Ein angepasstes Biopic über eine unangepasste Ikone
Von Ulf LepelmeierViele Jahre musste Kate Winslet für die Umsetzung ihres Herzensprojekts kämpfen. Nun kommt die Verfilmung der Lebensgeschichte von Lee Miller tatsächlich in die Kinos. Die Faszination des „Titanic“-Stars für die amerikanische Ikone ist verständlich, schließlich führte diese ein sehr bewegtes Leben als Model, Muse, Mode- und schließlich Kriegsfotografin. Mit ihren Aufnahmen von der Kriegsfront sowie der Befreiung der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald schuf sie zentrale fotografische Erinnerungsdokumente gegen das Vergessen.
Doch obwohl Winslet in ihrer Wunschrolle brilliert und Millers Geschichte auch aus heutiger Perspektive viele interessante Anknüpfungspunkte bereithält, bietet „Die Fotografin“ leider keinen besonderen visuellen oder erzählerischen Zugang zu der unangepassten Hauptfigur. Stattdessen begnügt sich Regisseurin Ellen Kuras („Ozak“), die sich als Kamerafrau von modernen Klassikern wie „Vergiss mein nicht“ oder „Coffee And Cigarettes“ einen Namen gemacht hat, mit einem im besten (?) Sinne klassischen Biopic.
Als sich ein junger Journalist ankündigt, um die von ihren Alkoholproblemen gezeichnete frühere Fotografin Lee Miller (Kate Winslet) zu den Hintergrundgeschichten ihrer Bilder zu interviewen, zeigt sie sich zunächst wenig aufgeschlossen. Schließlich beginnt die Befragte aber doch, von ihrer unbesorgten Zeit in Frankreich zu erzählen. Der sich 1938 bereits anbahnende Krieg war für sie noch ein weit entferntes Schreckgespenst und sie genoss die Zeit mit ihren wohlhabenden Künstlerfreund*innen wie der Journalistin Solange D’Ayen (Marion Cotillard) oder der Surrealistin Nusch Eluard (Noémie Merlant). Hier lernt sie auch ihren zukünftigen zweiten Ehemann, den britischen Künstler und Autoren Roland Penrose (Alexander Skarsgård) kennen.
Schon bald geht Miller zusammen mit ihm nach London und organisiert sich bei der dortigen Vogue-Herausgeberin Audrey Withers (Andrea Riseborough) Fotoaufträge. Als der Krieg auch Großbritannien erreicht, wandeln sich ihre Modefotoreportagen in Darstellungen der Kriegsrealität. Lee Miller möchte aber unbedingt noch weitergehen und als Kriegsfotografin an die Front. In dem jüdischen Fotografen David E. Sherman (Andy Samberg) findet sie vor Ort schnell einen Mitstreiter, um die Invasion der Alliierten und die Schrecken und Unmenschlichkeiten des Krieges zu dokumentieren…
Lee Miller war eine starke Persönlichkeit, die sich nichts sagen ließ und zahlreiche Liebschaften hatte. Irgendwann wollte sie nicht mehr nur selbst auf Fotos verewigt werden und als Inspirationsquelle für surrealistische und expressionistische Künstler herhalten, sondern selbst kreativ werden und hinter der Kamera ihre Sicht auf die Welt festhalten. Mit einem exzellenten Gespür für interessante Motive kämpfte sie dafür, als Fotografin ernst genommen zu werden. „Die Fotografin“ setzt allerdings bereits etwas nach dem emanzipatorischen Schritt ein. So zeigt zwar ein erster Rückblick Miller in ihrer Zeit in Frankreich, wo sie nach eigenen Angaben vor allem Alkohol konsumierte, Sex hatte und Fotos schoss. Doch dann wird sehr schnell ihr Ehemann eingeführt und es geht als Modefotografin weiter nach London.
