Verdammt wütend – und total lässig
Von Christoph PetersenZwei Tage VOR seinem US-Kinostart hatte „Queen & Slim“ bei der IMDb bereits etwa 40 Prozent vernichtende 1-Sterne-Wertungen – ein weiterer Ausdruck des anhaltenden Kulturkampfes in den USA, in dem Spielfilmdebütantin Melina Matsoukas mit ihrem Roadmovie-Drama eindeutig Stellung bezieht. Damit ist sie sechs Jahre nach Entstehung von #BlackLivesMatter sicher nicht die erste – und trotzdem fällt „Queen & Slim“, verglichen mit anderen aktuellen Agitprop-Filmen, völlig aus dem Rahmen: Die Wut und die Verzweiflung sind zwar auch hier jederzeit spürbar ...
... aber Matsoukas, die spätestens seit Beyoncés „Formation“ zu den bedeutendsten Musikvideo-Regisseuren der Welt zählt, verpackt diese rohen Emotionen in eine überraschend lyrisch-lässige Inszenierung, was nicht nur bei einer provokant-verstörenden Sexszene zu einer faszinierenden Reibung zwischen Form und Inhalt führt. So erinnert „Queen & Slim“ am Ende eher an einen politisch aufgeladenen „Drive“ als an „einen schwarzen ‚Bonnie & Clyde‘“, wie es nicht nur in so ziemlich jedem Text zum Film, sondern an einer Stelle der Handlung auch über die Protagonisten selbst heißt.
Sex im Auto.
Nachdem sie ihm zuvor noch eine Abfuhr erteilt hat, lässt sich die Anwältin Queen (Jodie Turner-Smith) schließlich doch noch auf ein Tinder-Date mit dem Verkäufer Slim (Daniel Kaluuya) ein – weil er so traurige Augen hat und sie sich ablenken will, nachdem einer ihrer Klienten nur wenige Stunden zuvor zum Tode verurteilt wurde. Auf dem Heimweg werden die beiden von einem rassistisch auftretenden Streifenpolizisten angehalten,
Während Slim sich unterwürfig gibt, besteht seine Begleitung auf ihre Rechte. Als die Situation eskaliert und Queen angeschossen wird, tötet Slim den Cop in Notwehr. Das Paar, das sich erst seit wenigen Stunden kennt, flieht vom Tatort. Schließlich weiß Queen aus Erfahrung, dass „Copkiller“ vor Gericht keine Chance haben, selbst wenn sie unschuldig sind. Es beginnt eine landesweite Jagd nach dem Duo, das nach der Veröffentlichung eines Videos vom Tathergang allerdings auf die Hilfe zahlreicher sympathisierender Unterstützer zählen kann...
Der Anfang ist noch ein wenig holprig – und das liegt nicht nur daran, dass der Funke beim per Tinder zustande gekommenen Date vor allem von ihrer Seite zunächst so gar nicht überspringen will. Auch das Gespräch nach dem tödlichen Schuss, das im Entschluss zur gemeinsamen Flucht mündet und so den Filmplot überhaupt erst zum Laufen bringt, wirkt eher forciert als natürlich. Aber sobald der Roadtrip mitsamt allerlei mehr oder weniger skurrilen Begegnungen (darunter Chloë Sevigny und Red-Hot-Chilli-Peppers-Bassist Flea) erst einmal gestartet ist, tritt dann immer mehr Melina Matsoukas geschmeidige Inszenierung in den Vordergrund: „Queen & Slim“ sieht einfach verdammt stylish aus ...
... und fühlt sich trotz seiner harschen Thematik über weite Strecken an wie ein entspannt-jazziges R&B-Album (was längst nicht nur mit dem grandiosen Hip-Hop-Soundtrack inklusive neuer Lauryn-Hill-Single zu tun hat). Dazu passt dann auch die zunehmende lyrische Dimension der Flucht: „Queen & Slim“ ist zwar auch eine erbitterte Anklage, aber vor allem ein tragisches Liebesgedicht, das – wie eben einst auch „Bonnie & Clyde“ - eigentlich nur noch mit in Zeitlupe durchlöcherten Körpern enden kann.
Auf der Flucht...
Dabei begeistert noch mehr als der oscarnominierte „Get Out“-Star Daniel Kaluuya seine bisher vor allem für ihre TV-Rollen etwa in „Nightflyers“ oder „The Last Ship“ bekannte Partnerin: Für die Newcomerin Jodie Turner-Smith dürfte „Queen & Slim“ ziemlich sicher den Durchbruch zum Leinwandstar bedeuten – zumal sie ihre Rolle mit einer zugleich völlig natürlichen, aber dennoch so noch nicht gesehenen Körperlichkeit auflädt, die schließlich in jener Szene mündet, über die nach dem Kinobesuch sicherlich die meisten hitzigen Diskussionen geführt werden dürften:
Matsoukas schneidet eine Sexszene voller Zärtlichkeit parallel zu einer Anti-Polizeigewalt-Demonstration, bei der ein jugendlicher „Fan“ von Queen & Slim einem schwarzen Polizisten aus nächster Nähe ins Gesicht schießt. Auch hier sind die Tonlagen wieder derart widerstreitend, dass es einen regelrecht aus dem Film reißt – nur ist das an dieser Stelle offensichtlich genauso beabsichtigt. Matsoukas fließende Inszenierung geht runter wie ein richtig guter Whiskey – aber wohl gerade deshalb hat sie es sich nicht nehmen lassen, noch ein paar Reißzwecken mit ins Glas zu schmeißen.
Fazit: „Queen & Slim“ ist hervorragend inszeniert und gespielt, fühlt sich aber erzählerisch nicht immer rund an, was zwar an einigen, aber nicht an allen Stellen als erzählerisches Stilmittel durchgeht. Melina Matsoukas ist nach ihrem Spielfilmdebüt dennoch eine Regisseurin der Zukunft – und zwar nicht länger nur für Dekaden-definierende Musikvideos.