Im Iran gibt es viele Tabus – eines davon ist es, sich „Teheran Tabu“ anzusehen, von der Produktion eines solchen Films natürlich ganz zu schweigen. Immerhin legt der im Iran geborene, aber inzwischen in Deutschland lebende und arbeitende Regisseur Ali Soozandeh in seinem Langfilmdebüt schonungslos die immense Kluft offen, die sich in der iranischen Gesellschaft zwischen den staatlichen und religiösen Moralvorschriften auf der einen sowie dem tatsächlichen Leben im privaten Raum auf der anderen Seite auftut (wir alle halten zwar in einem gewissen Maße eine öffentliche Fassade aufrecht, aber im Iran hat das noch einmal eine ganz andere Dimension). Und weil der Film nicht an Originalschauplätzen in Teheran gedreht werden konnte, haben die Macher das Drama nun eben animiert – außer auf Motion Capture haben sie dabei vor allem auf das sogenannten Rotoskopieverfahrens (das unter anderem auch im oscarnominierten „Waltz With Bashir“ zum Einsatz kam) gesetzt, bei denen erst reale Schauspieler die Szenen spielen, die dann übergemalt und anschließend in ebenfalls animierte Hintergründe eingefügt werden. Das Ergebnis ist einerseits betont abstrakt, aber zugleich auch unglaublich spezifisch – jedenfalls viel spezifischer, als es bei einem Realfilmdreh an einem Ersatzort wie Marokko (das im Kino schon oft für den Iran herhalten musste) je möglich gewesen wäre.
Schon in der Eröffnungsszene tritt die ganze Bigotterie der patriarchalischen iranischen Gesellschaft zutage: Eine Sexarbeiterin gibt einem Freier in dessen Auto einen Blowjob, während ihr stummer Sohn auf der Rückbank Kaugummis kaut und aus dem Fenster schaut, als ob es das Normalste von der Welt wäre. Aber als der Fahrer auf dem Gehweg seine unverheiratete Tochter erspäht, die mit einem Mann Händchen hält, rastet er völlig aus (während er sich weiter einen blasen lässt) – nichts läge dem Mann in diesem Moment ferner, als sein eigenes Verhalten und das seiner Tochter miteinander in Verbindung zu setzen. Später wird die Sexarbeiterin nach der Wirkung verschiedener Drogen gefragt und antwortet mit einem Witz: „Schlag deinem Mann ins Gesicht. Wenn er nicht reagiert, hat er Opium genommen. Wenn er lacht, hat er Hasch geraucht. Wenn er dich lautstark beleidigt, hat er sich Heroin gespritzt. Und wenn er dir die Fresse poliert und dir einen Zahn ausschlägt, dann ist alles normal und er ist nüchtern.“ Purer Galgenhumor, denn natürlich steckt in der Pointe mehr als nur ein Fünkchen Wahrheit.
Regisseur Ali Soozandeh seziert in „Teheran Tabu“ die Widersprüche zwischen öffentlich vertretenen Werten und privatem Handeln anhand der Schicksale von drei Frauen: Neben der Sexarbeiterin stehen eine schwangere Hausfrau, die gerne wieder arbeiten würde, aber dafür die Erlaubnis ihres Mannes braucht sowie ein junges Mädchen, das vor ihrer anstehenden Hochzeit wieder zur Jungfrau werden muss, im Mittelpunkt. Nicht immer findet der Filmemacher dabei so eingängige Bilder wie das mehrfach wiederholte Motiv der Passfotoaufnahmen (wenn sie für etwas Privates benötigt werden, bleibt der Hintergrund weiß und wenn es einem staatlichen Zweck dient, wird ein schwarzer Vorhang hochgezogen und gelächelt werden darf auch nicht mehr). Deshalb hat der Film gerade in der ersten Hälfte auch noch etwas arg Didaktisches an sich – da fühlt es sich manchmal an, als würden sich die Macher an einer Liste mit allem, was im Iran schiefläuft, regelrecht abarbeiten.
Das wird allerdings in der zweiten Hälfte deutlich besser, wenn die Frauen erst einmal voll ausgeformte Figuren sind – denn wie Ali Soozandeh ihre ganz persönlichen Geschichten weiterspinnt, das hat dann zum Glück gar nichts Belehrendes mehr an sich, sondern ist überraschend, berührend, oft herzzerreißend und manchmal auch sehr komisch. Es ist keine Überraschung, dass der Film für zwei der Protagonistinnen traurig bis tragisch enden wird – mit einem Happy End würde sich „Teheran Tabu“ ja selbst ad absurdum führen. Aber es ist eine vielsagende Idee, dass es schließlich ausgerechnet der Frau vergleichsweise am besten ergeht, die schon längst aufgehört hat zu versuchen, sich in der Gesellschaft einzufügen und stattdessen die Regeln auch mal gegen ihre eigentlichen Nutznießer richtet - denn wenn ein Richter am Moralgericht nun mal auf Würgespiele steht, dann zieht man eben möglichst kräftig zu.
Fazit: Man merkt dem animierten Ensemble-Drama „Teheran Tabu“ in jeder Sekunde an, wie sehr den Machern ihr aufklärerisches Thema am Herzen liegt – das zeigt sich in der kraftvoll-engagierten Erzählweise, aber eben auch daran, dass der Film vor allem zu Beginn überladen wirkt.
Wir haben „Teheran Tabu“ im Rahmen der 70. Filmfestspiele von Cannes 2017 gesehen, wo er im Programm der Semaine de la Critique gezeigt wird.