Wer sich die dritte Spielfilmregiearbeit des Schauspielers John Krasinski („The Office“) im Kino anschaut, der isst sein Popcorn oder seine Nachos auf eigene Gefahr. Denn die Prämisse von „A Quiet Place“ ist so stark und so effektiv in Szene gesetzt, dass man als Zuschauer unwillkürlich bald die Regeln des Films befolgt. „Mach kein Geräusch, sonst kommen die Monster und töten dich!“ oder wie es auf dem US-Plakat heißt: „Wenn sie dich hören, jagen sie dich“. Das übliche Rascheln und Knuspern im Kinosaal ist in der Berliner Pressevorführung des Horrorthrillers und Familiendramas jedenfalls schnell einer angespannten Stille gewichen. Doch „A Quiet Place“ hat nicht nur ein cleveres Konzept, das sehr wirkungsvoll umgesetzt wird. Neben atemloser Spannung und echtem Schrecken bietet er auch noch eine emotionale Erzählung über familiären Zusammenhalt in katastrophalen Zeiten.
Eine Einblendung: Tag 89. In einer ansonsten menschenleeren Kleinstadt im Bundesstaat New York besorgen sich die Abbotts Vorräte. Vater Lee (John Krasinski), Mutter Evelyn (Emily Blunt) und die drei Kinder Regan (Millicent Simmonds), Marcus (Noah Jupe) und Beau (Cade Woodward) schleichen auf Zehenspitzen zwischen den Ladenregalen umher und verständigen sich ausschließlich per Zeichensprache. Das tun sie nicht nur, weil Regan taub ist, sondern weil jedes laute Geräusch den Tod bringen kann: Pfeilschnelle blinde Monster mit extrem sensiblen Ohren und scharfen Zähnen haben die Welt heimgesucht und die Abbotts sind weit und breit die einzigen Überlebenden. Sie haben sich in ihrem Farmhaus inmitten von Feldern eingebunkert, wo sie ein lautloses Leben in ständiger Anspannung führen. Als Evelyn schwanger wird, steht die Familie vor einer fast unlösbaren Herausforderung…
In einem etwa zehnminütigen Prolog etabliert Regisseur John Krasinski die Ausgangssituation, indem er uns mitten hineinschmeißt in die Welt nach der Katastrophe. Statt uns mit Einblendungen oder einem Off-Kommentar über die drei Monate zurückliegenden ersten Monsterattacken zu informieren, zeigt er uns, wie die Familie in einem verlassenen Geschäft ohne Worte und Geräusche interagiert, ehe sie sich ebenso still auf den Heimweg macht durch eine idyllische, aber gespenstisch leere Gegend. Das Gefühl von Gefahr ist dabei sehr schnell sehr ausgeprägt, was auch daran liegt, dass wir die Monster in der ersten Filmhälfte nicht wirklich zu Gesicht bekommen. Wie einst bei Steven Spielbergs „Der weiße Hai“ ist ihre Präsenz eher zu ahnen - bis sie blitzartig angreifen. Aber vor allem wird die Spannung durch die Darsteller vermittelt: Wie sorgfältig, feinfühlig und vielschichtig hier von der Dynamik innerhalb einer Familie erzählt wird, insbesondere zwischen Eltern und Kindern, ist ein kleines Meisterstück.
Trotz des ständigen Ausnahmezustands gibt es auch bei den Abbotts ganz normale Konflikte, sie können sie nur nicht auf ganz normale Weise austragen. Wenn die gehörlose Regan (intensiv gespielt von der tatsächlich tauben Jungdarstellerin Millicent Simmonds aus Todd Haynes‘ „Wonderstruck“) rebelliert, dann beschwört sie damit eine lebensgefährliche Situation herauf. Es ist herzzerreißend, wie sie in einer Welt, in der jedes Geräusch tödliche Folgen haben kann, ausgerechnet darum kämpft, hören zu können. Ebenso berührend sind die unendliche Liebe und die bewundernswerte Geduld der Eltern, die der Last der Verantwortung und dem fast unmenschlichen Druck trotzen und sich sogar dafür entscheiden, ein weiteres Kind in eine scheinbar hoffnungslose Welt zu setzen. John Krasinski und Emily Blunt („Sicario“, „Edge Of Tomorrow“), die auch im realen Leben verheiratet sind und Kinder haben, stehen die widerstreitenden Gefühle, aber vor allem die tiefe Zuneigung für die Familie förmlich ins Gesicht geschrieben. Ihre expressiven und tief empfundenen Darstellungen sind das Herzstück des Films: Wir lassen uns nicht unterkriegen.
Krasinski, der zuvor neben einigen Folgen von „The Office“ nur die Tragikomödien „Brief Interviews With Hideous Men“ und „Die Hollars“ inszeniert hatte, liegt auch hier die Familiengeschichte besonders am Herzen, das hält ihn aber nicht davon ab, die Spannungssequenzen, die sich aus ganz einfachen Alltagssituationen (Stichworte: Monopoly und Nagel) ergeben, wie ein alter Horrorhase zu orchestrieren. Das manchmal etwas aufdringliche, aber unheimliche Sounddesign, der gut dosierte Schnitt, die Musik von Marco Beltrami („Todeszug nach Yuma“, „World War Z“), die sich mit ihrem bedrohlichen Grummeln immer wieder wie ein eigener Toneffekt in die Geräuschkulisse einfügt und sich zugleich wie ein unablässiges Warnsignal ins Zuschauerohr bohrt - all das ergibt auch in der deutlich konventionelleren, weil mehr auf äußere Spannung bedachten zweiten Filmhälfte sehr wirkungsvolles Gruselkino.
Wenn im letzten Drittel in atemlosem Tempo ein dramatischer Höhepunkt auf den anderen folgt, wirken einige der Wendungen ein wenig überstürzt, wenn nicht gezwungen. Die Genre-Paukenschläge gehen ein wenig auf Kosten der Atmosphäre, und auch die gut animierten Monster sind in ihrer ganzen Pracht vielleicht nicht mehr ganz so unheimlich wie zuvor, als ihre Gestalt noch weitgehend der Vorstellung des Betrachters überlassen war, aber das an diverse klassische Kreaturen aus der Genregeschichte erinnernde Design ist schlüssig und effektiv. Besondere Bedeutung hat bei den blinden Monstern übrigens sinnvollerweise das sehr originell gestaltete Ohr. Und damit schließt sich dann wieder der Kreis zum übergreifenden Thema der Stille und des (Nicht-)Hörens. So ist „A Quiet Place“ auf seine ganz eigene Art auch ein Plädoyer dafür, seine Worte (und Geräusche) mit Bedacht zu wählen und zugleich genau hinzuhören. Eine funktionierende Kommunikation ist überlebensnotwendig.
Fazit: Das Horrordrama „A Quiet Place“ fasziniert mit einer ebenso einfachen wie genialen Prämisse, die vor allem in der ersten Filmhälfte nicht nur sehr effektiv, sondern auch intelligent und berührend umgesetzt wird.