Eigentlich ist es ein bekanntes Western-Motiv: Zwei unfreiwillige Verbündete müssen sich notgedrungen gemeinsam in einer unwirtlichen Landschaft durchschlagen. In „Prospect“, der auf ihrem gleichnamigen Kurzfilm aus dem Jahr 2014 beruht, verlegen die Regisseure Chris Caldwell und Zeek Earl diesen Plot nun zwar ins All, aber die Vorbilder aus dem Westerngenre sind dennoch unverkennbar. Die Verwendung klassischer Motive in einem anderen Genre ist hier allerdings mehr als ein bloßes Gimmick, stattdessen spielt das veränderte Setting tatsächlich eine gewichtige Rolle. Gerade die aus dem Weltraumschauplatz entspringende Symbolik eröffnet dem etwas sperrigen, aber intensiven und vor allem herausragend gespielten Indie-Science-Fiction-Abenteuer mit dreckigem 70er-Jahre-Look eine überzeugende zweite Ebene.
Die Teenagerin Cee (Sophie Thatcher) reist gemeinsam mit ihrem Vater Damon (Jay Duplass) durchs All, bis sie auf einem Mond landen, wo sie etwas Wertvolles abernten wollen. Dabei kommt es zu einer Konfrontation mit zwei gestrandeten Outlaws. Es gibt zwei Tote und kurz darauf rennt Cee um ihr Leben. Allerdings ist ihre Transportkapsel kaputt und sie kann den Planeten samt seiner giftigen Atmosphäre nicht mehr verlassen. Auf einmal steht da Ezra (Pedro Pascal), der andere Überlebende der Schießerei. Nur gemeinsam könnten sie es noch von dem Mond wegschaffen. Aber kann Cee dem Fremden wirklich vertrauen?
Wenn sich Damon, Cee, Ezra und dessen stummer Begleiter (Luke Pitzrick) schließlich in bester Wildwestmanier gegenüberstehen, gibt es nach einer relativ langen Einführung nicht nur die erste große Spannungsspitze, die eigentliche Geschichte setzt sich auch endlich in Gang. Bis dahin machen es die Regisseure ihrem Publikum nämlich nicht gerade leicht. Die Kinodebütanten werfen den Zuschauer ohne jede Verortung mitten hinein ins Geschehen. Was vor sich geht, muss man sich zusammenreimen, wobei vieles auch bis zum Schluss offen bleibt. Denn die auch für das Drehbuch verantwortlichen Regisseure haben nicht immer Interesse daran, alles vollständig zu erklären.
Die meiste Zeit über stecken die Figuren in ihren Raumanzügen, so dass man (zumindest in der englischen Originalfassung) durch ihre schweren Helme und über den verrauschten Funk nicht immer vollständig mitkriegt, was sie sagen. Eine Anleihe aus dem Mumblecore – einem Subgenre des Indiefilms, das an das Wort „mumble“ (= Gemurmel) angelehnt ist, weil die improvisierten, vor Ort aufgenommen und anschließend nicht noch einmal überarbeiteten Dialoge nicht immer ganz einfach zu verstehen sind. Da ist es sicher auch kein Zufall, dass mit Jay Duplass („Jeff, der noch zu Hause lebt“) einer der bekanntesten Filmemacher dieser Bewegung in „Prospect“ mitspielt.
Das Nicht-alles-Verstehen ist jedoch kein Nachteil. Die schwere Verständlichkeit der Dialoge trägt vielmehr zur Atmosphäre bei und illustriert zusätzlich die scheinbar ausweglose Lage, in der die beiden Protagonisten stecken. Wo ein Hollywoodstudio wohl darauf bestanden hätte, schnell einen Kniff zu präsentieren, der es erklärt, wie die Figuren trotz der lebensfeindlichen Atmosphäre atmen (und damit vernünftig sprechen) können, setzen Caldwell und Earl mit der Sauerstoffproblematik sogar noch ein Symbol, in dem sie ihre Figuren dadurch aneinanderketten.
Dass zwei völlig verschiedene Mitstreiter eine Zeitlang aneinandergekettet sind, ist ein beliebtes filmisches Motiv – verwendet in so unterschiedlichen Werken wie Alfred Hitchcocks „Die 39 Stufen“, „Flucht in Ketten“ oder „Midnight Run“. Hier ist es allerdings keine Kette, sondern eben der Sauerstoffschlauch, der die beiden zusammenhält. Nachdem ein Luftfilter kaputtgegangen ist, müssen Cee und Ezra buchstäblich dieselbe Luft atmen. Damit unterstreichen die Filmemacher noch einmal, wie sich die Beziehung ihrer Figuren wandelt. Wie sich das Mädchen und der Verbrecher mit der Zeit mit anderen Augen betrachten, ist leider nicht ganz stolperfrei erzählt. Allerdings helfen über diese kleinen Holprigkeiten die starken Bilder des miteinander verbundenen Duos hinweg – oft auch ganz subtil, etwa wenn es darum geht, wie beim Umschiffen kleiner Hindernisse die Bewegungen miteinander koordiniert werden müssen.
Allgemein beweisen Chris Caldwell und Zeek Earl mit dem Look ihres ersten Kinofilms, dass sie für größere Aufgaben bereit sind. Schon die Vorspanntitel machen deutlich, dass sich das Duo am Science-Fiction-Kino der 1970er Jahre orientiert. Die Ausstattung bekräftigt dies dann auch noch mal, denn die Raumschiffapparaturen sehen überwiegend nicht nach CGI aus, sondern wirken wie händisch aus allerlei Materialen zusammengebaut. Das Ganze hat dann noch eine dreckige Optik, die zeigt, wie verbraucht und abgenutzt alles ist. Der auch für die Kamera zuständige Zeek Earl fängt dieses Setting sensationell ein. So macht es auch nichts, dass die Story in den ersten Minuten nicht direkt voll durchstartet, weil man sich eh erst mal nur an elegischen Bildern vom Alltagsleben in einem Raumschiff sattsehen will.
Dass „Prospect“ trotz einer nicht immer ganz runden Handlung viel mehr als nur eindrucksvolle Bilder bietet, ist auch ein Verdienst der beiden Hauptdarsteller. Die bislang nur in Nebenrollen in Serien wie „Der Exorzist“ oder „Chicago Med“ zu sehende Sophie Thatcher ist in ihrer ersten Kinorolle eine Offenbarung. Wunderbar variiert sie zwischen der sensiblen Teenagerin, die gerade den letzten wichtigen Menschen in ihrem Leben verloren hat, und einer toughen Heroin, die sich schon ihr ganzes Leben lang im All durchschlagen musste.
Der unter anderem aus „Game Of Thrones“ und „Narcos“ bekannte Pedro Pascal ist als Dieb und Killer, der sich scheinbar aus jeder Lage herausquasseln kann, voll in seinem Element. Dass seine Figur schwierig einzuschätzen bleibt und man einfach nicht weiß, inwieweit er Cee nur ausnutzt, macht einen Großteil der konstant hohen Intensität aus. So wird auch kaschiert, dass die zusätzlichen Spannungsmomente (unter anderem durch die Auftritte der „The Wire“-Veteranen Andre Royo und Anwan Glover) mitunter etwas beliebig wirken.
Fazit: Der Indie-Science-Fictioner „Prospect“ ist ein Geheimtipp, der vermuten lässt, dass wir vom Regie-Duo Chris Caldwell und Zeek Earl in Zukunft noch viel hören werden.