Zombies reagieren auf Geräusche, sie hungern nach Menschenfleisch und wenn sie dich beißen, wirst du selbst zu einem von ihnen. Auch in dem Survival-Drama „Hungrig“ (auf dem Toronto Filmfestival zum besten kanadischen Film gewählt) gelten diese Grundregeln. Darüber hinaus verpasst Regisseur und Drehbuchautor Robin Aubert seinen Untoten aber noch einige Attribute, die man sonst in Filmen eher selten sieht: Seine Zombie scheinen nämlich nicht nur durch eine unsichtbare Verbindung organisiert zu sein – sie schaffen zudem auch noch abstrakte Kunst in Form babylonischer Türme aus Holzstühlen oder Spielzeugen, deren Sinn oder Unsinn den Überlebenden ordentlich Stoff zum Grübeln gibt. Dabei sind die Hausrat-Kunstwerke vielleicht auch einfach nur eine weitere Ausgeburt von Auberts trockenem Sinn für Humor. Dem lässt er in „Hungrig“ nämlich ansonsten auch gerne freien Lauf.
Innerhalb weniger Wochen rafft ein Zombievirus große Teile der Menschheit dahin beziehungsweise verwandelt sie in gefräßige Untote. Die Überlebenden streifen ohne echte Hoffnung durchs Land. Zwei von ihnen, Bonin (Marc-André Grondin) und Tania (Monia Chokri), stoßen in einem verlassenen Haus auf die Waise Zoé (Charlotte St-Martin). Gewillt, das Mädchen zu beschützen, treten sie gemeinsam mit einigen weiteren Weggefährten den Weg zu einem Schutzbunker an. Aber die Zombies versammeln sich bereits zum Angriff…
So richtig entscheiden konnte sich Robin Aubert offenbar nicht, was sein Film denn nun eigentlich sein soll. Kunst? Unterhaltung? Beides? Teils schreit er mit gemäldeartigen Einstellungen geradezu nach Arthouse-Anerkennung. Beispielhaft dafür steht ein Kameraflug über das neblige Waldpanorama Québecs, zu dem aus dem Off das markerschütternde Kreischen eines einzelnen „Verhungernden“ (die deutsche Übersetzung des französischen Titels „Les Affamés“) ertönt – Auberts Art, die Hoffnungslosigkeit der Situation zu veranschaulichen. In dieselbe avantgardistische Kerbe schlägt er mit der gesamten Klangkulisse. Über weite Strecken herrscht auf musikalischer Ebene Stille und wenn Komponist Pierre-Philippe Côté sie zerreißt, dann meist mit dröhnenden Basseffekten ohne erkennbaren Melodien oder Rhythmen. Ein wenig erinnert seine Herangehensweise dabei an die Scores von Star-Filmkomponist Jóhann Jóhansson („Arrival“, „Sicario“). Zwar erreicht Côté nie dessen Brillanz, doch die immerwährende Unruhe der Protagonisten in diesem lebensfeindlichen Szenario fängt er mit seinem Soundtrack stimmig ein.
Solche Ernsthaftigkeit hat in „Hungrig“ jedoch nie lange Bestand. Mit stumpfen Splatter- und regelmäßigen Slapstick-Einlagen führt Aubert seine eigene künstlerische Ader ad absurdum. Bonin etwa führt er als Figur ein, die beim Verbrennen von Leichen schlechte Arztwitze erzählt. Auf eine packend inszenierte Zombiehetzjagd folgt eine Szene, in der die Hauptfiguren ihr Entkommen mit einem Glas Dillgurken feiern. Irgendwann geht Aubert sogar soweit, die komödiantische und die dramatische Seite seines Films nebeneinanderzustellen: Indem er zeigt, dass schwarzer Humor dich in dieser Welt tatsächlich umbringen kann…
Von einer Horror-Komödie ist „Hungrig“ letztlich vor allem atmosphärisch zu weit entfernt, für ein ernstzunehmend philosophisches Endzeit-Drama ist der Humor zu trashig und infantil. Die Witze zünden in erster Linie deshalb, weil sie in krassem Kontrast zur Trostlosigkeit der Zombieapokalypse stehen und deshalb fast immer unerwartet kommen – und das nicht, weil sie besonders gut oder kreativ sind. Womit wir bei einem weiteren Manko wären: Aubert wiederholt gerne Szenenkonzepte. Noch deutlicher als beim Humor wird das bei Zombieübergriffen. Zwar sorgt die Angewohnheit der Wiedergänger, stocksteif und bedrohlich – gerne in Gruppen – in der Gegend rumzustehen, für einige angespannte Momente im Kinosessel. Durch die scheinbar unerschöpfliche Geduld, mit der Aubert diese Szenen immer und immer wieder auskostet, wissen aber irgendwann nicht nur die Protagonisten, sondern auch die Zuschauer, was in solcher Lage zu erwarten ist.
Ein gewisser Originalitätsbonus ist „Hungrig“ dank der ungewöhnlichen Stilmischung zwar sicher. Bei der Schaffung desselben verhält sich Aubert allerdings unfreiwillig wie seine turmbauenden Zombies: Er packt Krempel auf einen Haufen, konstruiert damit – beabsichtigt oder nicht – ein Kunstwerk mit dadaistischer Tendenz, folgt dabei aber keiner festgelegten Ästhetik, verschenkt eine Menge Potenzial und lässt sein Gebilde halbfertig stehen. Auf den ersten Blick wirkt es trotzdem eindrucksvoll – guckt man genau hin, sind aber Macken nicht zu übersehen und die Frage, ob dahinter wirklich ein tieferer Sinn existiert, bleibt bis zum Abspann unbeantwortet.
Fazit: Der Spagat zwischen Arthouse-Zombiefilm und makabrem Slapstick-Splatter gelingt Robin Aubert nur solange, bis er sich in repetitiven Struktur verheddert - nichtsdestotrotz bringt er mit „Hungrig“ zumindest einigen frischen Wind ins Zombiegenre.
Wir haben „Hungrig“ unter dem Originaltitel „Les Affamés“ bei den Fantasy Film Fest White Nights 2018 gesehen.