Der Countrysong unter den Zombie-Komödien
Von Christoph PetersenBereits der Trailer zu „The Dead Don’t Die“ versetzt einen ins Staunen. Ins Staunen, weil ausgerechnet Jim Jarmusch, der Regisseur von „Permanent Vacation“, „Stranger Than Paradise“ und „Down By Law“, eine Zombie-Komödie inszeniert. Ins Staunen, weil er dafür einen solch unfassbar namhaften Cast voller alter Weggefährten wie Bill Murray und Chloë Sevigny (beide „Broken Flowers“), Tilda Swinton („Only Lovers Left Alive“), Adam Driver („Paterson“), Steve Buscemi („Mystery Train“) und Tom Waits (ist bei Jarmusch eigentlich immer dabei) zusammengesammelt hat. Dazu kommt Ex-Disney-Star Selena Gomez („Spring Breakers“) als neue junge Komplizin.
Und trotzdem reißt einen der Trailer nicht gerade vom Hocker. Der Humor wirkt gedämpft, fast wie unter einer Glocke. Die Pointen scheinen zum Greifen nah, schlagen dann aber doch nicht ein. Im fertigen Film ist das gar nicht mal großartig anders. Aber im Gegensatz zum Trailer spürt man hier Jarmusch‘ bewussten Nicht-Rhythmus, seine vollkommende Gleichgültigkeit gegenüber der klassischen Idee von Aufbau und Payoff. „The Dead Don’t Die“ ist ein Film wie ein atonales Jazzstück: Trotz der Besetzung und des Genres ganz sicher kein Crowdpleaser, aber Fans von Jarmusch‘ gechillter Lässigkeit, die übrigens absolut gar nichts mit Kiffer-Filmen wie „Friday“ & Co. zu tun hat, kommen dennoch auf ihre Kosten.
Drei völlig überforderte Kleinstadt-Cops.
Als Folge von Fracking an den Polen gerät die Erdachse aus den Fugen. Plötzlich bleibt es viel länger hell und der Mond wabert merkwürdig lila. Während die Politiker die offensichtlich reale Katastrophe als „Fake News“ abtun und weiterhin so tun, als wäre alles in bester Ordnung, wird die kleine 738-Seelen-Gemeinde Centerville Schauplatz einer Zombie-Epidemie. Während die Cops Chief Cliff Robertson (Bill Murray), Ronnie Peterson (Adam Driver) und Mindy Morrison (Chloë Sevigny) nicht so recht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen, scheint die Samurai-Schwert-schwingende, mit einem schweren schottischen Akzent sprechende Beerdigungsunternehmerin Zelda Winston (Tilda Swinton) inmitten der Horden von Untoten voll in ihrem Element zu sein. Wobei sie vielen der Zombies gar nichts tut, sondern mit ihrem von Ronnie ausgeborgten Smart einfach nur langsam um sie herumfährt…
Die meisten Zombiefilme haben einen Rock-Song oder eine Metal-Hymne als Titelthema. Passt ja auch am besten. Aber „The Dead Don’t Die“ von Sturgill Simpson ist ein traditioneller Countrysong – und zwar ein Countrysong, der von Jim Jarmusch ohne einen Hauch von Ironie präsentiert wird und von dem Cop Ronnie sofort weiß, dass es sich um den Titelsong des Films handelt, als er und Cliff ihn bei einer Streifenfahrt zufällig im Radio hören. Sowieso ist die Ironie in diesem Film allein den durchreisenden Hipstern aus der Großstadt (u. a. Selena Gomez) vorbehalten – und selbst die halten sich damit erstaunlich zurück. Den seltsamen Vorkommnissen begegnen die Bewohner von Centerville allgemein mit einer überraschenden Lethargie. Sie nehmen die schleichende Invasion durchaus zur Kenntnis, aber sie tun längst nicht so viel dagegen, wie man eigentlich erwarten würde - von einer in dieser Situation zu erwartenden Panik ganz zu schweigen: Crowd Control bedeutet in „The Dead Don’t Die“ das Wegschicken von drei harmlos herumstehenden Passanten. Als wären hier alle ein Stück weit mit Beruhigungsmitteln vollgestopft. Und das gilt auch für Jim Jarmusch und seinen zutiefst lakonischen Film selbst.
