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    Requiem for a Dream
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Requiem for a Dream
    Von Ulrich Behrens

    1998 überraschte Darren Aronofsky mit seinem Spielfilmdebut „Pi”, in der er die Geschichte des soziopathischen Wissenschaftler Mac Cohen erzählte, eines Wissenschaftlers, der abgeschottet von der Außenwelt nach der Weltformel sucht. In „Requiem for a dream” widmet sich Aronofsky vier Menschen, die sich in einer ganz ähnlichen Situation wie Cohen befinden, ohne dass dies ihnen allerdings bewusst wird.

    Die neue Klassengesellschaft ... hier das drogenabhängige Mittelstandskind Harry (Jared Leto), dessen Mittelstandsideologie und -praxis längst verfallen sind, seine Mutter Sara (Ellen Burstyn), die sich auf den Konsum einer billigen TV-Game-Show mit Moderator Tappy Tibbons (Christopher McDonald), Harrys aus reichem Elternhaus stammende Freundin Marion (Jennifer Connolly), deren einzige Verbindung zu ihrem Elternhaus in Geld besteht, das ihr die Eltern u.a. für eine Therapie und für den Lebensunterhalt bezahlen, und schließlich der schwarze Tyrone (Marlon Wayans), dessen einzige Erinnerung – die an seine Mutter und deren Liebe – immer wieder blitzartig in sein Bewusstsein dringt ... dort mehr oder weniger kriminelle Geschäftsleute wie Big Tim (Keith David), Psychiater, Ärzte, Gefängniswärter, Drogendealer und ähnliche Herrschaften.

    Erinnerung ist überhaupt das, was den vier Hauptpersonen des Films in jeder Hinsicht fehlt. Nur Bruchstücke von Erlebtem, starr gewordene Erinnerungsfetzen tauchen ab und an bei ihnen auf. Alle vier leben so sehr in den Fallen ihrer Sucht, das sie dieses Leben mit einem des carpe diem verwechseln. Geschichte, Tradition, Erinnerung – all das spielt für sie keine Rolle. Aronofsky zeigt anfangs des Films vier Leute, über die man teilweise noch lachen oder lächeln kann. Sara, dick geworden um die Hüften, schaut ihre TV-Show und stopft in sich hinein. Die drei jungen Leute vertreiben sich die Zeit mit Partys und Drogen, also nichts Außergewöhnliches. Regelmäßig schieben Harry und Tyrone den alten Fernseher von Sara zum Pfandleiher, um ein bisschen Geld für Drogen zu bekommen. Und kurze Zeit später holt Sara sich die Kiste wieder ab. Vor ihrem Haus sitzen die Damen des Blocks in ihren Stühlen und sonnen sich, quatschen und harren der Dinge, die da kommen oder auch nicht. Fast wie eine Komödie mutet das Spiel an, das Aronofsky uns präsentiert – aber nur, um später um so härter zuzuschlagen: uns mitten ins Gesicht oder besser ausgedrückt direkt in unsere Herzen, Seelen und vielleicht aus unser Gewissen.

    Dabei ist „Requiem for a dream” keineswegs ein lehrmeisterliches Stück, kein 10-Gebote-Film, keine Ansammlung von gut gemeinten Ratschlägen. Nie und nimmer. Aronofsky nimmt seine Figuren ernst. Ernst nimmt er aber auch eine Gesellschaft, in der im buchstäblichen Sinn der eine den anderen nicht mehr wahrnimmt, nicht einmal aus Desinteresse oder Hartherzigkeit, sondern weil man es so gelernt hat. Die Katastrophe beginnt, als Harry und Tyrone beschließen, ins Drogengeschäft einzusteigen. Sie wollen reinen Stoff kaufen, strecken und dann teurer verkaufen. Und für Sara geht’s bergab, als ihr über Telefon die Teilnahme an der TV-Show angekündigt wird. Sie versucht, in ein rotes Kleid zu schlüpfen, das ihr aber inzwischen zu klein ist, um in der Show gut auszusehen. Da eine Diät nicht schnell genug hilft, verschreibt ihr ein Arzt Appetitzügler, von denen sie langsam aber sicher abhängig wird.

    Aronofsky kennt kein Pardon. Er zeigt mit Hilfe von Split-Screens, Zeitraffer, schnellen Schnittfolgen, untermalt durch die Musik Clint Mansells und des Kronos-Quartetts (die manchmal ähnlich Peitschenhieben auf einen niederprasselt) in eindrucksvollen Bildern den sozialen, psychischen und körperlichen Verfall der vier Hauptpersonen. Dass dieser Film kein glückliches Ende findet, wird spätestens nach einer Dreiviertelstunde jedem bewusst. Dabei ist „Requiem for a dream” kein Anti-Drogen-Film im konventionellen Sinn, eher ein Anti-Sucht-Film, und die Süchte (hier Drogen und Fernsehen) sind durchaus austauschbar. Die Totenmesse für die Träume von vier Personen zeigt den gnadenlosen Absturz von Menschen, die ihre Träume nur innerhalb ihres Suchtverhaltens finden können: Drogenkarriere oder TV-Auftritt.

