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    Call Jane
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Call Jane

    Ein Wohlfühlfilm über den Kampf für das Recht auf Abtreibung

    Von Teresa Vena

    Phyllis Nagy hat für ihr oscarnominiertes Drehbuch zu „Carol“, der Liebesgeschichte zwischen zwei von Cate Blanchett und Rooney Mara gespielten Frauen in den 1950ern, so große Aufmerksamkeit erfahren, dass sie danach erst einmal ein paar gut dotierte Schreibaufträge angenommen hat. Aber nun kehrt sie 17 Jahre nach ihrem Regiedebüt „Mrs Harris“ erstmals wieder hinter die Kamera zurück – um sich erneut mit der historischen Rolle der Frau in der Gesellschaft zu befassen: „Call Jane“ handelt von einem Frauenkollektiv, das in den 1960er Jahren in Chicago ein Netzwerk aufbaute und Frauen half, die trotz strafrechtlichem Verbot eine Abtreibung vornehmen wollten.

    Die Arbeit des sogenannten Jane Collective wurde erst obsolet, als 1973 der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten das berühmte „Roe versus Wade“-Urteil fällte und Abtreibungen damit weitgehend legalisierte. Doch bis dahin organisierte das Kollektiv in der Klandestinität mehr als 12.000 Abtreibungen. Gerade jetzt, wo immer mehr Kräfte versuchen, die Zeit nicht nur in den USA zurückzudrehen, ist das natürlich ein hochaktuelles Thema – und so verwundert es auch nicht, dass mit „The Janes“ fast zeitgleich auch noch eine Dokumentation zum selben Thema erscheint.

    Joy (Elizabeth Banks) wird von Virginia (Sigourney Weaver) davon überzeugt, sich auch nach ihrer Abtreibung weiter für Frauenrechte einzusetzen.

    Chicago im Jahr 1968: Joy (Elizabeth Banks) und ihr Mann Will (Chris Messina) haben bereits eine Teenager-Tochter, als Joy zum zweiten Mal schwanger wird. Nach einem Zusammenbruch diagnostiziert der Arzt bei ihr ein Herzproblem, das von der Schwangerschaft ausgelöst wird und das sogar zum Tod führen könnte. Aber selbst das ist nicht Grund genug für den Verwaltungsrat des Krankenhauses, eine Abtreibung zu genehmigen. Nachdem es ihr auch nicht gelingt, zwei psychiatrische Gutachten zu besorgen, die ihr eine Suizidgefährdung bescheinigen, muss sie also fast zwangsläufig den illegalen Weg wählen.

    Joy findet daraufhin einen im ersten Moment geheimnisvoll und verschwörerisch anmutenden Aushang mit der Aufforderung: „Call Jane!“ Dieser führt sie zu dem Frauenkollektiv, das von der Feministin und Aktivistin Virginia (Sigourney Weaver) geleitet wird. Nach erfolgreich stattgefundener Abtreibung bringt Virginia Joy immer mehr dazu, sich selbst in der Gruppe zu engagieren. Die bisher so biedere Musterehefrau wird mit Frauen aus anderen sozialen Klassen konfrontiert und entwickelt sich zum wertvollen Mitglied, das die Gruppe entscheidend vorantreiben wird…

    Eine Vereinfachung des Stoffes

    Sie sei noch nicht bereit zu sterben, sagt Joy, als sie mit ihrem Mann nach der Diagnose zurückkommt. Bereits in dieser frühen Szene legt der Film die Dynamik zwischen dem Ehepaar fest: Während Will sich schon hier resigniert zeigt und nach der ersten Hürde direkt aufgibt, fängt für Joy der Kampf erst an. Sie hat schließlich auch am meisten zu verlieren. Doch das beeindruckt den Verwaltungsrat des Chicagoer Krankenhauses überhaupt nicht. Diese Episode zählt zu den eindrücklichsten und symbolisch schlüssigsten des Films: Der Raum ist voll mit mittelalten Männern im Anzug, die mit stoischer Miene den Blick starr nach vorne richten. Joy darf der Verhandlung zwar als Betroffene beiwohnen, aber den Männern wäre es wohl sichtlich lieber, wenn sie nicht da wäre. Angehört wird sie ja eh nicht. Es sei in erster Linie im Interesse der Gesellschaft, das ungeborene Kind zu schützen, lautet das in wenigen Minuten gefällte Urteil.

