„Keinohrhasen“, „Kokowääh“ und jetzt halt „Vielmachglas“ – schon mit der Wahl des wortschöpfenden Titels stellt sich Langfilmdebütant Florian Ross ganz in die Tradition offensichtlicher Vorbilder. Und diesen Eindruck wird man auch im Verlauf des eineinhalbstündigen Films nicht los, denn in seiner Roadmovie-Komödie vereint der 35-jährige Regisseur so ziemlich alles, womit seine erfolgreichen Kollegen Til Schweiger und Matthias Schweighöfer seit Jahren die Massen in die Kinos locken. Das beginnt schon bei der Verpflichtung von Schweighöfer („Vaterfreuden“) selbst, der hier allerdings nur in den ersten 15 Minuten zu sehen ist. Dazu kommt eine gefällige Hochglanz-Inszenierung, bei der sich jedes Bild auch direkt zum Hochladen bei Instagram anbieten würde, sowie schließlich eine recht plakative „Glaub an Dich!“-Botschaft, untermauert mit diversen erbauenden Glückskekssprüchen. Aber trotz dieser Berechenbarkeit hat „Vielmachglas“ doch auch erstaunlich viele schöne Momente zu bieten, die vor allem der tollen Jella Haase zu verdanken sind.
Marleen (Jella Haase) hat es nicht leicht – glaubt sie zumindest! Mit Anfang zwanzig jobbt sie zwar in einem Kino, sieht davon abgesehen aber keinerlei Perspektive für sich. Das geht auch ihren Eltern Doris (Juliane Köhler) und Peter (Uwe Ochsenknecht) gewaltig auf den Senkel. Marleens Bruder Erik (Matthias Schweighöfer) ist da ganz anders. Er ist ein Weltenbummler, Buchautor und hat Freunde rund um den Erdball. Als er eines Tages von einer seiner Reisen nach Hause zurückkehrt, schenkt er Marleen ein Einmachglas für all ihre Abenteuer, in der Hoffnung, sie so endlich dazu zu motivieren, aus sich herauszukommen und Ja zum Leben zu sagen. Zunächst hält Marleen nicht viel von der Idee, doch ein unvorhergesehenes Ereignis motiviert sie zum Handeln. Sie macht sich auf den Weg nach Hamburg, um von hier aus in die Antarktis aufzubrechen. Unterwegs trifft sie auf den sympathischen Ben (Marc Benjamin), die durchgeknallte Zoë (Emma Drugonova) und findet in der Ferne langsam zu sich selbst. Sie schreibt ihre vielen Abenteuer auf und füllt damit ihr Einmachglas, aus dem so nach und nach ein Vielmachglas wird…
Der ebenso plötzliche wie frühe Abgang von Fan-Liebling Matthias Schweighöfer hat uns zugegebenermaßen derart überrascht, dass wir an dieser Stelle nicht vorwegnehmen wollen, wie sich der sympathische Blondschopf aus dem Film verabschiedet. Soviel sei aber verraten: Indem er die Bühne fortan „Fack ju Göhte“-Star Jella Haase überlässt, tut er dem Zuschauer durchaus einen Gefallen. Nicht weil er in den wenigen Minuten seines Auftritts besonders schlecht wäre, vielmehr spielt er wie die meisten namhaften Gaststars in „Vielmachglas“ solide auf. Vielmehr ist es einfach eine wahre Freude, Haase im Alleingang bei ihrer Selbstfindungsodyssee zuzusehen. Die in ihrer Planlosigkeit und Beratungsresistenz durchaus Nervpotenzial besitzende Figur der Marleen wird in den Händen der Schauspielerin zu einer charmanten Sympathieträgerin, die mit Haases Paraderolle der prolligen Chantal absolut nichts mehr gemein hat. Mit ihrer Mischung aus Rebellion und Naivität fungiert sie gerade für die Zielgruppe der unentschlossenen Millennials-Generation als ideale Identifikationsfigur.
Auf ihrer Reise gen Norden trifft Marleen allerdings auch auf einige Figuren, die weder durch queren Charme noch durch eine ansprechende Schauspielleistung hervortun. Die bis vor einer Weile noch unter dem Künstlernamen Cindy aus Marzahn aufgetretene Ilka Bessin ist einmal mehr in einer Variation ihres Superproll-Ichs zu sehen, während mit Emma Drugonova („Leanders letzte Reise“) als bis an die Grenzen der Erträglichkeit affektierte YouTuberin Zoë („Mit Akzent über dem e!“) das darstellerische Lowlight in „Vielmachglas“ gefunden ist. Die Gastauftritte einiger weiterer A- und B-Promis sind dagegen durchaus komisch, zudem unterstreicht Newcomer Marc Benjamin („Unsere Zeit ist jetzt“) in der Rolle des gleichermaßen gelassenen wie absolut charismatischen Ben seinen Status als (Nachwuchs-)Darsteller, von dem wir in Zukunft sehr gern noch sehr viel mehr sehen würden.
Drehbuchautor Finn Christoph Stroeks („Der Nanny“) reiht in „Vielmachglas“ nur lose zusammenhängende Stationen aneinander, von denen einige mehr, andere weniger komisch sind. Eine kurze Etappe als Tramper in einem zwielichtigen LKW gefällt vor allem wegen ihrer Unberechenbarkeit genauso wie eine völlig aus dem Ruder laufende Karaoke-Party. Und wenn Haase eines Nachts über eine mit Glühwürmchen übersäte Wiese läuft, ist das im Zusammenhang mit dem bedeutungsschwangeren Score durchaus kitschig, in Kombination mit der so unschuldig dreinblickenden Hauptdarstellerin aber auch irgendwie ziemlich schön. Was dagegen so gar nicht funktioniert, ist die dramaturgische Klammer, die arg an der Glaubwürdigkeit der Geschichte kratzt. Nicht nur, dass Marleens Eltern über einen schweren Schicksalsschlag erschreckend schnell hinwegkommen, auch die eingeschobenen Flashbacks, die „Vielmachglas“ zwischendurch von seiner märchenhaften Atmosphäre befreien und stattdessen in der Realität verankern sollen, wirken ziemlich willkürlich. Dasselbe gilt für das Ende: Hier verpasst Florian Ross den perfekten Absprung und hängt einen unnötigen Nachklapp an die eigentlich schon abgeschlossene Geschichte.
Fazit: Ohne Jella Haase wäre „Vielmachglas“ nicht ansatzweise so charmant, wie es die nach gängigen Wohlfühlmechanismen inszenierte Roadmovie-Komödie nun ist. Dabei ist der Roadtrip selbst allerdings wesentlich amüsanter als das nur bedingt glaubwürdige Familiendrama drum herum.