    Eine zentrale Stelle des Films zeigt Sara und Harry im Gespräch miteinander. Sara rennt hin und her, als ihr Sohn sie nach Wochen einmal wieder besucht, aufgeputscht durch die Tabletten. Harry merkt, dass sie durch die Appetitzügler süchtig geworden ist. Sara will das nicht wahrhaben und Harry merkt nur, dass seine Mutter süchtig ist, nicht aber er selbst. Weinend verlässt er sein Elternhaus, das inzwischen nach außen abgedunkelt und abgeschottet ist, ein Elternhaus, in dem kleinbürgerliche Utensilien schon lange Platz gegriffen haben, die für Sara allerdings längst keine Bedeutung mehr haben. Sie bewegt sich zwischen ihrem Fernseher und dem „aufmüpfig” gewordenen Kühlschrank, der sich in ihren durch die Tablettensucht ausgelösten Wahnvorstellungen bewegt, ebenso, wie eines Tages Tappy Tibbons samt Kandidatin und Publikum plötzlich in Saras Wohnzimmer stehen und sie auslachen.

    Harry weint nicht lange. Längst ist er wieder mit sich selbst beschäftigt. Der Drogenhandel endet wie er begann: bargeldlos. Dafür ist die Abhängigkeit gestiegen, die Beziehung zu Marion verwandelt sich in eine Suchtbeziehung, Marion prostituiert sich und Harry und Tyrone versuchen in Florida vergeblich ihr Glück. Selten sieht man einen Film, in dem das Spiel der Mimen, die Musik, die Bilder, die Entwicklung der Geschichte eine derart homogene Einheit bilden. „Requiem for a dream”, für gerade mal 4,5 Mio. Dollar gedreht, beweist, dass mit relativ wenig Geld und viel Phantasie – vor allem, wenn ein Regisseur freie Hand hat und keine Produktionsfirma in die Inszenierung pfuscht – Maximales herausgeholt werden kann. Ellen Burstyn, bekannt geworden vor allem als Chris McNeil in Friedkins „Der Exorzist” (1973), ist schlicht überwältigend, etwa wenn sie verzweifelt in der Wohnung herumgeht und sich bemüht, den Kühlschrank nicht zu öffnen. Und auch Jared Leto und vor allem Jennifer Connelly können in ihren Rollen überzeugen. Connelly ist beispielsweise in einer Szene zu sehen, in der Marion ihre gesamte Wohnung auf den Kopf stellt, um Geld, Drogen zu finden. Kaum hat man je Entzug in einem Film überzeugender dargestellt gesehen.

    Der Einsatz bestimmter visueller Techniken ist kein Selbstzweck, sondern auf das Thema des Films bezogen und der eingeschränkten Wahrnehmung der Personen in ihrer Sucht angepasst – etwa wenn Sara eine Diät anfängt. Man sieht auf dem Tisch in Form eines Dreiecks angeordnet eine Orange, ein Ei und eine Tasse Kaffe – Schnitt – Orange ausgelöffelt – Schnitt – Eierschalen – Schnitt – Tasse leer. Ebenso verfährt der Film des öfteren mit der Vorbereitung des Schusses, was mit Worten schwer zu beschreiben ist, als Stilmittel aber visuell voll überzeugt: ein maschineller, routinierter Vorgang. Demgegenüber verwendet Aronofsky den Split-Screen z.B. in einer Szene zu Anfang des Films, in der Harry und Marion im Bett liegen und sich ihre Liebe erklären. Hier herrscht noch Nähe oder der Wunsch nach Nähe, der Split-Screen rückt beide zugleich zusammen, wie er sie trennt.

    „Requiem for a dream” gehört zu den Meisterwerken der Filmkunst der letzten Jahre. Er mutet – insbesondere dann auch gegen Schluss – dem Zuschauer viel zu. Der Film zeigt auch und vor allem ein Stück Gesellschaftskritik, ohne ins Analytische zu verfallen. Denn Aronofsky versteht es, zu zeigen, statt zu predigen. Gerade in diesem Film wird deutlich, was Kino eigentlich sein kann und sollte: ein Bilderreigen, der in sich stimmig ist und in dem die Bilder das Wichtigste sind – unter Verzicht auf Theatralik, Zeigefinger und demonstrative Gesten. Die Unfähigkeit und / oder Unwilligkeit von Ärzten, Therapeuten, Polizei usw., mit solchen Situationen umzugehen, wird durch die Bilder generiert, nicht durch verbale oder theatralische Anklagen. Man darf auf Aronofskys nächsten Film, der sich in der Pre-Production befindet und „The Fountain” heißen wird, gespannt sein. Er soll 2005 in die Kinos kommen.

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