Aber vermutlich ist das einfach so, wenn man täglich mit Untergangsszenarien von Fox News & Co. bombardiert wird – hier ja zu Beginn auch wieder in Form der verschobenen Erdachse. Wenn eh jeden Tag das Abendland unterzugehen droht, dann nimmt man das eben irgendwann tatsächlich als etwas Alltägliches zur Kenntnis. So wie der schwarze Heimwerkerladenverkäufer Hank (Danny Glover) zur Kenntnis nimmt, dass der Farmer Miller (Steve Buscemi) bei einem Plausch im örtlichen Diner ganz selbstverständlich eine rote Baseballmütze mit dem Aufdruck „Keep America White Again“ trägt. Das ist allerdings nur eine von vielen möglichen Interpretationen. Denn auch wenn „The Dead Don’t Die“ – in der direkten Tradition von George A. Romero – seine Kapitalismuskritik ganz offen auf der Zunge trägt, wenn die Zombies etwa neben Menschenblut auch nach WiFi lechzen, wird Jarmusch doch nie viel deutlicher. Aber mit dem zu Ende bringen einmal angefangener Dinge hat er es diesmal sowieso nicht so.
Das gilt nicht nur für die schon angesprochenen Meta-Elemente, wenn Driver und Murray plötzlich die vierte Wand durchbrechen, um sich über den Titelsong oder gar ihre Beziehung zum Regisseur zu unterhalten, sondern mitunter auch für ganze Handlungsstränge. Ein – zumindest was die Screentime angeht – ganz zentraler Handlungsstrang spielt in einer Erziehungsanstalt für Jugendliche, wo ein Junge und zwei Mädchen in einer nie wirklich enthüllten, aber potenziell faszinierenden Beziehung zueinander stehen. Jarmusch kehrt zwar immer wieder zu dem Trio zurück, aber der ganze Strang führt absolut nirgendwo hin. Es gibt hier genauso wenig einen Payoff wie bei Selena Gomez, die als Hipster-Klischee im Kult-Oldtimer entgegen den ungeschriebenen Genreregeln supersympathisch und gar nicht karikaturartig gezeichnet wird – so hat das Publikum nur später gar keinen Grund zum Jubeln, wenn sie das Zeitliche segnet. Selbst der große Showdown bietet keine klassische Belohnung, obwohl hier Zombieschädel mit einer Pumpgun und einer Machete bearbeitet werden. Denn auch hier gibt es statt eines knackigen Rocksongs ein von Tom Waits mit alkohol- und rauchgestählter Stimme vorgetragenes, antikapitalistisches Pamphlet.
Nur die Bestatterin Zelda weiß, wie man die Zombies in ihre Schranken weisen kann.
Wer Jim Jarmusch nicht kennt, wird bei „The Dead Don’t Die“ wahrscheinlich die ganze Zeit denken, dass es jetzt gleich aber wirklich losgehen wird. Tut es aber nicht. Stattdessen zieht er sein lässiges Understatement (und nicht einmal das wird herausgestellt) radikal durch. Nur Bill Murray und Adam Driver dürfen wirklich scheinen, während Tilda Swinton sowieso völlig freidreht und Iggy Pop (das Sujet aus Jarmusch‘ Dokumentarfilm „Gimme Danger“) in seinen zwei Kurzauftritten als kaffeesüchtiger Zombie begeistert (aber dass das die Rolle seines Lebens ist, haben wir eh schon lange geahnt). Viele andere Rollen und Schauspieler werden hingegen gar nicht bis längst nicht genug genutzt – neben der eigentlich stark spielenden Selena Gomez etwa auch Steve Buscemi als Arschloch-Republikaner. Jim Jarmusch macht in „The Dead Don’t Die“ eine ganze Menge Sachen nur halb. Aber das mit aller Konsequenz. Kann man richtig doof finden. Man kann sich aber auch auf die völlige Abwesenheit eines klassischen Rhythmus einlassen – und dann eine wirklich lohnende Kinoerfahrung haben.
Fazit: Eine Zombie-Komödie von Jim Jarmusch. Und damit ist eigentlich auch schon alles gesagt.
Wir haben „The Dead Don’t Die“ beim Filmfestival in Cannes gesehen, wo er als Eröffnungsfilm und Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.