Chuckys garstige kleine Schwester
Von Christoph Petersen1998 erschien erstmals ein Furby im Handel. Das entfernt an einen Mix aus Maus und Eule erinnernde Elektrospielzeug ist mit allerlei Sensoren ausgestattet, die es ihm ermöglichen, mit einem etwa 1.000 Worte umfassenden Sprachschatz direkt darauf zu reagieren, wenn es etwa gestreichelt, gekitzelt oder durch die Luft geschleudert wird. Inzwischen warnt aber sogar die NSA vor den felligen Gesellen: Aufgrund der Sprachsensoren besteht erhöhte Spionagegefahr im Kinderzimmer!
„M3GAN“ von „Housebound“-Regisseur Gerard Johnstone beginnt nun mit einem TV-Werbespot, der als offensichtliche Furby-Parodie angelegt ist, nur dass die hier Funki getauften Elektro-Viecher zusätzlich auch noch mit einem Chip für Künstliche Intelligenz ausgestattet sind. So sollen sie im Einsatz dazulernen, was ihren kleinen Besitzer*innen am meisten Freude bereitet. Im wahren Leben führt das allerdings nur dazu, dass die Funkis erbarmungslos einen Furzwitz nach dem anderen reißen – denn damit lassen sich Kinder eben auch beim 1.000-Mal noch immer begeistern.
Mit diesem Einstieg legt der Film seine Karten gleich offen auf den Tisch. Denn der Trailer sowie das Mitwirken von „Saw“- und „Conjuring“-Erfinder James Wan, der nicht nur die Story erdacht, sondern den Film auch produziert hat, haben vorab womöglich einen falschen Eindruck vermittelt: „M3GAN“ ist nämlich weniger ein spannender Schocker als vielmehr eine garstige kleine Horror-Satire, die in gewisser Weise an eine überlange „Twilight Zone“- oder „Black Mirror“-Episode erinnert.
Dabei steht sich der Film mit seiner nahezu blutfreien PG-13-Inszenierung zwar immer wieder selbst im Weg – zugleich punktet er aber auch ohne Gewaltspitzen immer wieder mit wundervoll-fiesen Momenten, die im besten Fall auch gleich noch die Doppelmoral bei der Erziehung von Kindern schonungslos offenlegen. Außerdem ist das Design der titelgebenden Puppe tatsächlich verdammt , selbst wenn das für den Rest des Films eher nicht zutrifft.
M3GAN (Amie Donald) ist für Cady (Violet McGraw) nicht nur ein Spielzeug, sondern auch beste Freundin und Elternersatz.
Nach dem Unfalltod ihrer Eltern kommt die achtjährige Cady (Violet McGraw) bei ihrer Tante Gemma (Allison Williams) unter. Die Tech-Ingenieurin, die aktuell eine billiger zu produzierende Variante der Funkis entwerfen soll, ihre (Arbeits-)Zeit aber lieber in die Entwicklung der möglichst lebensechten KI-Puppe M3GAN (= „Model 3 Generative Android“) steckt, hat mit Kindern und ihrer Erziehung allerdings so rein gar nichts am Hut. In ihrer Not nimmt Gemma ihre Erfindung mit nach Hause, damit sich M3GAN während ihrer Arbeitsstunden um die Nichte kümmert.
Das Ergebnis des Babysitter-Experiments ist noch viel besser als erhofft – und so ist auch Gemmas Boss (Ronny Chieng) sofort an Bord, wenn es darum geht, das Spielzeug schnellstmöglich zur Marktreife zu bringen (solange es am Ende nur weniger kostet als ein Tesla). So sollen Millionen von Eltern von lästigen Erziehungsaufgaben befreit werden – und ein Tritt in die Genitalien von Konkurrent HASBRO wäre so ein bahnbrechender Launch sicherlich auch. Allerdings gibt es da ein Problem: M3GAN nimmt es mit ihrer Aufgabe, jedweden Schaden von Cady abzuwenden, nämlich etwas zu genau – und das hat schon bald tödliche Folgen…
78 Prozent ihrer Zeit verbringen Eltern laut Gemma mit den immergleichen Anweisungen: Räum dein Zimmer auf! Putz dir die Zähne! Klapp die Toilettenbrille runter! Aber die stärksten Momente von „M3GAN“ sind jene, in der sich die Idee einer perfekten, wissenschaftlich fundierten Erziehung plötzlich gegen die Erwachsenen selbst richtet – denn die machen auch nicht immer alles richtig, selbst wenn sie das vielleicht glauben:
Als Gemma etwa Cady dazu bringen will, ihr Gemüse aufzuessen, geht M3GAN dazwischen und zitiert eine Studie, laut der Kinder, die zum Essen bestimmter Nahrungsmittel gezwungen werden, diese im Erwachsenenalter überproportional oft nicht mehr anrühren. Da zeigt sich dann auch: Es geht Gemma, die tatsächlich die Funki-Puppen als Instrument zum Abhören von Kindergesprächen genutzt hat, um damit die KI von M3GAN zu füttern, vielleicht auch um eine gute Erziehung – aber genauso sehr wohl auch darum, ihre Ruhe (und im besten Fall auch noch Recht) zu haben.
