Gangster, die das Pfeifen lernen
Von Carsten BaumgardtIn Heistfilmen gehört es einfach dazu, dass die Gauner erst einmal etwas lernen müssen, bevor sie mit ihrem großen Bruch loslegen können. So wie Catherine Zeta-Jones in „Verlockende Falle“ etwa einen Spagat und alle möglichen anderen Verrenkungen, um so später die Laserfallen umgehen zu können. Für seine Noir-Thriller-Komödie „La Gomera“ hat sich Regisseur Corneliu Porumboiu in dieser Hinsicht jedoch etwas ganz Besonderes einfallen lassen: In der schwungvoll-unterhaltsamen, kunstvoll-verschachtelten und mit Filmbezügen vollgestopften Arthouse-Variante von „Ocean’s Eleven“ geht es nämlich um eine Gruppe von Gangstern, die als geheimes Kommunikationsmittel die Pfeifsprache El Silbo benutzt.
Mit dieser lässt sich durch verschiedene Laute, die durch Lautstärke, Tonhöhe und Unterbrechung variieren, das gesamte Alphabet in Pfiffen abbilden, die sich nicht von Vogelzwitschern unterscheiden lassen und deshalb unentdeckte Kommunikation auch über größere Entfernungen ermöglichen. Heutzutage wird diese Tradition des El Silbo vornehmlich noch auf der Kanareninsel La Gomera (so auch der Originaltitel des Films) verwendet. Der feine Humor von „La Gomera“ speist sich nun unter anderem daraus, dass Porumboiu keinen einzigen direkt auf die Pfeifsprache bezogenen Witz abfeuert und auch niemanden die Idee ins Lächerliche ziehen lässt. Stattdessen ziehen die Gangster das Trainingsprogramm bierernst durch, was für sich genommen wiederum ziemlich amüsant ist.
Der korrupte Cop Cristi (Vlad Ivanov) ist schwer in Bedrängnis.
Der Geschäftsmann Zsolt (Sabin Tambrea) sitzt im Gefängnis von Bukarest. Seine Matratzenfabrik wurde bisher von der rumänischen Mafia zur Geldwäsche genutzt. Als Vermittlerin diente dabei seine Freundin Gilda (Catrinel Marlon), die nach Zsolts Inhaftierung nun zwischen allen Fronten sitzt. Denn nur ihr Freund weiß, wo die fehlenden 30 Millionen Euro Schwarzgeld versteckt sind. Mafiaboss Paco (Agusti Villaronga) setzt Gilda auf Zsolt an, um herausbekommen, wo das Geld abgeblieben ist. Aber dafür muss Zsolt erst einmal aus dem Knast. Dazu heuert Gilda den korrupten Polizisten Cristi (Vlad Ivanov) an, der allerdings bereits von seinen Kollegen überwacht und abgehört wird. Um trotzdem kommunizieren zu können, schickt Gilda den Cop auf die Insel La Gomera, wo er die Pfeifsprache El Silbo erlernen soll…
Wer seinen Film mit Iggy Pops energetischem Klassiker „Passengers“ beginnt, der gibt damit ein Versprechen ab, dass er anschließend besser auch einhält. Aber Corneliu Porumboiu („Der Schatz“) hält das Tempo seiner Erzählung tatsächlich konsequent hoch. Der rumänische Auteur liefert eine verzwickte Geschichte mit gleich mehreren doppelten Böden, in der Erwartungen immer wieder geschickt unterlaufen und wilde Haken geschlagen werden. Zunächst scheint es beim Trainingsauftakt auf La Gomera noch so, als wenn der ganze Film geradlinig nur auf den Coup zusteuert. Aber dem ist nicht so. Stattdessen streut Porumboiu locker-lässige Rückblenden ein, in denen er – eingeteilt in nach den Protagonisten benannten Kapiteln – die Hintergrundstorys von wichtigen Figuren ausbreitet. Das sorgt für eine Menge toller Momente. Etwa wenn sich Gilda als High-Class-Prostituierte ausgibt, um Cristi trotz der Totalüberwachung in seiner Wohnung besuchen zu können. Diese Einführung von Gilda als potente Femme Fatale ist nicht nur sexy, sondern in ihrem verschmitzten Spiel mit Kamerawinkeln und Figurenpositionen auch inszenatorisch sehr elegant – stylisch, aber nicht auf eine aufdringliche Art.
Zu der klassischen Femme Fatale im roten Kleid passen auch die etlichen weiteren selbstironischen Bezüge auf die Filmgeschichte, die Porumboiu immer wieder einstreut. Da stolpert dann schon mal ein Regisseur beim Location-Scouting versehentlich in eine Lagerhalle voller Gangster und die wohl berühmteste Duschszene der Kinohistorie wird sogar fast eins-zu-eins übernommen, nur um die Erwartungen des filmkundigen Publikums einmal mehr zu unterlaufen. Der Showdowns findet dann sogar in einer ausgedienten Filmkulissenstadt statt. Das alles unterstreicht Porumboius bedingungslose Liebe zum Kino, selbst wenn er sonst oft eher eine fatalistische Sicht auf die Dinge durchscheinen lässt. Denn einen durch und durch positiven Charakter bietet er seinem Publikum nicht als Identifikationsfigur an.
Weiße Westen gibt es in Rumänien nicht, so Porumboius Fazit. Die zentrale Figur des Films ist aber dennoch der korrupte Cristi, den Vlad Ivanov („4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage“) herrlich undurchsichtig spielt. Cristi hat sich gegen jede Vernunft in Gilda verliebt, folgt aber trotzdem primär dem Geld. Wem seine Loyalität wirklich gilt, also Paco, Gilda, der Polizei oder doch nur sich selbst, bleibt lange in der Schwebe. Das macht diesen „Helden“ so wunderbar uneindeutig und rätselhaft – und zwar bis zum Schluss.
Vorbereitung auf den Coup der Gangster
Nicht nur durch geschickte Tempowechsel, auch durch die Wahl seiner Schauplätze verpasst Porumboiu seinem Film immer wieder unterschiedliche Stimmung. Nach einigen Szenen auf der wunderschönen, sonnigen Insel La Gomera, wo der Zuschauer das erste Mal mit der verrückten Pfeifsprache El Silbo in Kontakt kommt, spielt der Hauptteil im tristen Grau Bukarests, bevor der Filmemacher am Ende noch einen Schlenker zur weltberühmten Lichtershow im luxuriösen Hotel Gardens By The Bay einbaut und dort zum Abschluss dem ekstatischen Kitsch frönt. Die letzten fünf Minuten des Films könnten auch direkt vom Tourismusbüro Singapurs bezahlt worden sein. Aber was soll’s, spektakulär ist die bunte Lichtersymphonie trotzdem allemal.
Fazit: „La Gomera“ ist ein wilder Trip voller Kabinettstückchen und Zitate, die Regisseur Corneliu Porumboiu zu einem fließenden, stylishen, dabei aber nie aufdringlichen Gaunerstück mit viel trockenem Humor zusammenfügt.
Wir haben „La Gomera“ beim Filmfestival in Cannes gesehen, wo der Film im Wettbewerb gezeigt wurde.