Bei Netflix wird ein angriffslustiger Star zum Life Coach
Von Teresa VenaIn dem Indie-Hit „St. Vincent“ von 2014 hat Melissa McCarthy als alleinerziehende Mutter um die gescheiterte Beziehung mit ihrem untreuen Ehemann getrauert, insgesamt aber Bill Murray als schroff-skurrilem Nachbarn den Vortritt überlassen. Nun hat sich der Comedy-Superstar („Spy – Susan Cooper undercover“) noch einmal mit Regisseur und Drehbuchautor Theodore Melfi („Hidden Figures“) für ein weiteres Indie-Projekt zusammengetan, in dem erneut um Trauerarbeit kreisenden „Der Vogel“ aber diesmal selbst die Hauptrolle übernommen.
Das Mitwirken von Melissa McCarthy ist dabei sicherlich der entscheidende Grund, warum sich der Streaming-Service Netflix nach der gemeinsam mit dem „Brautalarm“-Star produzierten Superhelden-Komödie „Thunder Force“ dazu entschieden hat, „Der Vogel“ nach seiner Fertigstellung, aber noch vor dem ursprünglich geplanten Kinostart aufzukaufen. Zugleich ist es McCarthys starke Leistung, die die tonal leider sehr uneinheitliche Tragikomödie zumindest ins Mittelfeld hievt, obwohl sie nicht nur sensibel, sondern leider auch arg sentimental geraten ist.
Lily (Melissa McCarthy) lernt ausgerechnet von einem Star, wie sie ihrer Trauer begegnen sollte.
Lily (Melissa McCarthy) und Jack (Chris O'Dowd) sind nach der Geburt ihrer Tochter Katie überglücklich. Aber während sie im einen Moment noch darüber scherzen, was das Mädchen wohl mal als Erwachsene werden wird, springt die Geschichte plötzlich ein paar Monate weiter: Jack ist inzwischen ein Patient in einer psychiatrischen Klinik. Katie ist an einem plötzlichen Kindstod gestorben. Jack ist seitdem in eine tiefe Depression gestürzt, Lily gibt sich hingegen stark und geht weiter ihrer Arbeit im Supermarkt nach.
Einmal die Woche besucht Lily ihren Mann in der Klinik. Keiner kann ihr sagen, wie lange es noch dauern wird, bis er wieder nach Hause kommt. Seine Therapeutin rät ihr, sich nicht nur um ihn zu kümmern, sondern sich auch mit ihrer eigenen seelischen Verfassung auseinanderzusetzen. Dafür empfiehlt sie ihren Kollegen Larry (Kevin Kline), der allerdings inzwischen das Fach gewechselt hat und als Tierarzt arbeitet. Als Lily es in ihrem Garten mit einem angriffslustigen Star zu tun bekommt, bietet sich die Gelegenheit, trotzdem auf Larrys Expertise zurückzukommen…
Die ersten Einstellungen, in denen der titelgebende und erstaunlich mies animierte Vogel herumflattert, lassen zunächst das Schlimmste befürchten: Die schnulzige Musik, die den verstörend-unecht über die Stadt fliegenden Star begleitet, erweckt direkt den Eindruck eines schrecklich sentimentalen Familienfilms. Dabei wartet „Der Vogel“ im Anschluss mit einer durchaus vielschichtigen Geschichte auf, die insbesondere von Melissa McCarthy in der Rolle einer fleißige-resoluten Frau, die für ihre Familie Opfer bringt, sich aber auch ein wenig eigenes Glück bewahren will, getragen wird. Es liegt an ihrem Charisma und ihrem Talent, die bisweilen humorvoll angespitzten Dialoge entsprechend umzusetzen, dass der Film zumindest streckenweise eine Balance zwischen Drama und Komödie findet.
Besonders gelungen ist dabei das Zusammenspiel zwischen McCarthy und Kevin Kline („Ein Fisch namens Wanda“), der als sarkastischer Zyniker mit weichem Kern fast noch charmanter aufspielt als damals Bill Murray in „St. Vincent“. Aber die Szenen nehmen leider nicht so viel Raum wie erhofft – und der von „The IT Crowd“-Star Chris O'Dowd gespielte Ehemann bleibt leider durchweg farblos. „Der Vogel“ bietet dabei eine durchaus sensible Auseinandersetzung mit dem Thema Trauer und zeigt, wie unterschiedlich verschiedene Menschen mit denselben Schicksalsschlägen umgehen. Mit viel Empathie und der nötigen Komplexität behandelt Theodore Melfi in seinem Skript die Natur psychischer Erkrankungen, ohne allzu einfache Lösungen anzubieten. Aufgebrochen wird das immer wieder durch leichtere Szenen etwa mit Lily an ihrem Arbeitsplatz, wo sie sich einfach nicht entscheiden kann, wo der neue Turm mit Süßigkeiten genau aufgebaut werden soll.
Ein sarkastischer Zyniker mit weichem Kern: Kevin Kline als Larry, der von Psychologe auf Veterinär umgeschult hat.
Die größte Schwäche des Films ist hingegen ausgerechnet das Leitmotiv mit dem Vogel, was längst nicht nur an den missratenen Computereffekten liegt. Die grundsätzlich sicherlich nicht uninteressante Analogie zwischen Mensch und Tier wird mit dem Holzhammer in den Film eingeschlagen – und die Szenen mit dem Vogel, unterstützt durch die warme Farbpalette und die sentimentale Musikuntermalung, verleihen dem Film einen Touch von magischem Realismus und einer gewissen Märchenhaftigkeit, die sich mit der ernsthaften Auseinandersetzung mit Trauer in diesem Fall eher beißt als ergänzt. So steht am Ende doch mehr Kitsch als Erkenntnis.
Fazit: Melissa McCarthy ist super – aber die durchaus gelungenen Ansätze, die verschiedenen Formen der Trauerarbeit sensibel aufzuarbeiten, gehen schlussendlich doch zu oft zwischen sentimentalem Kitsch verloren.