Als ethnologisches Drogen-Drama könnte man „Birds Of Passage“ beschreiben, den neuen Film von Cristina Gallego und Ciro Guerra, der in Cannes die Nebenreihe Quinzaine de la Realisateurs eröffnete. Dabei ist es sehr passend, dass die kolumbianische Produktion in Deutschland fast zeitgleich zum Release der vierten Staffel von „Narcos“ in den Kinos startet. Schließlich ist „Birds Of Passage“ quasi sowas wie der Prolog zu der Netflix-Serie sowie den ganzen Spielfilmen und Dokumentationen, die gerade in den vergangenen Jahren verstärkt über den legendären Pablo Escobar und andere Drogen-Bosse gedreht wurden. Der Film erzählt nämlich von den Anfängen des Drogenhandels in Südamerika und dabei vor allem von den Folgen, die Kapitalismus und Gier auf einen bis dahin von der Außenwelt praktisch abgeschnittenen Stamm von Ureinwohnern haben.
Im Nordosten Kolumbiens lebt der von matriarchalischen Strukturen geprägte Stamm der Wayuu auch Ende der 1960er Jahre noch weitestgehend abgeschieden von der Zivilisation. Nur die jüngeren Stammesangehörigen haben gelegentlich Kontakt zu den Bewohnern der nächsten Stadt. So auch Raphayet (Jose Acosta), der mit Kaffeebohnen und Likör handelt. Um Zaida (Natalia Reyes), die Tochter der Matriarchin Ursula (Carmina Martinez) zu heiraten, müsste er eine Mitgift zahlen – die er sich aber nicht leisten kann. Als eine Gruppe von Hippies, die an den malerischen Stränden das Paradies suchen, ihn nach Marihuana fragen, fällt Raphayet die Entscheidung nicht schwer, mit den Gringos Geld zu verdienen. Im Laufe der Jahre wird er immer reicher, während die Drogen immer härter werden. Und mit ihnen die Verteilungskämpfe…
Dass der Beginn des Drogenhandels in Kolumbien nicht aus eigenem Antrieb erfolgte, sondern weil Außenstehende, in diesem Fall zudem auch noch Amerikaner, danach verlangt haben, mag man als willkommene Ausrede sehen. Oder als realistische Darstellung der Strukturen von Angebot und Nachfrage, die einen globalen Drogenmarkt entstehen und die USA einen hochkomplexen Krieg gegen Drogen führen ließen. So stellen sich auch Cristina Gallego und Ciro Guerra die Frage, welche Veränderungen der weitweite Handel mit Drogen in den abgelegenen Regionen der Herstellungsländer verursacht.
Das Regie-Duo wurde vor einigen Jahren mit ihrem Film oscarnominierten „Der Schamane und die Schlange“ bekannt – und wer den mystischen Schwarz-Weiß-Film kennt, wird sich auch in „Birds Of Passage“ von Beginn an sehr heimisch fühlen und einfach einen weiteren Film im Geiste des ethnografischen Kinos erwarten. Besonders die Rituale der Brautwerbung werden ausführlich geschildert. Genauso das Leben in den abgelegenen Dörfern mit seinen speziellen Machthierarchien. Dass auch mit Laiendarstellern gefilmt wurde, verleiht den Szenen dabei zusätzliche Authentizität. Diese Entscheidung lässt ihn zwar in stärker dramatisierten und inszenierten Szenen mitunter etwas steif wirken, zeigt aber auch den angenehmen Effekt, dass der Film nie einem zu einem reinen Crime-Thriller wird.
Im Laufe seiner 125 Minuten verlagern die Macher ihren Schwerpunkt nämlich weg von den ethnographischen Szenen hin zu einer beinahe dokumentarischen Nacherzählung der Anfänge des Kokain-Handels. Teile der Handlung spielen in Medellin, also jener Stadt, in der Pablo Escobar sein Imperium aufbaute und auch seinen Tod fand. Soweit reicht der Handlungsbogen von „Birds Of Passage“ zwar nicht, doch was in den Jahren nach den gezeigten Ereignissen passieren wird, schwingt stets im Subtext mit: Die Verführungskraft der enormen Geldsummen, die mit Kokain zu verdienen sind, verändern Raphayet, Ursula und die gesamte Gemeinschaft des Stammes.
Probleme und Streitigkeiten werden nicht mehr bei einem Pow Wow mit einer Friedenspfeife am Feuer gelöst, sondern mit Maschinenpistolen. Die alten Riten gehen verloren und mit ihnen die ganze kleine Welt des Stammes. Wie so oft, wenn Gegensätze aufeinandertreffen, unterschiedliche Vorstellungen und Werte, die Moderne auf das Traditionelle. Einen Vorwurf machen Gallego und Guerra niemanden, sie zeigen diese Entwicklung einfach so, wie sie sie sehen – als etwas, das naturgegeben ist und zugleich der Natur des Menschen innewohnt.
Fazit: Teils ethnografischer Film, teils dokumentarisches Thriller-Drama: Cristina Gallego und Ciro Guerras erzählen in „Birds Of Passage“ authentisch und intensiv von den Anfängen des Drogenhandels in Kolumbien und wie globale Strukturen traditionelle einheimische Kulturen in den Untergang führen.