Familientreffen im Ferienparadies
Von Christoph PetersenEs ist fast schon ein eigenes Genre. Ein Filmemacher schafft einen Haufen möglichst namhafter Schauspieler an einen malerischen Ort und lässt sie dort in einer reigenartigen Dramaturgie in verschiedenen Konstellationen aufeinandertreffen. Woody Allen ist bekannt dafür („Vicky Cristina Barcelona“, „To Rome With Love“). Im besten Fall passiert dann etwas Magisches, aber mitunter ergibt sich auch nur eine Aneinanderreihung von Banalitäten. Der im portugiesischen Ausflugsort Sintra gedrehte „Frankie“, der erste in Europa spielende Film der amerikanischen Indie-Ikone Ira Sachs („Little Men“, „Liebe geht seltsame Wege“) landet irgendwo in der Mitte. Mit Anklängen an das Kino von Eric Rohmer und Hong Sang-soo erkundet Sachs die Beziehungen innerhalb einer ausfransenden Patchwork-Familie, die von der titelgebenden Patriarchin zu einem gemeinsamen Urlaub an der Algarve verdonnert wurde. Das Ergebnis ist eine Reihe wirklich toller Momente und eine fließende, traumartige Atmosphäre. Aber am Ende fehlt es „Frankie“ einfach an Substanz, an der sich die spielfreudigen Darsteller abarbeiten könnten.
Bei der weltberühmten Schauspielerin Frankie (Isabelle Huppert) ist der Krebs zurückgekehrt. Vor ihrem Tod hat sie ihren Ehemann Jimmy (Brendan Gleeson), ihren Sohn Paul (Jérémie Renier), ihre Stieftochter Sylvia (Vinette Robinson), deren Ehemann Ian (Ariyon Bakare), ihre Enkelin Maya (Sennia Nanua) und ihren schwulen Ex-Ehemann Michel (Pascal Greggory) zu einem Familienurlaub eingeladen. Zudem sorgt Frankie dafür, dass die gutbefreundete Set-Stylistin Irene (Marisa Tomei) auftaucht, die sie mit Single Paul verkuppeln will. Der Plan scheint sich allerdings direkt wieder erledigt zu haben, als Irene nicht allein, sondern mit ihrem Freund Gary (Greg Kinnear) in Sintra aufschlägt...
Frankie (Isabelle Huppert) will ihren Sohn verkuppeln…
Sintra ist vor allem bekannt für seinen Palácio Nacional da Pena, der in knalligem Rot, Blau und Gelb auf dem Gipfel eines Felsmassivs aus Granit vor der Stadt thront. In dem an einem einzigen Tag spielenden „Frankie“ ist das märchenhafte Romantikschloss auch zu sehen, allerdings sind die Hügel in der Einstellung nebelverhangen und die eindrucksvollen Farben durch die weißen Schleier kaum auszumachen. Sowieso wirkt das Sintra im Film nicht wie ein überlaufener Ferienort, sondern hat selbst etwas Traumartiges an sich. Die Begegnungen der Figuren fließen meist genauso ineinander über wie die Orte, an denen sie sich begegnen (vornehmlich hügelige Wege beim Spaziergang). Nur Enkelin Maya ist immer eindeutig zu verorten, weil sie allein einen Ausflug an den Strand unternimmt.
Die Qualität der einzelnen Episoden schwankt allerdings sehr. Die Streitereien wegen der wahrscheinlichen Scheidung von Sylvia und Ian verharren etwa vollständig an der Oberfläche. Sowieso fehlt es allgemein an einer zweiten Ebene, es gibt kaum mal einen entlarvenden, einen Verborgenes freilegenden Moment. Die Figuren erzählen sich relativ offen, was sie bewegt. Gut für sie. Aber vermutlich sind sie einfach vertrauter, als es dem Film guttut. Dann schon lieber die amüsanten selbstreflexiven Anspielungen. So berichten etwa Irene und Gary von ihren Schweigeverträgen, die sie unterschreiben mussten, um am neuen „Star Wars“-Film mitarbeiten zu dürfen. Aber zumindest bezahle George Lucas dafür ziemlich gut...
… und zwar am liebsten mit der Stylistin Irene (Marisa Tomei).
Die Schauspieler machen aus dem sehr limitierten Material weitestgehend das Beste. Auch wenn sie ihren schneidigen Biss nur in der ersten Viertelstunde voll ausspielt, gibt es später zumindest noch eine unglaublich zärtliche und berührende Bettszene mit der einmal mehr alles dominierenden Isabelle Huppert („Elle“) und ihrem Leinwandpartner Brendan Gleeson („Paddington 2“). Auch der finale Moment zwischen Marisa Tomei („Spider-Man: Far From Home“) und Greg Kinnear („Besser geht’s nicht“) ist von einer erstaunlichen Wahrhaftigkeit geprägt. Aber zwischen solchen (zu) seltenen Highlights gibt es auch immer wieder reichlich Leerlauf.
Am Ende des Tages steigen die Familienmitglieder und ihre Anhängsel alle zusammen auf einen Hügel. Der Zuschauer sieht in einer herausstechend langen Einstellung nicht nur, wie die Sonne im Hintergrund langsam hinter dem Gipfel untergeht, sondern auch, wer mit wem nach und nach den Abstieg antritt. Nun ist diese Szene eigentlich so etwas wie die finale Auflösung, ein möglicher Verweis darauf, wie es mit den Figuren nach dem Ende des Films weitergeht. Aber wir müssen leider zugeben: Wir haben die einzelnen Konstellationen, wer dort mit wem davonspaziert, schon kurz nach dem Abspann wieder vergessen. Ein Zeichen dafür, dass es der Film offenbar nicht geschafft hat, uns in einem Maße für diese Familie und ihre Probleme zu faszinieren, dass wir tatsächlich an ihrer Zukunft interessiert sind.
Fazit: Setting, Schauspieler, Stimmung - eigentlich ist alles da und trotzdem mangelt es „Frankie“ merklich an Substanz.
Wir haben „Frankie“ beim Filmfestival in Cannes gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.