Nicolas Cage gegen die Geister von Fukushima
Von Jochen Werner„Prisoners Of The Ghostland“, der erste englischsprachige Film des japanischen Regie-Provokateurs Sion Sono („Suicide Circle“), spielt in Samurai Town, einem seltsamen Ort zwischen den Zeiten und zwischen den Kulturen. Eine Art theatrale Kulissenstadt, die gleichzeitig im historischen Japan, im Wilden Westen, in der Gegenwart und in einer seltsamen Fantasywelt zu existieren scheint. Geishas und Cowboys leben dort nebeneinander, und das Geschehen auf den Straßen gleicht oft den abstrahierten, maskenhaften, streng ritualisierten Performances des klassischen japanischen No-Theaters. Auch die Figuren, denen wir in Samurai Town begegnen, sind Abstraktionen, sie heißen schlicht Hero (Nicolas Cage), Governor (Bill Moseley) oder Psycho (Nick Cassavetes).
Ein Held ist Hero allerdings zunächst noch nicht, ganz im Gegenteil: In der Eröffnungssequenz begegnen wir ihm gemeinsam mit seinem Partner Psycho als eingespieltes Räubergespann in einem irreal wirkenden Bankgebäude. Knallbunt vor klinisch weißem Hintergrund erscheint ein altmodisch wirkender Münzautomat, gefüllt mit vielfarbigen Kaugummikugeln. Ein kleiner japanischer Junge bietet Psycho eine Kugel an, und dieser richtet irritiert die Waffe auf ihn. Als Hero davon Wind bekommt, bricht die Szene ab und eine andere beginnt: Drei Mädchen in traditioneller Kleidung, auf nächtlicher Flucht in einem kleinen PKW, verlassen erstmals die seltsam aus der Zeit gefallene Stadt und werden von einem dämonischen Trupp von Wegelagerern entführt. Wieder ein Schnitt. Hero, so scheint es, ist der Einzige, der Bernice (Sofia Boutella), die Enkelin des Gouverneurs, aus den Klauen der Entführer befreien kann….
Nicolas Cage dreht auch diesmal wieder VOLL auf!
Um ihn auf dieser Mission unter Kontrolle zu halten, bekommt er eine Spezialarmatur mit mehreren Sprengsätzen umgeschnallt, die im Falle spezifischen Fehlverhaltens oder aber auch nach Ablauf einer bestimmten Deadline gezündet werden. Hier betritt „Prisoners Of The Ghostland“ natürlich klassischstes Genrekinoterritorium und die Erinnerung an die beiden Leinwandabenteuer von John Carpenters und Kurt Russells (Anti-)Helden Snake Plissken, der „Klapperschlange“, rückt sehr nahe.
Sion Sono ist aber natürlich alles andere als ein Klassizist im Sinne Carpenters. Stattdessen erwies er sich in seinem bisherigen Werk stets als ein Verfechter des bedingungslosen Exzesses – und so verwundert es dann nur bedingt, dass anders als in „Die Klapperschlange“ oder dem Sequel „Flucht aus L.A.“ diese Sprengsätze dann auch tatsächlich gezündet werden. Um ein berühmtes Tschechow-Zitat zu variieren: „Wenn Sion Sono im ersten Akt eine Bombe an Nicolas Cages Hoden klemmt, dann wird sie spätestens im dritten Akt auch explodieren!“
Man durfte sich durchaus fragen, ob das eigentlich funktionieren kann, wenn ein Filmemacher mit einer so unverkennbaren Handschrift wie Sion Sono und ein mit seiner Präsenz und dem eigenen, von allerlei Memes befeuerten Kultstatus derart raumgreifender Hauptdarsteller wie Nicolas Cage zusammenarbeiten. Oder besser gesagt, man musste sich fragen, ob Sono hier nicht eigentlich vor allem als Protagonist einer gut vermarktbaren japanischen Weirdness engagiert wurde, um einen im Grunde klischeehaften Cagesploitation-Film mit etwas Weltkino-Credibility aufzuladen. Aber wenn man „Prisoners Of The Ghostland“ nun sieht, darf man erleichtert sein, denn dieser passt einerseits durchaus gut in Sonos Kinokosmos und schafft es andererseits, Cages jüngerem Portfolio einen weiteren eigenwilligen Film hinzuzufügen, der dessen Kultstatus zwar durchaus bedient, ohne ihn jedoch zum bloßen Verkörperer seiner eigenen Social-Media-Memes zu degradieren.
