Handy-Horror für Netflix-Abonnenten
Von Carsten BaumgardtMit seinem Regiedebüt, dem vor dem Hintergrund des Ersten Golfkriegs in Teheran angesiedelten Geisterfilm „Under The Shadow“, hat der Iraner Babak Anvari vor drei Jahren – gerade für einen Horrorfilm – erstaunliche Kritikerwertungen eingefahren: Grandiosen 99 Prozent positive Kritiken auf Rotten Tomatoes und eine Durchschnittswertung von 84 Prozent auf Metacritic – das ist mal eine Hausnummer! Und wie so viele erfolgreiche Genrefilmer aus aller Welt hat es nun auch Babak Anvari für seinen Nachfolger in die USA verschlagen, wo er „Wounds“ mit den Hollywoodstars Armie Hammer („Call Me By Your Name“) und Dakota Johnson („Fifty Shades“-Trilogie) verwirklichen konnte. Die internationalen Rechte an dem Okkult-Horror-Thriller über einen Barmann aus New Orleans, der durch ein kosmisches Portal gesogen wird und fortan von einem Albtraum in den nächsten stolpert, hat sich – wie auch schon bei „Under The Shadow“ – Netflix gesichert. In den USA hingegen sollte der Film ursprünglich ganz regulär in die Kinos kommen – doch der Start ist inzwischen wieder abgesagt, was auch gar nicht weiter verwundert: Denn nach einem vielversprechenden Auftakt erweist sich „Wounds“ schon bald als herbe Enttäuschung.
In der Bar Rosie’s in New Orleans gibt es an diesem Abend richtig Ärger. Der hochaggressive und sturzbetrunkene Afghanistan-Veteran Eric (Brad William Henke) ist auf Krawall gebürstet und fängt einen heftigen Streit an. In dem anschließenden Getümmel verliert eine Gruppe von Studenten ein Handy, mit dem die Millennials die brutale Auseinandersetzung gefilmt haben. Doch Barmann Will (Armie Hammer), der am liebsten mit seiner heimlichen Liebe Alicia (Zazie Beetz) am Tresen quatscht, entdeckt auf dem Smartphone noch weitere schockierende Videos. Dort sind Morde, abgeschlagene Köpfe und allerlei weitere Grausamkeiten zu sehen. Ebenso verstörend für den Barmann: Ein gewisser Garrett schickt ihm über das Handy plötzlich einen Hilferuf, dass er angegriffen werde und in Lebensgefahr schwebe. Während Will das alles für einen Fake hängt, drängt ihn seine Freundin Carrie (Dakota Johnson), zur Polizei zu gehen. Doch Will zögert weiter, bis das Handy schließlich ein mysteriöses Eigenleben zu entwickeln scheint…
Im Bann des Portals: Dakota Johnson und Armie Hammer in "Wounds".
„Wounds“ basiert auf dem Roman „The Visible Filthby“ von Nathan Ballingrud. Für Regisseur Babak Anvari eine willkommene Gelegenheit, nach der Protagonistin in „Under The Shadow“ diesmal einen Mann in den Abgrund schicken zu können, wie er nach der Europapremiere in Cannes auf der Bühne erklärte. Aber es fehlt seinem Okkult-Horror spürbar an Substanz und Innovation, um durchgehend zu fesseln. Und auch mit dem Mitfieber wird es schwierig: Auf den ersten Blick scheint dieser rustikale Studienabbrecher-Barmann Will ja noch ein anständiger Kerl zu sein, der in seinem offenen Holzfällerhemd auch gern mal einen mittrinkt oder Streitereien schlichtet. Dazu das naturgegebene Charisma von Armie Hammer. Das strahlt etwas Redliches aus.
Aber der erste Eindruck erweist sich als Irrtum, denn im Grunde ist Will ein echter Kotzbrocken, der seine Partnerin betrügt, alkohol- und drogenabhängig ist und immer unausstehlicher wird, je mehr er in den Bann Handys gerät. So muss Will in der zweiten Hälfte des Films mit rasend schlechter Laune immer irgendwas zerdeppern oder wenigstens jemanden anschreien – das macht ihn als Protagonisten natürlich nicht attraktiver. Zumal Anvari mit dieser regelrecht unausstehlichen Figur auch nicht wirklich etwas anfängt, was es rechtfertigen würde, dem Zuschauer die Möglichkeit zur Identifikation und Empathie zu entreißen.
Dazu gesellen sich grobe Logikschwächen schon in der Grundkonstruktion. Es wird zum Beispiel überhaupt nicht deutlich, warum Will, aus welchen Gründen auch immer, so lange zögert, um mit dem Handy zur Polizei zu gehen, obwohl darauf ja offenbar Hinweise auf bestialische Morde zu sehen sind. Und wenn er das Gerät dann auch noch auf dem Weg zur Wache verliert, fühlen man sich endgültig wie in einem dummen 80er-Jahre-Horrorfilm, wo die Figuren immer genau das machen, was sie nicht tun sollten. Nur ist das inzwischen längst ein zum Running Gag verkommenes Klischee, auf das die Figuren in selbstreflexiven Horror-Komödien auch gerne selbst mal hinweisen. Aber in einem ernsthaften Genre-Beitrag sollte man sowas heutzutage natürlich tunlichst vermeiden. Dazu schreit der wenig subtile Score es dem Zuschauer überdeutlich entgegen: Achtung, hier zieht Ungemach am Horizont auf!
Einigermaßen überraschend ist wenigstens die Auflösung, aus welcher Ecke der Horror denn nun wirklich in das Haus von Will und Carrie hineinströmt. Aber das interessiert zu diesem Zeitpunkt eh kaum noch. Regisseur Anvari mag seine Horrorshow, bei der er immer wieder Insekten als Motiv der Bedrohung auffährt, von einer einzelnen unheilankündigenden Kakerlake bis zu einem Inferno an Ekelviechern, visuell ansprechend und routiniert abspulen. Aber es fehlt an Subtilität. Dämonische Botschaft, das Abtauchen in eine kosmische Schreckenswelt – die Einflüsse des J-Horrors sind unübersehbar, nur haben wir das alles in „Ring“ oder auch David Lynchs „Naked Lunch“ schon wesentlich besser gesehen. Und bei den ermüdenden Jump Scares wird wohl auch kaum noch jemand vor Schreck von seinem Sofa hüpfen.
Fazit: „Wounds“ enttäuscht angesichts der vielversprechenden Besetzung und des Talents des Regisseurs Babak Anvari mit einer ausgelutschten Story um ein Horror-Handy, das ein Portal in eine okkulte Schreckenswelt öffnet.
Wir haben „Wounds“ beim Filmfestival in Cannes gesehen, wo er in der Sektion Quinzaine des Réalisateurs gezeigt wurde.