Zumindest spielt Nicolas Cage Klavier
Von Lutz GranertNicolas Cage sorgte in den vergangenen Monaten zur Abwechslung mal nicht mit seiner fragwürdigen Rollenauswahl, an die man sich inzwischen wahrscheinlich auch einfach ein Stück weit gewöhnt hat, sondern mit zweifelhaften Gesangkünsten für Aufsehen: Im Netz kursiert ein Video, in dem der Cage mit Manbun in einer Karaoke-Bar in L.A. den Prince-Hit „Purple Rain“ aggressiv-gruselig ins Mikrofon schreit, um so den Frust über die im März 2019 im Suff geschlossene und nach nur fünf Tagen wieder geschiedene Ehe mit der Maskenbildnerin Erika Koike rauszulassen. Der Mime kündigte als Reaktion darauf an, sich in seinem Privatleben weiter zurückzuziehen und gar nicht mehr ausgehen zu wollen.
Dabei verfügt der Oscargewinner (für „Leaving Las Vegas“) durchaus über musikalisches Talent. Nicolas Cage lernte für seinen Part in „A Score To Settle“ extra Klavierspielen und sorgt mit seiner zärtlichen und ausdrucksstarken Piano-Interpretation der Ballade „I'm Always Chasing Rainbows“ sogar für einen kleinen Magic Moment. Der direkt für die Heimkinoauswertung produzierte, leider ziemlich unausgegorene Genre-Mix aus Schuld-und-Sühne-Drama und Rache-Thriller von Shawn Ku, der hier neun Jahre nach seinem Independent-Achtungserfolg „Beautiful Boy“ sowie zahlreichen Arbeiten fürs US-Fernsehen seine zweite größere Regiearbeit abliefert, hat über Cages Klavierspiel hinaus aber wenig bis nichts zu bieten – und reiht sich damit dann trotz seiner musikalischen Mühen ziemlich nahtlos in die in den vergangenen Jahren zunehmend enttäuschende Filmografie des einstigen A-List-Hollywoodstars ein.
In den stärksten Szenen gibt es Klaviermusik statt Rachephantasien.
Als sein Boss Max (Dave MacKinnon) einen Kleinkriminellen zu Tode prügelt, nimmt Gangmitglied Frank Carver (Nicolas Cage) für einen hohen Geldbetrag die Schuld auf sich und geht wegen Mordes in den Knast. 19 Jahre später kommt Frank, der inzwischen an einer unheilbaren Krankheit leidet, vorzeitig aus der Haft frei. Zunächst will er die verpassten Jahre mit seinem drogenabhängigen Sohn Joey (Noah Le Gros) nachholen. Dafür mietet er sich in ein teures Hotel ein und bändelt mit der Zimmernachbarin Simone (Karolina Wydra) an. Doch die offene Rechnung mit Max sowie seinen Handlangern Jimmy „The Dragon“ (Mohamed Karim) und Tank (Ian Tracey) lässt ihm keine Ruhe. Zusammen mit seinem einzigen verbliebenen Freund Q (Benjamin Bratt) plant er, sich an ihnen zu rächen …
Shawn Ku avancierte 2010 auf dem Filmfestival von San Sebastián zum Shooting-Star. Für sein auch selbst geschriebenes Drama „Beautiful Boy“, in dem ein zerstrittenes Paar den Amoklauf und Tod seines Sohnes verarbeiten muss, den Preis als bester Debüt-Regisseur. Das ist zwar schon einige Jahre her, aber sein Händchen für die Inszenierung feinfühliger Szenen, in denen er seinen Darstellern Raum und Zeit gibt, ihre Charaktere zu entwickeln, ist auch „A Score To Settle“ noch immer anzumerken. Nur fehlt es den zahlreichen Dialogszenen zwischen Frank und Joey an psychologischer Tiefe, was sie schnell ermüdend wirken lässt. So erweisen sich vor allem die Szenen, in denen nicht gesprochen, sondern nur die Stimmung eingefangen wird, als die stärksten des Films. Neben der eingangs erwähnten Klavierspiel-Szene zählt eine mit einem Song von Indie-Musiker Ben Clark unterlegte Taxifahrt, bei der Frank seinen Kopf aus dem Fenster steckt und die Sonnenstrahlen genießt, zu den wenigen herausstechenden Momenten des ansonst so betulich erzählten Films.
Raus aus dem Knast, rein in die Midlife-Crisis.
Ein erstaunlich zurückhaltend agierender Nicolas Cage stellt sich – fernab von seiner furiosen Performance in „Mandy“ – auf dieses mediokre Niveau ein: Es passt zu der am Filmanfang diagnostizierten Krankheit (die wir hier aus Spoiler-Gründen nicht verraten wollen), dass er einige Dialogzeilen mit angespanntem Gesichtsausdruck lustlos bis sediert wegnuschelt. Insgesamt gibt er aber durchaus solide den nachdenklichen und gebrochenen Ex-Gangster, der sichtbar Spaß daran hat, mit schickem Sportwagen eine attraktive, ihm seine überragende Potenz bestätigende junge Frau zu erobern und so seine zuvor im Knast verpasste Midlife-Crisis nachzuholen.
In der melancholisch-romantischen Stimmung wirkt Franks vierminütiges Rachefeldzug-Intermezzo in der Mitte des Films wie ein regelrechter Fremdkörper, bevor sich der Film wieder dem angespannten Verhältnis von Frank zu Joey zuwendet. Doch das ist längst nicht die einzige Unwucht im Drehbuch von John Stuart Newman, der als Co-Autor auch schon mehrere Folgen der seit 1965 über den Bildschirm flimmernde NBC-Endlos-Soap „Zeit der Sehnsucht“ geschrieben hat: Im letzten Drittel zaubert er nämlich plötzlich noch zwei Wendungen aus dem Hut, die dermaßen abstrus sind, dass sie beim Zuschauer nur spontanes Kopfschütteln erzeugen. Das enttäuschende Finale mit einem sekundenkurzen, übertrieben blutigen Shoot-Out reißt die lahme Chose dann auch nicht mehr herum.
Fazit: Eine starke Klavier-Gesangseinlage von Nicolas Cage macht noch keinen guten Film. „A Score To Settle“ ist ein verwässerter Thriller, dem es an psychologischer Tiefe und einem stimmigen Drehbuch mangelt. Die verschiedenen Plot-Bestandteile passen einfach nicht zusammen.