Dabei macht Cage seit Jahren, neben seinen zahllosen Paycheck-Movies, tatsächlich immer wieder ziemlich viel richtig. Werner Herzog („Bad Lieutenant“), Richard Stanley („Die Farbe aus dem All“), jetzt Sion Sono – die Filmemacher, mit denen er für seine exaltierteren, egomanischeren Projekte zusammenarbeitet, verfügen allesamt über eine authentisch eigenartige, tief in Avantgarde und Kunstfilm verwurzelte Handschrift, der sich Cage – der ja mit der Coppola-Familie auch einer waschechten Autorenfilmdynastie entstammt – dann auch uneitel und bedingungslos überantwortet.
"Prisoners Of The Ghostland" ist vom klassischen japanischen No-Theater inspiriert.
Die Radikalität des bisherigen Meisterwerks dieses noch relativ jungen Subgenres der Cagesploitation, nämlich die von Panos Cosmatos' ultraromantischer Heavy-Metal-Popoper „Mandy“, erreicht „Prisoners Of The Ghostland“ nun zwar nicht ganz, aber die formale Verspieltheit wird spätestens dann auch durch eine gewisse emotionale wie philosophische Tiefe ergänzt, wenn die Erzählung das titelgebende „Ghostland“ erreicht. Das liegt inmitten eines nuklearen Brachlands, und in ihm hat sich eine Gruppe Überlebender verbarrikadiert, um die Zeit anzuhalten – ganz buchstäblich, und in der schönsten Metapher des ganzen Films, indem sie qua Körperkraft die Zeiger einer großen Rathausuhr daran hindern, sich weiterzudrehen.
Bernice aber ist nicht den eigentlich friedlichen und gastfreundlichen Bewohnern des Ghostland zum Opfer gefallen, sondern einer Gruppe von Strafgefangenen, die infolge eines Unfalls zu nuklear verstrahlten Wanderern durch eine Zwischenwelt wurden. Die Katastrophe von Fukushima war schon in mehreren Filmen Sion Sonos Thema, mal direkt und mal zwischen den Zeilen, und die leeren Landschaften um das verunglückte Kernkraftwerk funktionieren immer wieder als beeindruckende und semantisch hochaufgeladene Schauplätze für seine Filme.
Hier greift Sono nun auf das kanonische Repertoire des postapokalyptischen Kinos zurück und schickt seinen Snake-Plissken-Wiedergänger Hero in eine an die Mad-Max-Filme erinnernde Welt aus Sand, Staub und Schrott, bindet diese aber trotzdem ganz konkret an die Traumata der jüngsten japanischen Geschichte zurück – nur um dann in dieser seltsamen Arena ein überbordend fantasievolles Gefecht um Schuld und Erlösung und Emanzipation, um Weltflucht und hyperkapitalistischem Autoritarismus zu inszenieren.
„Prisoners Of The Ghostland“ hat viele Facetten, auch wenn er vielleicht am Ende doch keine davon so tiefgreifend erforscht, wie Sono das in anderen Filmen bereits tat. Eher steht hier das Verspielte gegenüber dem Abgründigen, der Spaß gegenüber dem Melodrama im Vordergrund. Aber das muss ja nichts Schlechtes sein, denn Spaß macht Sonos Film definitiv – und das, ohne die persönlichen Themen und Obsessionen seines Regisseurs zu verraten. Ein glänzendes US-Debüt.
Fazit: Ein tolles Stück Cagesploitation, das die ambitioniertere Linie in Nicolas Cages Filmografie durch eine weitere Zusammenarbeit mit einem brillanten, eigenwilligen Filmemacher erweitert. Schräg und durchgeknallt, ohne sich darin zu erschöpfen; egomanisch, ohne zur Selbstparodie zu gerinnen.