    Es sind – mal wieder – die Männer, die über den Körper der Frau entscheiden. Das war 1968 so und so droht es wieder zu werden, betrachtet man die politischen Vorstöße in den USA und einigen anderen Ländern, die Abtreibungen erschweren, verhindern und erneut unter Strafe stellen wollen. Während sich der Film im weiteren Verlauf auf die Schwierigkeiten der Frauen konzentriert, doch eine Abtreibungen zu bekommen, verliert er den Aspekt der von Männern aufrechterhaltenen, demütigenden und unterdrückenden Machtverhältnisse aus den Augen. Damit entzieht er der Geschichte eine wesentliche Ebene, denn die Konfrontation des Frauenkollektivs mit der Außenwelt bleibt weitgehend theoretisch. Das hat zur Folge, dass die Dringlichkeit und die existenzielle Dimension ihres Handelns nur selten spürbar werden. Hier unterscheidet sich „Call Jane“ entschieden vom letztjährigen Goldener-Löwe-Gewinner „Das Ereignis“, der wahren Geschichte einer jungen Studentin, die im Frankreich der 1960er an der Gleichgültigkeit, Verachtung und Kriminalisierung durch die Gesellschaft verzweifelt.

    Der leichtgläubige Will (Chris Messina) geht davon aus, dass seine Frau jeden Abend zu einem Malkurs geht.

    Die Männer, die als Ärzte, Polizisten, Richter und Ehemänner auftreten, sind alle blutleere und klischierte Figuren. Der Pseudo-Arzt, der die Abtreibungen vornimmt, wird von Corey Michael Smith als aalglatter, geldgieriger, im Grunde frauenverachtender Typ verkörpert. Von Anfang an hat er die Sympathien des Publikums verspielt. Mit Will, dem Ehemann von Joy, hat man dagegen eher Mitleid. Glaubt er tatsächlich, dass seine Frau jeden Abend in einen Malkurs geht, ohne dass sie je ein Bild mit nach Hause bringt? Sein Spielraum ist fast ärgerlich beschränkt. Aus Frust darüber, dass kein warmes Abendessen mehr auf dem Tisch steht, holt sich der arme, vernachlässigte Ehemann schließlich Trost bei der Nachbarin.

    Diese Vereinfachung bezieht sich aber nicht nur auf die männliche Sphäre. Weil es Phyllis Nagy vor allem darum geht, von einem Solidaritätsgefühl zwischen den Frauen zu erzählen, werden die möglichen Spannungen zwischen ihnen auf ein unbedeutendes Minimum reduziert – die Schwierigkeiten, die sie bei der Unterhaltung ihres Netzwerks überwinden müssen, erscheinen kaum der Rede wert. Mit der Anschaffung eines Anrufbeantworters lässt sich ohnehin das größte ihrer Probleme lösen. Schon fast rührend ist die Freude in den Augen von Virginia und Joy, die sich über das Gerät bücken und das Klacken hören, wenn der erste Anruf eingeht.

    Sorgfältige Rekonstruktion der 1960er Jahre

    Was der Film hingegen sehr genau nimmt, ist die Rekonstruktion der 1960er Jahre – nicht nur in Bezug auf Telefontechnik und Automobile, sondern auch in Sachen Kleidung, Frisuren und Mobiliar. Auch die Musik ist entsprechend ausgewählt, obwohl sie lieber etwas zurückhaltender hätte eingesetzt werden können. Sorgfältig ist auch die Beschreibung der im Jane Collective aufeinanderprallenden verschiedenen sozialen Klassen. Eindrücklich ist dabei vor allem die Leistung von Elizabeth Banks („Power Rangers“), die dieser Vorzeigeehefrau aus besseren Kreisen eine ungewöhnliche Vielschichtigkeit verleiht. „Call Jane“ ist zu einem großen Teil auch ihre Emanzipationsgeschichte. Als wichtigster Gegenpart fungiert die von Sigourney Weaver („Alien“) ebenfalls mit Tiefgang gespielte Virginia, die an die Jane -Collective-Gründerin Heather Booth angelehnt ist.

    Phyllis Nagy selbst sieht ihren Film als Mahnmal für den Kampf der Frauen für ihre Rechte. Dass dieser längst nicht ausgefochten ist, kommt schließlich im – aus heutiger Sicht enlarvend voreilig wirkenden – Ausspruch von Sigourney Weavers Figur am Ende des Films zum Ausdruck: Nach diesem Sieg für das Recht auf Abtreibung werde es doch sicherlich ein Leichtes sein, als nächstes auch noch die gleiche Bezahlung von Mann und Frau durchzusetzen…

    Fazit: Mit „Call Jane“ setzt Phyllis Nagy zwar dem Jane Collective ein filmisches Denkmal, verpasst aber die Gelegenheit, den Stoff in seiner ganzen existentiellen Dimension zu behandeln. Weil sie tendenziell vereinfacht und harmonisiert, ist am Ende eher ein in Ausstattung und Atmosphäre historisch akkurates Feel-Good-Movie dabei herausgekommen – auch wenn es zugleich daran erinnert, wie hart der Kampf der Frauen für ihre Rechte war und bleibt.

    Wir haben „Call Jane“ im Rahmen des Sundance Film Festival gesehen. Außerdem läuft er auf der Berlinale 2022 als Teil des Offiziellen Wettbewerbs.

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