Unartige kleine Jungen werden von M3GAN notfalls auch schmerzhaft auf den Weg der Tugend zurückgeführt…
Schon eine kleine Veränderung der Kopfhaltung der Puppe macht dem Publikum klar, dass da gleich was Schockierendes geschehen wird – und selbst, wenn das PG-13-Rating sie ein Stück weit an die Leine legt, sorgt schon die Auswahl ihrer Opfer dafür, dass „M3GAN“ mit einigen dunkelschwarzhumorigen Momenten glänzt. Schließlich sind es zunächst einmal der Nachbarshund und der Junge bei einem Schulausflug, die M3GAN als mögliche Bedrohung ausmacht. Wie sehr kann man das Ohr eines Bullys eigentlich in die Länge ziehen, bis es irgendwann ein- oder gar ganz abreißt?
Der grausamste Moment des Films ist unterdessen ganz anderer Natur: Als eine staatliche Psychologin vorbeischaut, um zu beurteilen, ob Cady weiter bei ihr wohnen darf, sieht sich Gemma gezwungen, die Verpackungen ihrer heißgeliebten historischen japanischen Spielzeuge aufzureißen, weil sonst gar nichts zum Beschäftigen im Haus wäre und sie nicht als totale Erziehungsversagerin dastehen will. Den Schmerz in ihren Augen kann wohl jeder Sammler und jede Sammlerin augenblicklich nachvollziehen.
Das Highlight des Films ist am Ende aber natürlich M3GAN selbst. Während die Figur in der US-Fassung von Jenna Davis gesprochen wird, war es die Nachwuchstänzerin Amie Donald, die am Set tatsächlich in die Rolle der KI-Puppe geschlüpft ist – und die spezielle Körperkontrolle der Zwölfjährigen aus Neuseeland kommt auch im Film voll zur Geltung: So ist es nicht weiter überraschend, dass die roboterhaften Dance Moves von M3GAN bereits wenige Stunden nach der Veröffentlichung des ersten Trailers absoluten Meme-Kultstatus erlangt haben (so wie dann auch einige Wochen später der Tanz von Jenna Ortega in Netflix‘ „Wednesday“).
Amie Donald reichen kleinste Verschiebungen von Kopf oder Extremitäten, um von „ach wie süß“ auf „volle Kanne creeepy“ umzuschalten. Die zweckentfremdete Verwendung des 2011er-Songs „Titanium“ von David Guetta featuring Sia ist ebenfalls herrlich fies. Wenn M3GAN ihre Widersacher*innen mit Moves wie Radschlagen ausschaltet, die man eigentlich eher auf einem Kinderspielplatz als im Finale eines Horrorfilms erwarten würde, dann entwickelt sie sich endgültig zum erfrischenden Badass-Bösewicht.
Steigt sie dann auch noch mit der geschliffenen Klinge einer Papierschneidemaschine in den Fahrstuhl ein, dann ahnt man schon, was da gleich abgehen wird, sobald sich die Türen wieder öffnen… ach ne, fast vergessen, ist ja PG-13.
Fazit: Wenn man nicht mit den falschen Grusel-Erwartungen in den Film geht, kann man mit „M3GAN“ trotz der in diesem Fall tatsächlich mitunter störenden PG-13-Beschränkungen eine Menge Spaß haben! Eine richtig schön fiese kleine Horror-Satire, die mehr mit ihrem ätzend-bissigen Humor als mit gruseligen Szenen oder gar einem innovativen Plot überzeugt.