Warum denn so ernst?
Von Christoph PetersenOscargewinner Colin Firth verkörpert in „Kingsman: The Secret Service“ zwar den Inbegriff eines englischen Gentleman, veranstaltet aber dennoch eines der blutigsten Massaker der Actionfilmgeschichte – und zwar in einer Kirche! Währenddessen serviert Samuel L. Jackson als Bond-artiger Bösewicht ausgerechnet McDonald’s zum edlen Luxusdinner… Die ersten beiden „Kingsman“-Filme von Regisseur Matthew Vaughn („X-Men: Erste Entscheidung“) nach einem Comic von Mark Millar („Kick-Ass“) sind wirklich voll drüber – machen als atemlos-schwarzhumorige Meta-Action-Kracher über einen von britischen Aristokraten geführten Spionage-Geheimbund aber gerade deshalb so ungemein viel Laune.
Vier Jahre nach „Kingsman 2: The Golden Circle“ schiebt Vaughn mit „The King’s Man: The Beginning“ nun ein Spin-off nach, das zur Zeit des Ersten Weltkriegs spielt und die Vorgeschichte der Gründung der Kingsman-Organisation erzählt. Auch diesmal gibt es wieder absurde Einfälle jenseits von Gut und Böse – allen voran Rhys Ifans Performance als russischer Zarenflüsterer Rasputin und die Enthüllung, dass in Wahrheit ausgerechnet schottische (!!!) Nationalisten für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs verantwortlich gewesen sein sollen. Zugleich ist „The King’s Man: The Beginning“ aber auch erstaunlich ernsthaft – und diese neue Schwere hängt dem Prequel immer wieder wie ein Klotz am Bein.
Orlando Oxford (Ralph Fiennes) nimmt die ganze Angelegenheit sehr viel ernster und verbissener als noch Colin Firth als Harry Hart.
Nachdem seine Frau Emily (Alexandra Maria Lara) bei einem Einsatz fürs Rote Kreuz in Afrika von einem Scharfschützen getötet wurde, ist es das oberste Ziel des britischen Herzogs Orlando Oxford (Ralph Fiennes), alle denkbaren Gefahren von seinem einzigen Sohn Conrad (Harris Dickinson) fernzuhalten. Aber dann bricht der Erste Weltkrieg aus – und der Teenager Conrad will sich unbedingt freiwillig zur Armee melden und in den Schützengräben an der Front für die Freiheit seines Vaterlandes kämpfen.
Währenddessen versammelt ein mysteriöser Schattenmann seine Schergen um sich – darunter den „Hellseher der Nazis“ Erik Jan Hanussen (Daniel Brühl), den russischen Geisterheiler Rasputin (Rhys Ifans) und die Superspionin Mata Hari (Valerie Pachner). Mit ihrer Hilfe will er die europäischen Herrscher George V., Wilhelm II. und Nikolaus II. (alle drei verkörpert von Tom Hollander) gegeneinander ausspielen, um so seinem geliebten Schottland zu alter Größe zu verhelfen…
Die Entstehung der Kingsmen samt Tafelrunde-Codenamen; der Plan des Bösewichts mit all seinen rund um den Globus verteilten Handlangern; das komplette Neuschreiben der Geschichte des Ersten Weltkriegs samt Vorbereitung eines möglichen Sequels, das dann sicherlich zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs spielen würde: Der gemeinsam mit Karl Gajdusek („Oblivion“) auch für das Skript verantwortlich zeichnende Matthew Vaughn versucht, eine MENGE Stoff in den 131 Minuten von „The King’s Man: The Beginning“ unterzubringen – und verzettelt sich dabei leider total. Die Jahrzehnte und Kontinente umspannende Erzählung wirkt noch unzusammenhängender als ein typisches Bond-Abenteuer – und die allermeisten der verschwenderisch vielen, meist namhaft besetzten Figuren erhalten zu wenig Leinwandzeit, um einen Unterschied ausmachen zu können.
Der einzige Co-Star, der wirklich ins Spotlight treten darf, ist Rhys Ifans – und der Kult-WG-Mitbewohner aus „Notting Hill“ dominiert die Leinwand als Zwei-Meter-Zottelwesen und „Russian’s Greatest Love Machine“, wie Rasputin im berühmten Song von Boney M. beschrieben wird, dann auch nach Belieben: Die Total-drüber-Performance, an die sonst in letzter Zeit wohl nur Jared Leto in „House Of Gucci“ heranreicht, wird sicherlich einen Teil des Publikums tierisch nerven – aber wenn man drauf einsteigt, dann ist der gut 20 Minuten lange Abstecher ins russische Zarenreich sicherlich der absolute Höhepunkt des Films. Speziell die abschließende Choreographie, in der Rasputin zu verschiedenen russischen Volksliedern passende Ballett-Kampftechniken auspackt, liefert gleich mehrere Momente des ungläubigen Das-machen-die-jetzt-nicht-wirklich-Staunens.
Rhys Ifans spielt Rasputin als jede und jeden vernaschenden Sexgott mit einem gnadenlos-effektiven Ballett-Kampfstil.
Statt sich konsequenter auf die etablierten Stärken des Franchise zu besinnen, verwendet Matthew Vaughn ansonsten allerdings einen Großteil der Zeit auf den Soll-man-sich-für-sein-Land-opfern-oder-besser-seine-eigene-Haut-retten-Konflikt zwischen Orlando Oxford und seinem Sohn. Natürlich spielt Ralph Fiennes („Schindlers Liste“) den Part mit gewohnter Gravitas – aber selbst wenn dieser Handlungsstrang in einem sonst so absurden Action-Blockbuster irgendwie „tiefgründig“ wirken mag, ist genau diese Geschichte im dramatischen Fach eben schon Dutzende Male besser erzählt worden. Außerdem wirkt die ausgedrückte Schwere auch einfach unpassend – schließlich will sich Conrad hier in einem Weltkrieg opfern, von dem wir längst wissen, dass er in Wahrheit von den Schotten (!!!) angezettelt wurde. Da fällt es eher schwer, andere Elemente der Erzählung plötzlich total ernst zu nehmen – da bremsen solche Szenen den wilden Kern der Kingsman nur unnötig aus.
Immerhin springt dabei eine wirklich erinnerungswürdige Actionsequenz heraus: Als sich ein britischer und ein deutscher Trupp im zerbombten Niemandsland begegnen, müssen sie ihre Feuerwaffen notgedrungen wegstecken – denn jeder weiß, dass beim kleinsten Mündungsfeuer sofort beide Seiten mit ihren Maschinengewehren auf den Lichtschein zwischen den Schützengräben losballern würden. Also wird das brutal-blutige Duell – möglichst leise - mit dem Hammer und sonstigen Hiebwaffen ausgetragen. Neben dem Ballett-Fight gegen Rasputin ist das einer dieser unvergesslichen Action-Momente, die zwar im Kern total absurd sind, aber trotzdem ganz hervorragend funktionieren – nur waren die beiden Vorgänger mit solchen Szenen eben reich bestückt, während sie im Spin-off nun doch enttäuschend rar gesät sind.
Fazit: „The King’s Man: The Beginning“ ist nicht nur völlig überladen, sondern auch tonal extrem uneinheitlich. Natürlich gibt es immer wieder absurde Einfälle, mit denen man echt Spaß haben kann – aber insgesamt bleibt das Prequel doch klar hinter „The Kings Man: The Secret Service“ und auch hinter dem bereits etwas schwächeren Sequel „The Kings Man 2: The Golden Circle“ zurück.