Mit der Bombardierung Großbritanniens gewinnen andere Motive immer mehr an Relevanz, bis in ihr schließlich der Entschluss reift, selbst an die Front zu gehen. Als Frau wäre ihr dies in Großbritannien eigentlich gar nicht möglich gewesen, nur ihre amerikanische Staatsbürgerschaft sorgt dafür, dass sie eine Erlaubnis für die hochriskante Tätigkeit ausgestellt bekommt. Eingerahmt von einer uninspirierten Interviewhandlung, die zum Ende hin noch eine unnötige Wendung bereithält, werden Lee Millers Lebensstationen routiniert-chronologisch erzählt. Erst im letzten Drittel, als Miller und Sherman kurz vor dem Ende des 2. Weltkrieges das wahre Ausmaß der Zerstörung und des Leids zu begreifen beginnen, bekommt der Film eine wirkliche emotionale Tiefe. Da kommt dann auch Winslets schauspielerisches Können vollends zur Geltung.
Winslet verkörpert Lee Miller als facettenreiche Frau, die mit großer Entschlossenheit auftritt, aber auch von inneren Kämpfen und einer permanenten inneren Unruhe getrieben wird. Sie überzeugt als schroffe, unangepasste Fotografin, welche die Gräuel des Krieges mit ihren Fotografien festhält und die Schreckensbilder selbst nie wieder wirklich abschütteln können wird. Sie lässt das Publikum dabei auch an Millers Begeisterung für Bildgestaltung teilhaben. So leuchten ihre Augen, wenn ihr eine neue Motividee kommt und sie voller Konzentration die Bildbestandteile anordnet oder Instruktionen gibt, bevor sie das gewünschte Szenario mit ihrem Fotoapparat festhält.
Einige der wichtigsten Miller-Fotografien werden in „Die Fotografin“ eins zu eins nachgestellt und lassen sich dann später im Abspann nochmal mit den Originalaufnahmen vergleichen. So etwa das ikonische Foto, das die Fotografin in der Badewanne in der Villa Adolf Hitlers nach der Befreiung Münchens zeigt. Ein Motiv, das ihre oftmals ironischen Brechungen und Spiele mit surreal erscheinenden Kombinationen beispielhaft zum Ausdruck bringt.
Weder Millers Affären noch ihre Beziehung zu Roland Penrose spielen in Ellen Kuras‘ Film eine besondere Rolle. So bleiben die Männerfiguren allgemein eher blass. Alexander Skarsgård („The Northman“) hat wenig zu tun, während der sonst auf Komödien spezialisierte Andy Samberg („Der Chaos-Dad“) sich in seiner dramatischen Rolle als Millers Vertrauter an der Kriegsfront zumindest wacker schlägt. Weitaus spannender erweist sich Millers streitbare Beziehung zur britischen Vogue-Chefin Audrey Withers, in der sie eine ebenbürtige Gesprächspartnerin findet.
Ihre Diskussion rund um die Veröffentlichung der erschreckenden KZ-Bilder in Großbritannien ist voller Kraft und Dramatik und lässt Winslet zur Höchstform auflaufen. Den hochkarätigen französischen Schauspielerinnen wird in ihren Nebenrollen nur sehr wenig Screentime eingeräumt: Dabei weiß vor allem Marion Cotillard („Inception“) in einer ihrer wenigen Szenen als gebrochene Frau aufzutrumpfen und verdeutlicht mit ihrer Verzweiflung eindrücklich, dass insbesondere die psychologischen Wunden des Krieges nicht einfach mit dessen Ende verheilen werden.
Fazit: Ellen Kuras‘ „Die Fotografin“ erweist sich als routiniert umgesetztes, traditionelles Biopic mit einer herausragenden Kate Winslet in der Rolle der titelgebenden Lee Miller, die mit ihren erschütternden Kriegsfotos zentrale Zeitdokumente gegen das Vergessen schuf.
Wir haben „Die Fotografin“ beim Filmfest München 2024 gesehen, wo er in der Sektion „Spotlight“ gezeigt wurde.