa in einem blutrot ausgeleuchteten Kellerverschlag aus Maschendrahtzaun und Holzgittern mit Red Skull, der eine Knochenmaske unter einem Umhang trägt, über ihre Motivation spricht, weckt das nicht von ungefähr Assoziationen an „Hellraiser: Das Tor zur Hölle“.
Denn mit Simon Sayce konnte ein Art Director und Maskenbildner gewonnen werden, der bereits an den handgemachten Effekten in Clive Barkers modernem Genreklassiker beteiligt war. „Extremity“ lebt von seiner dichten Atmosphäre, dem düsteren Szenario und wohldosierten Gore-Einlagen. Und auch die immer wieder und zunächst etwas störend in den Handlungsfluss eingewobenen Rückblenden aus Allisons Vergangenheit entpuppen sich neben fiesen Wendungen im letzten Drittel als cleverer Kniff, da sie unerwartet feingliedrig Stück für Stück zum Kern von Allisons Traumata vordringen.
Abseits von Allison, die von Spielfilmdebütantin Dana Christina (bekannt aus der TV-Serie „Wynonna Earp“) mit viel Spielfreude zwischen extremen Gemütszuständen verkörpert wird, bleiben die weiteren Figuren leider in Charakterklischees stecken. „Die Hölle“-Inhaber Red Skull heißt etwa Bob, ist finanziell ausgebrannt und kann den Unterhalt für seinen Sohn nicht mehr zahlen. Und Psycho-Clown John Hainey (Paul Braaten) ist ein Veteran aus dem Irakkrieg, der bei „Die Hölle“ für Geld seine hängengebliebene Vorliebe für Waterboarding ausleben kann – und sonst nicht allzu viel Screentime bekommt.
Fazit: Mit einem aufwändigen Setdesign und fiesen Twists überrascht der perfide Horrortrip „Extremity – Geh an deine Grenzen“ selbst eingefleischte Genrefans immer wieder.