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    Speak No Evil
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Speak No Evil

    Happy End für den Mainstream

    Von Christoph Petersen

    Das ging verdammt schnell. Gerade mal zwei Jahre ist es her, dass Christian Tafdrup mit „Speak No Evil“ sein Vorhaben in die Tat umsetzte, den nach eigener Aussage „verstörendsten Film der dänischen Kinogeschichte“ abzuliefern. Und trotzdem gibt es schon jetzt ein gleichnamiges, vom „Five Nights At Freddy’s“-Studio Blumhouse produziertes Remake. Die US-Version von „Speak No Evil“ hat mit „Eden Lake“-Regisseur James Watkins zwar einen erfahrenen Terror-Spezialisten am Steuer und punktet zudem mit einem spiellaunigen James McAvoy im hemmungslosen Psycho-Modus. Aber wie so oft, wenn sich Hollywood internationale Genre-Geheimtipps vorknöpft, die vor allem für ihre krassen Grenzüberschreitungen berühmt-berüchtigt sind, siegt am Ende doch wieder die Angst vor der eigenen Courage.

    An diesem Umstand hat sich seit den geglätteten US-Neuauflagen von Schock-Tiefschlägen wie „Inside“ oder „Martyrs“ leider wenig geändert. Wobei das nicht heißt, dass es nicht auch diesmal wieder ganz schön ungemütlich wird. Schließlich zelebriert auch das „Speak No Evil“-Remake erneut ein perverses Spiel mit den antrainierten Verhaltensnormen unserer ach so kultivierten Gesellschaft. Hier geraten die Protagonist*innen entgegen den üblichen Genre-Konventionen nämlich nicht etwa in Gefahr, weil sie Sex miteinander haben oder Drogen nehmen, sondern weil sie es einfach nicht schaffen, die Gebote der Höflichkeit zu missachten. Sie riskieren lieber ihr Leben, als ihrem Gegenüber vor den Kopf zu stoßen – und dieses fatale Aufrechterhalten der zivilisatorischen Fassade um jeden Preis tut beim Zuschauen oft mehr weh als es ein herkömmlicher Slasher-Kill je könnte.

    Universal Pictures
    Louise (Mackenzie Davis) und Ben (Scoot McNairy) halten sich an alle Regeln der Höflichkeit – und gerade das könnte ihren Untergang bedeuten.

    Die in London lebenden Yuppie-Eheleute Louise (Mackenzie Davis) und Ben (Scoot McNairy) machen mit ihrer Tochter Agnes (Alix West Lefler) Urlaub in Italien. Dort treffen sie auf den Arzt Paddy (James McAvoy) und seine jüngere Frau Ciara (Aisling Franciosi), die sich in den Ferien mit ihrem Sohn Ant (Dan Hough) so gar nicht an die steifen Regeln halten, sondern einfach locker drauf sind und Spaß haben. Die so unterschiedlichen Paare verstehen sich überraschend gut, und schließlich lädt Paddy sogar dazu ein, doch irgendwann einmal ein gemeinsames Wochenende bei ihm auf dem Hof in der englischen Provinz zu verbringen.

    Aber das idyllische Wiedersehen gestaltet sich zunehmend merkwürdig. Nicht nur wird der vegetarischen Louise gleich am ersten Abend ein frisch geschlachtetes Tier vorgesetzt, auch der Umgang von Paddy mit seinem Sohn, der wegen einer zu kurzen Zunge nicht sprechen kann, wirkt auf die Londoner Stadtmenschen zunehmend verstörend. Aber hat das Unwohlsein tatsächlich nur etwas mit dem so unterschiedlichen Naturell der beiden Familien zu tun – oder führt der zunehmend manisch auftretende Paddy womöglich doch etwas abgrundtief Sinistres im Schilde?

    Wie Frösche im Wasserkocher

    Das „Speak No Evil“-Remake übernimmt viele der besonders präzise beobachteten Szenen aus dem Original nahezu eins zu eins – und die erst nahezu unmerklichen, sich dann langsam auftürmenden Zivilisationsbrüche bleiben auch in der Neuauflage das Herzstück des sich langsam heranpirschenden Terrors: Wenn Paddy eine Liege am Pool zu sich herüberschleift – und zwar ohne zu fragen? Wenn er einer Vegetarierin trotz besseren Wissens Fleisch vorsetzt? Wenn er die Tochter eines anderen Paares zurechtweist? Wenn er den eigenen Sohn vor den Augen der anderen aggressiv ausschimpft, nur weil er bei einem dummen Tanz den Takt nicht gehalten hat? Ab wann ist der Zeitpunkt gekommen, wo es nicht länger nur um unterschiedliche Maßstäbe geht, sondern man tatsächlich besser die Flucht antreten sollte?

    Es ist beim Schauen von „Speak No Evil“ durchaus frustrierend, wenn sich das Londoner Paar immer wieder breitschlagen lässt, doch nicht vorzeitig nach Hause zu fahren – vergleichbar durchaus mit einem Teenie in einem Slasher, der gleich mehrfach noch mal die Treppe im Haus hinaufsteigt, um nachzusehen, ob sich nicht doch noch ein Killer in einem der Zimmer dort oben versteckt.

    Allerdings steigert „Speak No Evil“ die unangenehmen Grenzübertritte so geschickt, dass Louise und Ben an Frösche in einem Wasserbad erinnern, bei dem langsam, aber unaufhaltsam Hitze zugeführt wird. Sie bleiben sitzen, selbst wenn es längst zu heiß geworden ist. Mit Mackenzie Davis („Blade Runner 2049“) und Scoot McNairy („Halt And Catch Fire“) stehen James Watkins dabei zwei echte Charakter-Köpfe zu Verfügung, die solche minimalen Verschiebungen auch glaubhaft verkörpern können. „Split“-Star James McAvoy wiederum pfeift auf jede Subtilität und lässt seinen inneren Jack Torrance heraushängen.

    Universal Pictures
    James McAvoy gleitet während des Films langsam, aber sicher in den Volle-Kanne-Psycho-Modus über – ein großes Vergnügen.

    Wer das dänische Original kennt, dem musste natürlich von Anfang an klar sein, dass das Finale in der US-Version kaum dermaßen krass ausfallen wird. Aber dass die Verantwortlichen dann gleich so heftig vor dem (vermeintlichen) Geschmack des Mainstream-Publikums einknicken, ist dann doch eine Enttäuschung: Happy End mit Schleife und weg mit dem lange nachhallenden nihilistischen Tiefschlag! Statt eines finalen Schocks, den man nie wieder aus dem Kopf bekommt, gibt es einen Home-Invasion-Showdown von der Stange, den man schon nach dem Rollen des Abspanns wieder vergessen hat (und der so gar nicht zu der bis dahin etablierten Art des Terrors passt). Der Schlussakkord des Originals lässt einen an der Menschheit zweifeln, der Ausklang des Remakes nur an Hollywood.

    Fazit: Die letzten 20 Minuten sind ein Verrat am Original. Aber zumindest bis dahin liefert „Speak No Evil“ ganz schön ungemütlichen Psycho-Terror. Dieser lässt einen vor allem deshalb so unruhig auf seinem Sitz hin und her rutschen, weil man sich doch bei vielen der zivilisatorischen Höflichkeits-Fallen, in die Ben und Louise ständig hineintappen, durchaus wiedererkennt.

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