Luc Bessons "Nikita 2.0"
Von Markus TschiedertLuc Besson und die Frauen! Mit der Analyse dieser Beziehung könnte man inzwischen ganze Bücher füllen und Psychoanalytiker hätten gewiss ihre wahre Freude daran, den französischen Filmmogul mal anständig auf die Couch zu legen. Denn selbst wenn er mit „Leon – Der Profi“ einen der stärksten Actionfilme der Neunzigerjahre fabrizierte, dominieren bei ihm in diesem Genre eindeutig die Frauen: Schließlich schickte er schon 1990 in „Nikita“ seine erste Actionbraut ins Rennen. Seitdem malt er stets dasselbe Frauenbild einer grazilen Schönheit, die anfangs aus der Gosse gezogen werden muss, von einem Mentor eine Grundsanierung erfährt und dann auf sexy getrimmt als Tötungsmaschine auf die Männerwelt losgelassen wird.
Der Agenten-Actioner „Anna“ fühlt sich nun tatsächlich an, als würde der Regisseur seine gesamte bisherige Karriere nun noch mal in einem einzigen Film zusammenfassen – immerhin erlebt die Titelfigur auch diesmal wieder eine ganz ähnliche Metamorphose nach dem Vorbild des Pygmalion-Mythos (ein König verliebt sich in eine von ihm geschaffene Statue, die er schließlich zum Leben erweckt). Wer Bessons Werke der vergangenen 30 Jahre kennt, darf sich schon mal auf ein regelrechtes Feuerwerk von Déjà-vu-Erlebnissen einstellen. Fast könnte man gar von einem „Nikita“-Remake sprechen. Trotzdem ist das verschachtelte Katz-und-Mausspiel vor allem dank seiner permanenten Zeitsprünge und Perspektivwechsel mitunter spannend und meistens unterhaltsam.
Selbst mit blutbespritztem Gesicht noch sexy: Sasha Luss als Anna beziehungsweise Nikita 2.0!
Anna Poliatova (Sasha Luss) haust mit ihrem brutalen Freund Piotr (Alexander Petrov) in einer heruntergekommenen Moskauer Bude. Beide sind drogenabhängig und gewaltsame sexuelle Übergriffe zumindest für ihn eine Selbstverständlichkeit. Um ihrem jämmerlichen Dasein zu entkommen, bewirbt sich Anna beim Staatsdienst. Wenige Tage später erhält sie Besuch vom KGB-Agenten Alex Tchenkov (Luke Evans). Der knallt zuerst ihren widerwärtigen Typen ab, um ihr dann die „Wahl“ zu lassen, ob sie sich ebenfalls eliminieren oder doch lieber rekrutieren lassen will. Fünf Jahre später in Paris: Aus Anna ist ein elegantes Topmodell geworden. Tagsüber lässt sie sich von berühmten Fotografen ablichten, nach Feierabend geht sie mit der Knarre auf Menschenjagd. Gerade wartet sie auf weitere Instruktionen aus dem Kreml, um einen in Ungnade gefallenen Waffenhändler abzumurksen…
Soweit die Ausgangssituation, die viele bestimmt auch an den Spionagethriller „Red Sparrow“ von 2018 erinnern wird. Darin wurde Jennifer Lawrence vom russischen Geheimdienst gezwungen, als Sex-Agentin die Drecksarbeit zu machen – zumindest bis sie sich mit der Gegenseite arrangiert und ein Doppelspiel zu ihren Gunsten einfädelt. Genauso macht es Anna, wenn sie auf den CIA-Agenten Lenny Miller (Cillian Murphy) trifft. Dass sie dabei auch ihre weiblichen Reize ausspielt und sowohl Tchenkov als auch Miller ihr verfallen, versteht sich quasi von selbst.
Seit Lotte Lenya in dem Bond-Film „Liebesgrüße aus Moskau“ (1963) als KGB-Leiterin Rosa Klebb ihre Agentinnen regelrecht dazu drängte, ihre weiblichen Waffen einzusetzen, gehört die strenge Mentorin zum Standard solcher Filme. In „Nikita“ war es Jeanne Moreau, in „Red Sparrow“ Charlotte Rampling und in „Anna“ übernimmt Helen Mirren diese Aufgabe. Seit „R.E.D. – Älter, Härter, Besser“ hat sich die Oscargewinnerin (für „The Queen“) im Agentengeschäft durchaus profiliert. Aber in „Anna“ trägt sie mit großer Brille und schwarzer Perücke dann doch ein bisschen zu dick auf. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man glatt glauben, die zu Fleisch gewordene Modedesignerin Edna ‚E’ Mode aus dem Pixar-Animationsabenteuer „Die Unglaublichen“ vor sich zu haben.
Dennoch spielt Mirren in dem ganzen Spionage-Wirrwarr eine Schlüsselrolle, worauf aus Spannungsgründen aber nicht weiter eingegangen werden soll. Klar ist aber, dass sie mit ihrem betonten Mangel an Attraktivität die Hauptdarstellerin Sasha Luss nur umso mehr erstrahlen lässt: Die 27-Jährige ist tatsächlich Russin, die sich zuerst als Fotomodell einen Namen gemacht hat, bevor sie von Besson für eine kleine Rolle in seiner finanziell zum Desaster gewordenen Comicverfilmung „Valerian – Die Stadt der tausend Planeten“ (2017) besetzt wurde. Luss ist also seine ganz persönliche Neuentdeckung – und sie kann auch tatsächlich schauspielern. Man nimmt ihr die Verwandlung von einer verzweifelten Drogenabhängigen (passt schon) zum gefährlichen Vamp (auf jeden Fall) jedenfalls durchaus ab.
Hellen Mirren als KGB-Obere – oder nicht doch eher eine fleischgewordene Edna ‚E’ Mode.
Vor „Valerian“ drehte Besson 2014 „Lucy“ und stilisierte Scarlett Johansson („Avengers: Endgame“) dabei zu einer übermenschlichen Superfrau hoch. Dass er bei „Anna“ nun auf eine eher unerfahrene Schauspielerin in der Hauptrolle setzt, mag nach dem „Lucy“-Megahit überraschen, ist aber rückblickend beispielhaft für den Regisseur. Seine „Nikita“-Hauptdarstellerin Anne Parillaud war zudem nicht nur eine Newcomerin, sondern auch privat seine Muse. Die Ehe war allerdings nur von kurzer Dauer, ebenso wie die mit Milla Jovovich, die Besson 1997 zuerst in die Zukunft („Das fünfte Element“) und 1999 in die Vergangenheit („Johanna von Orleans“) schickte. Ist in Besson also erneut das Pygmalion-Syndrom ausgebrochen? Zwar ist er seit 15 Jahren glücklich verheiratet, trotzdem breitete sich zuletzt ein dunkler Schatten über ihm aus…
… als ihm im vergangenen Jahr gleich mehrere Frauen sexuelle Übergriffe vorwarfen. „Anna“ wurde daraufhin mehrmals verschoben, erst im Februar 2019 stellte die französische Justiz die Ermittlungen ein. Dennoch bleibt ein bitterer Nachgeschmack, den man auch beim Betrachten der so offensichtlich sexualisierten, ganz und gar auf die Hochglanz-Oberfläche reduzierten Aufnahmen in „Anna“ nicht gänzlich ausblenden kann (und der wohl auch einer der Gründe ist, warum der Film in den USA bereits gnadenlos gefloppt ist). Besson versteht es weiterhin wie kaum ein Zweiter, überdurchschnittlich attraktive Frauen sexy in Szene zu setzen, besonders in Gewaltszenen. Doch gerade im Vergleich mit „Red Sparrow“, in dem es weitaus brutaler zuging, oder gar der „John Wick“-Reihe wirkt seine für ihn typisch gewordene Choreografie in „Anna“ trotz Kopfschüssen im Minutentakt inzwischen auch ein Stück weit weichgespült.
Fazit: Luc Besson serviert mit „Anna“ das, was man von ihm schon seit 30 Jahren kennt: eine schöne Frau, die allerhand Typen umnietet. Das ist zwar längst nichts Weltbewegendes mehr, aber dank etlicher Wendungen sowie stylischer (wenn auch ein wenig den mittlerweile im Genre üblichen Punch vermissen lassender) Actionszenen wird einem trotzdem zumindest nie langweilig.